Gewessler über Import von russischem Gas: „Marktversagen in Österreich“
Im September wählt Österreich ein neues Parlament. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler will von russischem Gas loskommen, doch der Prozess stockt.
taz: Frau Gewessler, seit fast fünf Jahren sind Sie nun Klimaschutzministerin in einer Koalition mit der Mitterechts-Partei ÖVP. Wie überzeugt man Konservative vom Klimaschutz?
ist seit Januar 2020 Minsisterin in der österreichischen Regierung. Dort ist sie unter anderem für Klimaschutz, Energie und Mobilität zuständig. Als Kandidatin der Grünen bewirbt sie sich erneut um einen Sitz im österreichischen Nationalrat. Die Wahl findet am 29. Sepembter statt. Zuvor war Gewessler Geschäftsführerin der Umweltschutzorganisation Global2000.
Leonore Gewessler: Wir haben in den vergangenen fünf Jahren bewiesen, dass mutige Klimaschutzpolitik wirkt und mehrheitsfähig ist. Wir haben jetzt das zweite Jahr in Folge sinkende Emissionen. 2023 waren es 6,4 Prozent. Das sind gute Neuigkeiten, weil wir den klimapolitischen Stillstand früherer Koalitionen beendet haben.
taz: Trotzdem gibt es immer wieder Streit zwischen Ihnen und der ÖVP. Zum Beispiel, als Sie im Juni für das EU-Renaturierungsgesetz stimmten, obwohl Ihr Regierungspartner dagegen war. Bereuen Sie Ihr Vorgehen?
Gewessler: Nein. Ich stehe zu 100 Prozent hinter der Entscheidung. Das Renaturierungsgesetz ist das wichtigste Naturschutzgesetz, das die EU seit Jahrzehnten beschlossen hat. Es hat mich sehr gefreut, dass Österreich die Rolle des Ermöglichers gespielt hat und nicht die Rolle des Blockierers.
taz: Die ÖVP hat nach Ihrer Entscheidung angekündigt, Sie wegen Amtsmissbrauchs zu verklagen. Was ist aus dieser Klage geworden?
Gewessler: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat die Anzeige zurückgewiesen. Das zeigt: Meine Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz war richtig und keineswegs ein Rechtsbruch, wie von mancher Seite vorschnell behauptet wurde. Ich bin froh, dass es diese Klarheit nun gibt.
taz: Sie haben im Juni eine Strategie beschlossen, die vorsieht, bis Mitte der 2030er CO2 unterirdisch zu speichern. Noch ist Carbon Capture and Storage (CCS) verboten. Im österreichischen Energie- und Klimaplan steht aber, dass bereits 2030 0,5 Millionen Tonnen CO2 durch CCS-Verfahren eingespart werden sollen. Wie soll das funktionieren?
Gewessler: In bestimmten Bereichen, wie zum Beispiel in der Zementindustrie, können wir die Prozessemissionen nicht vollständig mit grünem Wasserstoff oder erneuerbarem Strom reduzieren. Wir haben uns deswegen darauf geeinigt, das Verbot in Österreich aufzuheben.
taz: Und Sie gehen davon aus, dass bis 2030 die CCS-Technologie auch zum Einsatz kommen wird?
Gewessler: Wir haben in unserem Klimaplan festgehalten, wie wir unser rechtliches Ziel tatsächlich erreichen können. Dazu zählen große Maßnahmen, wie die Förderung zum Heizkesseltausch, und kleinere, wie den Umstieg auf Biodiesel in der Landwirtschaft. Wir bepreisen CO2 und haben den Klimabonus, die österreichische Version des Klimageldes, eingeführt. Manche Dinge müssen aber erst noch umgesetzt werden, da gehört die CCS-Technologie dazu.
taz: Ihr Ministerium ist auch für die Energieversorgung zuständig. Gas wird noch immer zu einem großen Teil aus Russland importiert. Warum schaffen Sie es nicht, diesen Import zu reduzieren?
Gewessler: Klar ist, wir müssen raus aus der Abhängigkeit zu Russland. Da gibt es noch viel zu tun. Manches ist aber auch gelungen: Wir haben in den vergangenen Jahren unseren Gasverbrauch insgesamt um 20 Prozent reduziert. Gleichzeitig haben wir die Erneuerbaren im Rekordtempo ausgebaut.
taz: Trotzdem kamen im ersten Halbjahr 2024 knapp 89 Prozent des importierten Gases aus Russland, mehr als zu Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine.
Gewessler: Ich werde diesen Prozentanteil weder kleinreden noch rechtfertigen. Der ist zu hoch. Wir sehen in Österreich ein Marktversagen. Wir haben genug nichtrussisches Gas am europäischen Markt. Wir haben die Leitungskapazitäten, um dieses Gas nach Österreich zu bringen, aber es passiert nicht. Deswegen habe ich ein Gesetz vorgeschlagen, das die Gasversorger dazu verpflichtet, einen steigenden Anteil von nichtrussischem Gas in ihrem Gasmix aufzunehmen. Bis 2027 soll Österreich dann aus russischem Gas aussteigen.
taz: Der Gasliefervertrag zwischen der russischen Gazprom und der österreichischen OMV läuft noch bis 2040. Kann man diesen Vertrag einfach so umgehen?
