Giffeys Sicht auf Berliner Krisenlage: „Wir haben keinen Krieg“
Regierungschefin Giffey stellt Inflation und Energienot ins Verhältnis zu schlimmeren Zeiten in Berlins Geschichte und kritisiert Protestaufrufe.
taz | Es sind manchmal die Nebentöne, die genauso viel sagen wie ganze Texte. Tief in einem gut halbstündigen Vortrag beim Verein Berliner Wirtschaftsgespräche hat Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) am frühen Mittwochmorgen klargemacht, dass sie nicht in Katastrophenstimmung in die von vielen gefürchteten kommenden Wintermonate gehen mag. Sie kritisiert, dass am linken wie am rechten Rand zu Protesten aufgerufen wird, sie sagt mit Blick auf Berlin: „Wir haben keinen Krieg.“ Und sie kommt auf Louise Schroeder zu sprechen, 1947 bis 1948 im zerstörten Berlin als einzige Frau vor ihr an der Spitze der Stadt: „Denken Sie mal daran, was die alles für Aufgaben hatte.“ Was offensichtlich bedeuten soll: Bitte die Kirche im Dorf lassen trotz Energieknappheit und Inflation.
Die Wirtschaftsgespräche, bei denen sie so zu hören ist, sind ein 300 Mitglieder großer wirtschaftspolitischer Verein, zu dessen Vorstand auch drei Landesparlamentarier von SPD, Grünen und FDP sowie zwei CDU-Funktionäre gehören. Er lädt regelmäßig führende Leute aus der Politik zu Vortrag und Gespräch ein. Man schaffe damit „einen relevanten Zugang in die Berliner Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft“, schreibt der Verein über sich.
In dieser Reihe ist am Mittwochmorgen Giffey zu Gast bei einem „Politischen Frühstück“. Das Ganze fällt etwas kürzer aus als schon länger geplant, weil Giffey anschließend aus aktuellem traurigen Anlass den Bundespräsidenten zu Gast im Roten Rathaus hat – er will sich in das Kondolenzbuch für den verstorbenen Michail Gorbatschow eintragen.
Für die entscheidenden Botschaften aber ist dennoch Zeit, denn sie sind kurz und prägnant. Zwei Versprechen sind es: „Wir bringen Berlin gut durch die Krise“, sagt Giffey und gleich danach: „Wir sorgen für eine funktionierende Stadt.“ Was für sie auch die soziale Infrastruktur einschließt und etwa bedeuten soll, Angebote wie einen Jugendtreff oder ein Mehr-Generationen-Haus offen zu halten.
Ampel-Hilfspaket „noch ergänzungswürdig“
Ein „kluges Ergänzungs-Entlastungspaket“ verspricht die Regierungschefin, das Lücken im jüngst vorgestellten Paket der Ampelkoalition auf Bundesebene schließen soll. Denn das sei „noch ergänzungswürdig“. Ganz zentral ist aus Giffeys Sicht zu verhindern, dass Menschen in Obdachlosigkeit rutschen, weil sie die Heizkosten nicht mehr bezahlen können.
„Seriöse Zuversicht“ nennt Giffey ihre Sichtweise, „nicht himmelhoch jauchzend, aber auch nicht zu Tode betrübt“. Sie weist auf Details hin, die dafür sorgen würden, dass es in den nächsten Monaten eben „kein Dunkeltuten“ gebe. Diesen sonst wenig geläufigen Begriff hat sie jüngst auch bei anderen Gelegenheiten schon benutzt – er soll ausdrücken, dass es bei allem Energiesparen nicht zappenduster in Berlin wird. „Ich finde es richtig, wenn die Weihnachtsbeleuchtung nicht völlig abgeschaltet wird“, sagt sie. Die ist zwar gerade noch nicht mal eingeschaltet, aber der Sinn ist klar.
Auch am Roten Ratshaus wird laut Giffey die Beleuchtung runtergefahren. Für drei Dinge aber soll das ihrer großen Symbolkraft wegen nicht gelten: Dauerhaft angestrahlt bleiben demnach die Uhr am Turm, die Berliner Flagge und die aus Solidarität seit Monaten gehissten blau-gelben ukrainischen Fahnen.
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