Glaubensfrage um Antonio Rüdiger: Komisches Fingerspitzengefühl
Antonio Rüdiger begeistert unseren Autor. Zu der Sache mit dem Fingerzeig hat er dann aber doch noch eine Frage.
A lso ich mag diesen Antonio Rüdiger. Er trägt eine Menge Berlin in sich. Ein Neuköllner Junge ist er ja bekanntlich, groß geworden in der Weißen Siedlung. Dort lernt man so einiges fürs Leben, zum Beispiel, dass es Durchsetzungsvermögen braucht, um etwas zu erreichen.
Rüdiger, dessen Mutter aus Sierra Leone stammt, hat sich über den Fußball nach oben gearbeitet und sich dabei dieses, nun ja, Lausbubenhafte, manchmal auch Unbeholfen-Provokative aus dem alten Viertel bewahrt, etwas, das auch auf dem Platz immer wieder mit ihm durchgeht – und bisweilen für Irritationen sorgt: Rüdiger knabbert dem Gegner am Ohr; Rüdiger scheint sich mit einem clownesken Laufstil über den Kontrahenten lustig zu machen; Rüdiger will allzu bemüht in die Fußstapfen des abgefeimten Sergio Ramos treten.
Auf dem Rasen ist er ein Mann mit unglaublicher Chuzpe. Er hat es geschafft, den robusten Körpercheck am Gegner so zu inszenieren, dass selbst der Schiedsrichter eingeschüchtert ist und nicht mehr pfeift. Er „packt den Angreifer“, wie auch sein Kumpel Niclas Füllkrug weiß, jeder Offensive sei dumm, wenn er den Zweikampf mit dem Innenverteidiger suche.
Der Tauhid-Finger
Mit seinen 31 Jahren hat Rüdiger zweimal die Champions League gewonnen, und das mit unterschiedlichen Vereinen. Als er neulich gefragt wurde, ob er der derzeit weltbeste Verteidiger sei, dementierte er nicht. Dieser Antonio Rüdiger ist also ein ganz Großer, und er wäre eine durch und durch adorable Figur, selbst in den Augen eines distanzierten Beobachters, wenn es da nicht eine weitere Irritation gäbe, fern des Platzes liegt sie diesmal.
Sie wissen schon, liebe Leser, diese Fingersache ist gemeint, und ja, wir alle wissen, dass Lehrer Lämpel den Zeigefinger erhebt, um zu belehren – und dass wir alle im Klassenzimmer den Zeigefinger reckten, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Aber die Bedeutungen von Gesten sind nun mal multipel. Wenn ich in Deutschland mit Zeigefinger und Daumen ein O forme, dann signalisiere ich Positives, im Nahen Osten sollte ich das tunlichst unterlassen.
Und so ist in der Sphäre des Religiösen der Zeigefinger kontaminiert durch finstere Gestalten. Der Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri grüßte nach seinem Terrorakt 2016 mit dem Zeigefinger in eine Kamera; die Schergen von Isis benutzten die Geste inflationär, gern auch nach einer Enthauptungsorgie. Der bayerische Verfassungsschutz schreibt, dass der „Tauhid-Finger“ oft von Salafisten benutzt wird.
Antonio Rüdiger soll stolz auf seinen Glauben sein, ihn gern auch bewerben. Aber ich frage mich, warum er das mit dem Finger tut. Hat es in den vergangenen Jahren eine Bedeutungsverschiebung gegeben, von der ich nichts mitbekommen habe? Sollte nicht das eifrige Aufgreifen besagter Bilder, gemeint ist vor allem der Schnappschuss in Zivil, durch „Muslim Interaktiv“ und andere Freunde des Kalifats stutzig machen? Ach, es ist kompliziert, und nun wird wieder Fußball gespielt – mit ein paar völlig unverfänglichen Jubelgesten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?