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Gleichberechtigung und WahlrechtsreformFrauen spielen keine Rolle

Bei der anstehenden Reform des Wahlrechts ist Parität kein Thema. Über die Frage, wie das doch noch erreicht werden kann, herrscht Uneinigkeit.

Abstimmung im Bundestag: Männer, so weit das Auge reicht Foto: imago/Stefan Zeitz

Berlin taz | Die interfraktionelle Gruppe von Frauen aller Bundestagsfraktionen außer der AfD ist mit ihrem Vorhaben gescheitert, einen gemeinsamen Antrag für eine Kommission einzubringen, die sich mit dem Thema „Mehr Frauen in den Bundestag“ beschäftigt. Die Gruppe traf sich seit fast einem Jahr, um noch in dieser Legislatur zu einem konkreten Ergebnis zu kommen, wie es geheißen hatte.

Übrig geblieben ist nun nur ein Antrag von Grünen und Linken. Dieser fordert zwar eine Kommission, die Vorschläge für gesetzliche Regelungen prüft, um künftig eine gleiche Anzahl von Frauen und Männern im Bundestag anzustreben. Doch ohne den Rückhalt von FDP, Union und SPD hat der Antrag schlechte Chancen.

101 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts und angesichts des niedrigsten Anteils von Frauen im Bundestag seit Jahren – nur rund ein Drittel aller Parlamentarier:innen sind Frauen – hatten sich die Frauen im Februar 2019 zusammengetan. Doch zunächst konnten die FDP-Frauen in ihrer Fraktion den Antrag nicht durchsetzen, dann zogen die Unionsfrauen zurück. Und um des Koalitionsfriedens willen wollten sich dann auch die SPDlerinnen nicht mehr beteiligen. Vergangene Woche nun wurde der Antrag in den Innenausschuss verwiesen, der für das Wahlrecht zuständig ist.

Bei der anstehenden Wahlrechtsreform allerdings ist Parität bislang kein Thema. Im Vorschlag der gescheiterten Arbeitsgruppe von Bundestagspräsident Schäuble war Parität anders als erhofft gar nicht erst vorgekommen. Und innerhalb der Frauen herrscht nun Uneinigkeit darüber, was der richtige Weg sein könnte, um Parität zu pushen. Während Grüne und Linke zumindest die SPD doch noch dazu bewegen wollen, der Kommission zuzustimmen, setzt die SPD darauf, das Thema innerhalb der anstehenden Reform unterzubringen.

Eine Kommission kann nur Nutzen bringen

„Man kann sich momentan noch nicht einmal auf die Größe des Bundestags einigen – um uns Frauen geht es bisher überhaupt nicht“, sagte die frauenpolitische Sprecherin der Grünenfraktion, Ulle Schauws. Deshalb sei leider absehbar, dass Parität bei der Reform keine Rolle spielen werde. Ähnlich äußerte sich die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cornelia Möhring. „Wir müssen eindringlich diskutieren, ob die SPD den Weg nicht doch mitgeht“, sagte sie. Eine Kommission könne keinen Schaden bringen, nur Nutzen. Beide halten an den bisherigen Plänen fest: „Das Angebot steht im Raum, dass SPD und Union der angestrebten Kommission zustimmen können“, sagte Schauws.

Die SPD ihrerseits legt den Fokus auf die Reform. „Die Wahlrechtsreform muss endlich für die Parität genutzt werden“, sagte die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, Maria Noichl. Man brauche einen „Systemwechsel“, der die paritätische Besetzung des Bundestags nach der Wahl garantiere. Elke Ferner, ehemalige Staatssekretärin der SPD und nun Leiterin des Fachausschusses Parität im Deutschen Frauenrat, sagte: „Das muss jetzt thematisiert werden. Wenn jetzt nichts passiert, ist das historische Zeitfenster, die Parität zu erreichen, geschlossen.“

Die interfraktionelle Gruppe der Frauen will sich vorerst nicht mehr treffen. Wann die Kommission im Innenausschuss auf die Tagesordnung kommt, ist noch unklar.

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9 Kommentare

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  • Gleichberechtigung der Geschlechter (w/m/d) ist sicherlich wichtig. Darüber hinaus finde ich, dass – gerade der Bundestag – die Gesellschaft viel paritätischer abdecken sollte: Es sind anteilig a) viel weniger Junge Menschen (unter 30) und viel weniger Alte (über 60) im Bundestag als in der Bevölkerung.



    Ebenso Angestellte und kleine Selbstständige, dafür viel zu viel Beamte: Ich fordere daher den Staat auf, alle notwendigen Maßnahmen ergreift, damit Selbstständig nicht mehr benachteiligt werden! Die Fortführung meines Geschäfts für 5 Jahre kostet jährlich ca. 100-150.000€ - aber das ist notwendig für Gleichberechtigung! Wie viele Bäcker, Reinigungsfirmen (-angestellte oder -inhaberInnen), , DachdeckerInnen, Maurer … und andere Handwerkerinnnen sitzen eigentlich im Bundestag? Und JournalistInnen?



    Sicherlich gibt es weitere Gruppen, die deutlich unterrepräsentiert sind. Meine Bitte an die taz: schreiben Sie doch mal darüber!



    Wer bei Gleichberechtigung nur an Geschlechter denkt, hat aus meiner Sicht eine viel zu enge Brille auf – sonst bleibt es beim Kampf einer Mehrheitsgruppe (Frauen) gegen die Minderheit, aber es kommt zu keiner gesellschaftlichen Zusammenarbeit, weil alle (oder zumindest alle relevanten) Gruppen ihren Teil einbringen können!