Gewessler: Ich habe für diesen Zweck eine Kommission eingesetzt, die unter der Leitung von zwei renommierten Jurist:innen erstmals Einblicke in die Verträge bekommt, natürlich unter Wahrung aller Geschäftsgeheimnisse und unternehmensrechtlichen Verpflichtungen. Die Kommission wird sich dieser Frage widmen.
taz: Weil Österreich dem Kreml viel Geld für russisches Gas überweist, wird der Regierung vorgeworfen, den Krieg finanziell und somit indirekt zu unterstützen.
Gewessler: Die Vertragsverlängerung wurde 2018 – vier Jahre nach der Annexion der Krim – beschlossen und war ein dramatischer Fehler. Wir haben gesehen, wie teuer uns dieser Fehler zu stehen gekommen ist: Wladimir Putin entscheidet, ob wir unsere Wohnungen heizen können oder unsere Industrie produzieren kann. Wir haben aber auch eine moralische Verpflichtung, aus dem Vertrag auszusteigen, denn damit wird über Umwege das russische Budget für den Krieg aufgebracht.
taz: Vor fünf Jahren waren die Grünen auf Erfolgskurs. Jetzt sinkt die Zustimmung. Ist Klimaschutz den Menschen weniger wichtig geworden?
Gewessler: Nein. Ich spüre tagtäglich, dass den Menschen Klimaschutz nach wie vor ein sehr wichtiges Anliegen ist. Den Menschen ist bewusst, dass die Klimakrise für unseren Wohlstand und unsere Sicherheit ein Problem darstellt.
taz: Wenn Klimaschutz nicht an Bedeutung verloren hat, wie erklären Sie sich dann die fallenden Zustimmungswerte der Grünen?
Gewessler: In der öffentlichen Debatte ist Klimaschutz sicher überlagert von anderen Themen. Dennoch bleibt das grüne Konzept, Wohlstand und Wirtschaftsstandort durch Klimaschutz zu sichern. Das galt bei der Wahl 2019 und gilt auch jetzt. Wir befinden uns in einem anderen Umfeld und dementsprechend auch auf einer Aufholjagd in dieser Wahl.
taz: Haben die Grünen denn auch Fehler gemacht?
Gewessler: Die Diskussion rund um die Renaturierungsverordnung war eine, die uns in Österreich zwei Jahre begleitet hat. Ab einem gewissen Zeitpunkt wurde sie aber von Fake News und teilweise von Lügenpropaganda bestimmt. Landwirt:innen wurde eingeredet, ihre Gründe würden enteignet werden. Hätten wir hier die Fake News früher klar benennen müssen? Ja, heute würde ich früher hinschauen.
taz: Zeigt dieses Beispiel auch, dass es schwierig ist, den Menschen effektiven Klimaschutz zu vermitteln?
Gewessler: Nein, das glaube ich nicht.
taz: Warum nicht?
Gewessler: Weil der Weg, den wir in den letzten Jahren gegangen sind, sehr viel Resonanz findet. Wir haben dafür gesorgt, dass Klimaschutz einfach, effizient und günstig ist. Das Klimaticket, mit dem alle öffentlichen Verkehrsmittel benutzt werden können, ist eines meiner Lieblingsbeispiele dafür.
taz: Vor fünf Jahren traten Sie in die Politik ein und wurden schnell Teil der Regierung. Würden Sie der Politik den Rücken kehren, falls Ihre Partei nicht mehr in der Regierung ist?
Gewessler: Nein, ich werde der Politik erhalten bleiben.
taz: Egal ob in der Opposition oder der Regierung?
Gewessler: Ja, weil ich davon überzeugt bin, dass grüne Politik einen echten Unterschied macht – für das Klima und für die Menschen in unserem Land. Die grüne Regierungsbeteiligung hat das Land grüner gemacht. Sie hat auch die unabhängige Justiz gestärkt und die Familien- und Sozialleistungen automatisch an die Teuerung angepasst.
taz: Sie stehen mitten im Wahlkampf. Natürlich müssen Sie betonen, was Sie alles erreicht haben. Aber gibt es etwas, das Sie in Ihrer politischen Laufbahn bereuen?
Gewessler: Wir haben vieles vom Regierungsprogramm umgesetzt. Es gibt Dinge, die nicht einmal im Regierungsprogramm standen und trotzdem eingeführt wurden, zum Beispiel das Einwegpfand. Aber es gibt auch Dinge, die offen geblieben sind. Eines davon ist der Bodenschutz.
taz: Die umstrittene Werbeaktion auf Festivals, bei der es für ein Tattoo ein Klimaticket geschenkt gab, bereuen Sie nicht?
Gewessler: Das war eine einmalige Aktion der GmbH, die das Klimaticket vertreibt. Sie hat sich an junge Erwachsene gerichtet, die einen anderen Umgang mit Tattoos haben als meine Generation. Es hat offensichtlich viel Aufmerksamkeit erregt, wenn Sie mich nach einem Jahr noch darauf ansprechen. Wir werden diese Aktion aber nicht wiederholen.
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