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Gewaltvorwürfe beim TurnenStabiles Missbrauchssystem

Kommentar von Johannes Kopp

Ex-Turnerin Tabea Alt und andere werfen dem deutschen Turnsport körperlichen und mentalen Missbrauch vor. Eine neue Kultur ist kein leichter Prozess.

Wie viel Schmerz ist normal? Tabea Alt 2017 bei der EM in Rumänien Foto: Catalin Soare/dpa

T urntraining trotz Schmerzen und Knochenbrüchen, Essstörungen und andauernden Demütigungen? Die erstmals öffentlich gewordenen Vorwürfe der ehemaligen deutschen Turnerin Tabea Alt aus Stuttgart kommen Ihnen irgendwie vertraut vor? Kein Wunder, mehr oder minder identische Beschreibungen wurden bereits vor vier Jahren am Bundesstützpunkt in Chemnitz von deutschen Turnerinnen formuliert. Und genau dies beschreibt das Problem. Es hat sich anscheinend vielerorts nichts verändert.

Der Deutsche Turner-Bund gelobte damals zwar einen grundlegenden Kulturwandel. Hoffnungsvoll stimmte, dass der DTB nicht die beliebte Geschichte vom Einzelfall auftischte, obwohl sich die Vorwürfe in Chemnitz auf die Trainerin Gabriele Frehse konzentrierten.

Die Erzählung von Tabea Alt ist zwar ebenfalls nicht frisch, weil sie dem DTB schon vor drei Jahren vom systematischen Missbrauch in Stuttgart berichtete, als ihr ramponierter Körper das Karriereende einforderte. Weil der DTB diese im Vergleich zur Causa Frehse nun viel struktureller angelegte Kritik, die sich nicht nur auf den Standort Stuttgart beschränkte, offenbar jahrelang ignorierte, muss dem Verband Scheinheiligkeit attestiert werden.

Viele Hinweise auf missbräuchliche Praktiken

Im Zuge der Aufarbeitung der Chemnitzer Vorfälle gab es schon von anderen Turnerinnen und Turnern Hinweise auf missbräuchliche Praktiken an anderen Trainingsstützpunkten. Der DTB sah aber nach eigenen Untersuchungen davon ab, Trainer zu sanktionieren. Man habe aus den Ergebnissen, hieß es damals ominös, „interne Maßnahmen“ abgeleitet. Derartige Neigungen zu intransparenten, internen Lösungen sind schon mal typisch für stabile Missbrauchssysteme.

Es ist gewiss kein leichtes Unterfangen für den Verband, eine neue, liberale Kultur des Leistungssports mit einer Großzahl von Trainerinnen und Trainern voranzutreiben, die jahrzehntelang ein autoritäres System getragen haben. Bundestrainer Gerben Wiersma hat bei seinem Amtsantritt behauptet, Spitzenturnen mit Spaß sei möglich. Diese Idee muss endlich konkret mit Leben gefüllt werden.

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taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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1 Kommentar

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  • Sach mal so - was ein alter Hut! Leider.

    Ähnlich wie beim (sorry) Barren der Pferde!



    Ohne entstehen in dieser anerkannten Quälöhsportart - 9,++ Leistungen nicht!



    Wie die damit einhergehenden ala long Körperschäden - insbesondere bei Frauen (eigentlich ab Mädchen)



    Es war - wenn ich mich recht erinner - Der Stern - der in den 70ern eine diesbezügliche Fotoserie über Abnutzungen & Deformierungen von (jungen - klar) Turnerinnen mit entsprechendem Artikel!



    Davon konnte einem schlicht nur schlecht werden! Gewußt Notiert Verhallt!



    Bis heute •



    Und alles mit Öffentlich-Staatlichen Mitteln subventioniert gefördert vor wie jenseits der Mauer - wie eben auch nach deren Fall!

    Na Mahlzeit