    • @Eokdipl:

      Die Überlegung ist sehr gut nachzuvollziehen, aber wer - außer der taz - ist der richtige Adressat?

      Es sollte Einigkeit bestehen, dass eine entsprechende zwingende Quotierung der Wahlvorschläge der Parteien eher kontraproduktiv wäre. Die Mitglieder des Bundestages würden weniger als unabhängige Entscheider und mehr als Zählrepräsentanten irgendwelcher Gruppenidentitäten aufgestellt. Am Ende käme das inhaltlich vor allem der Macht der Parteizentralen zugute, da die Mandate - noch deutlich mehr als heute - von diesen verteilt und nicht frei gewählt würden.

  • Von den FinnInnen lernen, heißt siegen lernen - dort ist die Parität (fast) Realität:



    Von 18 Ministerposten sind 11 mit Frauen besetzt, und alle 5 Parteien werden von Frauen geführt.

    Daß noch 7 Ministerposten zur vollen Parität fehlen, hat zweifellos mit Männerseilschaften zu tun - und ist eine direkte Folge des Patriarchats.

  • Das größere Problem ist die Aufblähung des Bundestags durch Überhangs- und Ausgleichmandate. Die Überhangsmandate bekommen meistens Abgeordnete, die von der Mehrzahl der Wähler in ihrem Wahlkreis abgelehnt worden sind, es stattdessen mit 30% oder 35% gerade mal auf den ersten Platz der Direktkandidaten geschafft haben.

    Hier könnte man ja angreifen: Die Mandats-Oberverteilung an die Parteien erfolgt ausschließlich nach den Zweitstimmen. Überhangsmandate werden nicht vergeben. Bei überhängenden Diretmandaten sieht man sich die Direktkandidaten an, die von unten her am schlechtesten abgeschnitten haben. Sind Frauen in der entsprechenden Partei unterrepräsentiert, bekommt eine auf mit weit unter 50% auf Platz 1 liegende Frau das Direktmandat zugewiesen. Ist der Kandidatat ein Mann, muss er auf das Direktmandat verzichten. Dies wird fortgesetzt, bis alle Überhangmandate "aufgebraucht" sind, wobei ggf. eine begrenzte Anrechnung auf andere Bundesländer möglich ist.

    Sodann wird der oder die zweitplatzierte im Wahlkreis betrachtet. Ist es ein Mann in einer Partei mit überwiegend Männern, bleibt es bei der Mandatsvergabe über die Listen. Ist es eine Frau, und verdrängt sie einen Mann von der entsprechenden Parteiliste, bekommt sie den Wahlkreis zugesprochen.

    Die Priorisierung kann man dann noch an bestimmte Mindestunterschiede in der Geschlechterparität oder die Abstände bei den Erststimmen knüpfen.

  • Offenbar war die "interfraktionelle Gruppe von Frauen aller Bundestagsfraktionen außer der AfD" nicht in der Lage , sich selber mit dem Thema „Mehr Frauen in den Bundestag“ zu beschäftigen und



    "Vorschläge für gesetzliche Regelungen, um künftig eine gleiche Anzahl von Frauen und Männern im Bundestag anzustreben" auszuarbeiten. Ein Armutszeugnis, dafür eine Komission einsetzen zu wollen. Ist das dann ein Zeichen, dass die jedenfalls Qualifikation der jetzigen Frauen im Bundestag unzureichend ist? Ist das eine gute Empfehlung für mehr davon?

    Sollte die Kommission eigentlich paritätisch besetzt sein, nur mit Frauen oder gemäß der derzeitigen Frauenquote im Bundestag?

  • Der gedankliche Fehler liegt schlicht darin, dass Gleichberechtigung und Parität keine Synonyme sind.

    • @Trango:

      Das ist ein eher liberaler Standpunkt (den ich teile). Linke Sichtweisen haben dagegen eine natürliche Tendenz dazu, das "-berechtigung" in "Gleichberechtigung" im Sinne von ANrechten zu verstehen - nämlich Anrechten auf gleiche Teilhabe, die bei Disparität auf Kosten der bislang besser Versorgten zu gewähren ist. Letztlich ist die Paritätsforderung also aus demselben ideologischen Holz geschnitzt wie die nach materieller Umverteilung.

      Aus meiner Sicht liegt der Fehler eher im Ansatzpunkt: Die Zusammensetzung des Bundestages sollte, soweit es nur irgend geht, dem Wählerwillen überlassen werden. Nicht umsonst gibt es - über die notwendige Anzahl von Stimmen hinaus - kaum Qualifikationen, die ein Bundestagsabgeordneter mitbringen muss, um sein Amt antreten zu dürfen. Wenn jetzt für die Häflte der Sitze das jeweilige Geschlecht zum gesetzlichen Ausschlusskriterium wird, ist das schlicht undemokratisch.

  • Warum sollte eine binäre Geschlechtsparität für ein Parlament ein Ziel sein?



    Was wäre die Begründung für eine solche Regel? Das es nach traditionellem Verständnis zwei Geschlechter gibt?



    Die letzten Jahre(zehnte) haben auch der Öffentlichkeit gezeigt, dass das nicht richtig ist. Warum soll dann eine Gruppe gefördert werden? Warum nicht auch andere?

    Die Regel würde schlicht die Wahlfreiheit einschränken. Jede hat die Möglichkeit aktiv und passiv an Wahlen teilzunehmen.

    • @fly:

      Ich halte es schlicht für eine unzulässige Einflussnahme des Staates auf die Parteien.