Gipfel in Washington: Selenskyj übersteht die Höhle des Löwen
Flankiert von den Unterstützern aus Europa geht der ukrainische Präsident gestärkt aus dem Treffen mit Trump. Doch viele Streitpunkte sind ungelöst.

„Meine Erwartungen sind übertroffen worden“, sagte hinterher Bundeskanzler Friedrich Merz über die Reise der sieben Zwerge aus Europa in die Höhle des Löwen, damit der Ukrainer dort nicht gefressen wird. Die Erwartungen waren vorab gering, nachdem sich Trump nur drei Tage vorher in Alaska scheinbar uneingeschränkt hinter Wladimir Putin gestellt hatte.
Die neue Runde in Washington begann mit einem Zweiertreffen zwischen Selenskyj und Trump, bevor die Europäer hinzukamen. Anders als beim öffentlichen Eklat im Februar verlief es diesmal offenbar harmonisch. Es sei ihr vielleicht bestes Gespräch je gewesen, sagte Selenskyj. Das wohl wichtigste Ergebnis: Putin und Selenskyj wollen sich treffen. Zumindest behauptet das Trump. Er unterbrach die Gespräche, um Putin dafür anzurufen. Selenskyj bestätigte, dass er dazu bereit sei und dass er dafür keinen vorherigen Waffenstillstand verlange – sonst würde auch Putin Bedingungen stellen.
Nach Angaben von Merz könnte die Begegnung – es wäre die erste seit 2019 – „innerhalb der nächsten zwei Wochen“ stattfinden. Darauf soll dann ein Dreiergipfel mit Trump folgen. Am Montag erklärte bereits der Schweizer Außenminister Ignazio Cassis, sein Land werde dem per Haftbefehl vom Internationalen Strafgerichtshof gesuchten Putin ausnahmsweise Immunität gewähren, „wenn er für eine Friedenskonferenz kommt“.
Waffenstillstand: Merz fordert Druck auf Moskau
Der Kreml bestätigte aber lediglich, man erwäge, mit der Ukraine auf höherem Niveau zu verhandeln als bisher. Die konfliktfreie Stimmung im Weißen Haus kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass kein einziger Konfliktpunkt ausgeräumt ist, weder zwischen Russland und der Ukraine noch zwischen der Ukraine und ihren westlichen Partnern oder zwischen den USA und den Europäern.
Ein erster Streitpunkt: Die Frage, ob es vor Friedensverhandlungen einen Waffenstillstand geben muss. Die Ukraine verlangt dies seit Monaten, Russland lehnt dies seit Monaten ab. Bis zu seinem Treffen mit Putin verlangte das auch Trump, hinterher nicht mehr. Merz widersprach in Washington: „Eine echte Verhandlung kann es nur auf einem Gipfel geben, an dem die Ukraine selbst auch teilnimmt. Ein solcher Gipfel ist nur denkbar, wenn die Waffen schweigen.“ Der Bundeskanzler forderte, „Druck auf Russland auszuüben“. Der US-Präsident reagierte: „Ich weiß nicht, ob das nötig ist.“
Ein zweiter Streitpunkt: Der Inhalt eines möglichen Friedensabkommens. Seit dem Alaska-Gipfel ist klar, was Putin und Trump verlangen: Die Ukraine soll nicht nur die Krim als Teil Russlands anerkennen und darüber hinaus auf alle russisch besetzten Gebiete im Süden und Osten ihres Landes verzichten, sie soll auch den noch nicht russisch besetzten Teil des Gebiets Donezk abgeben – im Gegenzug sichert Russland zu, den Rest der Ukraine nicht mehr anzugreifen.
Aus US-Sicht ist das verschmerzbar: der restliche Donbass ist auf den Landkarten ein winzig kleiner Fleck, der nun wirklich nicht wert ist, dass man dafür den Krieg verlängert. Die Realität allerdings ist etwas anders. Kein Frontbereich ist heftiger umkämpft, nirgends sind in diesem Krieg die russischen Verluste größer und die ukrainischen Verteidigungsstellungen stärker als in diesem Abschnitt von Pokrowsk bis Lyman nördlich von Slowjansk. Es erscheint undenkbar, dass die Ukraine ihre zentralste und stärkste Frontlinie mit mehreren Großstädten kampflos dem Feind überlässt.
Was ist mit Sicherheitsgarantien gemeint?
Was dazu in Washington gesagt wurde, bleibt unklar. Selenskyj sagte hinterher, die Territorialfrage werde er allein mit Putin besprechen. Als weiteren wichtigen Punkt nannte er die Rückkehr der nach Russland entführten ukrainischen Kinder – der Grund für den internationalen Haftbefehl gegen Putin und ein sehr emotionales Thema auch auf Ebene der First Ladies in Kyjiw und Washington.
Der dritte Streitpunkt ist der, von dessen Lösung alles andere abhängt: die zukünftigen „Sicherheitsgarantien“ des Westens für die Ukraine. „Sicherheitsgarantien sind der Schlüssel“, erklärte Selenskyj in Washington am Montag. Wenn man von der Ukraine Gebietsabtretungen verlange, müsse man im Gegenzug garantieren, dass Russland nie wieder angreift, sagte am Dienstag Nato-Generalsekretär Mark Rutte und nannte es einen „Durchbruch“, dass jetzt auch die USA dazu bereit seien. „Wir werden ihnen guten Schutz und sehr gute Sicherheit geben“, hatte Trump am Montag gesagt.
Aber was ist mit Sicherheitsgarantien gemeint? Allgemeine Sicherheitsgarantien ohne verbindlichen Charakter stehen bereits in den Sicherheitsabkommen, die die Ukraine mit mehreren Ländern geschlossen hat, auch Deutschland. Konkrete Sicherheitsgarantien, also eine militärische Beistandspflicht analog derer in der Nato, wären in der Praxis kaum umsetzbar. Erhöhte Sicherheitszusammenarbeit ist sehr wohl im Gespräch – von europäischen Waffenkäufen für die Ukraine in den USA in einem Wert von 90 Milliarden US-Dollar ist aktuell die Rede.
Noch weitergehend wäre die Idee, die Großbritanniens Premierminister Keir Starmer und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron entwickelt haben: eine mehrere zehntausend Soldaten umfassende Friedenstruppe einer europäischen „Koalition der Willigen“ zur Überwachung einer demilitarisierten Waffenstillstandslinie in der Ukraine. Zuletzt war davon mangels Kapazitäten kaum noch die Rede, jetzt kommt es wieder auf den Tisch, wobei klar ist, dass die USA nicht dabei sein werden. Die Ukraine „wird französische, britische und deutsche Streitkräfte bekommen“, sagte Trump am Dienstag gegenüber Fox News.
Das lehnt Russland rundheraus ab. Doch nur wenn die Europäer ihre Unterstützung für die Ukraine massiv ausweiten, könnte ein Friedensschluss nach den aktuellen Vorstellungen gelingen. Es bleibt eine Quadratur des Kreises.
Derweil wäre es für Selenskyj schon ein kleiner Punktsieg, wenn Putin bereit wäre, ihn direkt zu treffen. Und für Trump wäre es eine Bestätigung. Für die nächsten Tage immerhin ziehen die Präsidenten der USA und der Ukraine wieder an einem Strang.
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