Gewaltsamer Übergriff an der Uni: Nahostkonflikt vor dem Amtsgericht
Fast ein Jahr nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung bei einer Antisemitismus-Vorlesung an der Uni Hamburg sprach nun das Opfer vor Gericht.

„Ich konnte nicht verorten, warum mir so viel Hass entgegenschlägt“, sagt S an diesem dritten Prozesstag, und dass sie bis heute mit den Folgen zu tun habe: Neben der psychischen Belastung sei das Sehvermögen auf ihrem linken Auge beeinträchtigt. Zudem höre sie schlechter auf dem linken Ohr und leide unter starken Kopfschmerzen.
Mitte März begann der Prozess am Amtsgericht Hamburg gegen die 27-jährige Ayan M., unter anderem wegen Körperverletzung und Beleidigung. Sie soll Elisabeth S., die als Nebenklägerin auftritt, bei einem Tumult nach einer Ringvorlesung zu Antisemitismusdefinitionen beleidigt, geschlagen und gewürgt haben.
Die Angeklagte bestreitet die Vorwürfe. Mehrere Zeug:innen berichteten, dass sie zuvor als Teil einer Gruppe von pro-palästinensischen Aktivist:innen die Vorlesung besucht habe, aus deren Reihen die Fragerunde dann gestört worden sei. Dabei hätten sie Vortragenden und Veranstaltenden vorgeworfen, das Vorgehen der israelischen Regierung in Gaza zu rechtfertigen.
Großes Interesse am Gerichtsprozess
Das Interesse am Prozess ist groß. Wie schon beim Auftakt ist der Saal voll. Einige Zuschauende müssen an der Tür stehen, darunter Stefan Hensel, Hamburgs Antisemitismusbeauftragter. Das Publikum ist in zwei Gruppen geteilt: Ein paar Kufiyas werden auf der einen Seite des Saals getragen; gelbe Schleifen als Anstecker, das Zeichen der Solidarität mit den Geiseln in Gaza, auf der anderen. Wenn Menschen auf beiden Seiten tuscheln oder lachen, dann an unterschiedlichen Stellen.
Waren am ersten Prozesstag Unterstützer:innen von Elisabeth S. im Zuschauerraum noch in der Mehrheit gewesen, ist das an diesem Dienstag anders. Schon am Prozesstag davor waren mehr Menschen gekommen, um die Angeklagte zu unterstützen.
Nebenklägerin S. ist Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft Hamburg und Mitarbeiterin der International Christian Embassy Jerusalem (ICEJ) Deutschland. Für Elisabeth S. war die Auseinandersetzung nach der Vorlesung ein Angriff und politisch motiviert. Sie erklärt ihn sich damit, dass die Angeklagte Ayan M. sie als Ehefrau des Historikers Andreas B. identifiziert hat, der die Ringvorlesung organisiert hatte und am Dienstag ebenfalls als Zeuge aussagte.
Die Angeklagte dagegen sagt, dass ihre Auseinandersetzung mit S. „weder politisch noch religiös bedingt“ gewesen sei. Stattdessen soll Elisabeth S. ihr zuvor gedroht haben, sie eine Treppe herunterzustoßen. Das hatte M. am zweiten Prozesstag durch ihren Anwalt Adnan Aykaç verlesen lassen. Sie sei „erschrocken und entsetzt“ darüber, dass sie als Antisemitin diffamiert werde, ließ die Angeklagte weiter erklären.
Verteidiger hat Zweifel an Aussagen der Nebenklägerin
Elisabeth S. hat nach dem Vorfall mehreren Medien Interviews gegeben, darunter der Bild, dem Spiegel und Hamburger Abendblatt. Danach fragt sie am Dienstag nicht nur die Richterin, sondern auch die Staatsanwältin.
Für Ayan M.s Verteidiger sind die Interviews ein gefundenes Fressen: Er versucht Widersprüche herauszuarbeiten zwischen dem, was S. den Journalisten gesagt hat und was vor Gericht. Auch ließ der Verteidiger am dritten Prozesstag ein Video zeigen, auf dem sich der Vorfall kürzer darstellte, als S. es vor Gericht gesagt hatte.
Er beantragt, einen Bild-Journalisten zu laden, um zu klären, ob Elisabeth S. ihm den Vorfall anders geschildert habe. Ihr Anwalt Otmar Kury entgegnet, Journalist:innen beriefen sich vor Gericht auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht – er wisse das aus eigener langjähriger Tätigkeit für Springer und den Spiegel.
Der Verteidiger nennt den Nebenklagevertreter daraufhin „großen Lobbyist“. Schon am ersten Prozesstag hatte Aykaç zusammenhangslos darauf hingewiesen, dass Kury Mitglied im Freundeskreis der israelischen Shoa-Gedenkstätte Yad Vashem ist. Wiederholt spricht der Verteidiger während des Prozesses von einer „Lobby“ der Nebenklägerin.
Antisemitismus spielt in der Anklage keine Rolle
Ob die Auseinandersetzung zwischen Ayan M. und Elisabeth S. antisemitisch motiviert war, spielt in der Anklage keine Rolle: Vor Gericht geht es allein um die Frage, ob M. der Beleidigung und Körperverletzung schuldig ist.
Man müsse den Vorfall im Zusammenhang sehen, sagt Elisabeth S.s Ehemann, als ihn die Richterin befragt. Seine Frau sei ein „Ersatzopfer“, sagt er. „Die eigentliche Kritik richtet sich gegen den Staat Israel. Da der in dem Moment nicht greifbar ist, nimmt man Personen, wo man annimmt, dass sie solidarisch mit Israel sind.“
Für diesen Freitag sind die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Nebenklage geplant. Das Urteil will das Gericht am 28. April verkünden.
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