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Gewaltsamer Übergriff an der UniNahostkonflikt vor dem Amtsgericht

Fast ein Jahr nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung bei einer Antisemitismus-Vorlesung an der Uni Hamburg sprach nun das Opfer vor Gericht.

Sieht sich zu Unrecht als Antisemitin diffamiert: Die Angeklagte M. neben ihrem Anwalt am Prozessauftakt im Amtsgericht Hamburg Foto: David Hammersen/dpa

Hamburg taz | Manchmal kann Elisabeth S. nicht weiter sprechen. Die 57-Jährige fängt mehrmals an zu weinen, als sie am Dienstag vor Gericht als Zeugin erzählt, wie sie den Vorfall nach einer Antisemitismus-Vorlesung an der Uni Hamburg im Mai 2024 erlebt hat.

„Ich konnte nicht verorten, warum mir so viel Hass entgegenschlägt“, sagt S an diesem dritten Prozesstag, und dass sie bis heute mit den Folgen zu tun habe: Neben der psychischen Belastung sei das Sehvermögen auf ihrem linken Auge beeinträchtigt. Zudem höre sie schlechter auf dem linken Ohr und leide unter starken Kopfschmerzen.

Mitte März begann der Prozess am Amtsgericht Hamburg gegen die 27-jährige Ayan M., unter anderem wegen Körperverletzung und Beleidigung. Sie soll Elisabeth S., die als Nebenklägerin auftritt, bei einem Tumult nach einer Ringvorlesung zu Antisemitismusdefinitionen beleidigt, geschlagen und gewürgt haben.

Die Angeklagte bestreitet die Vorwürfe. Mehrere Zeu­g:in­nen berichteten, dass sie zuvor als Teil einer Gruppe von pro-palästinensischen Ak­ti­vis­t:in­nen die Vorlesung besucht habe, aus deren Reihen die Fragerunde dann gestört worden sei. Dabei hätten sie Vortragenden und Veranstaltenden vorgeworfen, das Vorgehen der israelischen Regierung in Gaza zu rechtfertigen.

Großes Interesse am Gerichtsprozess

Das Interesse am Prozess ist groß. Wie schon beim Auftakt ist der Saal voll. Einige Zuschauende müssen an der Tür stehen, darunter Stefan Hensel, Hamburgs Antisemitismusbeauftragter. Das Publikum ist in zwei Gruppen geteilt: Ein paar Kufiyas werden auf der einen Seite des Saals getragen; gelbe Schleifen als Anstecker, das Zeichen der Solidarität mit den Geiseln in Gaza, auf der anderen. Wenn Menschen auf beiden Seiten tuscheln oder lachen, dann an unterschiedlichen Stellen.

Waren am ersten Prozesstag Un­ter­stüt­ze­r:in­nen von Elisabeth S. im Zuschauerraum noch in der Mehrheit gewesen, ist das an diesem Dienstag anders. Schon am Prozesstag davor waren mehr Menschen gekommen, um die Angeklagte zu unterstützen.

Nebenklägerin S. ist Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft Hamburg und Mitarbeiterin der International Christian Embassy Jerusalem (ICEJ) Deutschland. Für Elisabeth S. war die Auseinandersetzung nach der Vorlesung ein Angriff und politisch motiviert. Sie erklärt ihn sich damit, dass die Angeklagte Ayan M. sie als Ehefrau des Historikers Andreas B. identifiziert hat, der die Ringvorlesung organisiert hatte und am Dienstag ebenfalls als Zeuge aussagte.

Die Angeklagte dagegen sagt, dass ihre Auseinandersetzung mit S. „weder politisch noch religiös bedingt“ gewesen sei. Stattdessen soll Elisabeth S. ihr zuvor gedroht haben, sie eine Treppe herunterzustoßen. Das hatte M. am zweiten Prozesstag durch ihren Anwalt Adnan Aykaç verlesen lassen. Sie sei „erschrocken und entsetzt“ darüber, dass sie als Antisemitin diffamiert werde, ließ die Angeklagte weiter erklären.

Verteidiger hat Zweifel an Aussagen der Nebenklägerin

Elisabeth S. hat nach dem Vorfall mehreren Medien Interviews gegeben, darunter der Bild, dem Spiegel und Hamburger Abendblatt. Danach fragt sie am Dienstag nicht nur die Richterin, sondern auch die Staatsanwältin.

Für Ayan M.s Verteidiger sind die Interviews ein gefundenes Fressen: Er versucht Widersprüche herauszuarbeiten zwischen dem, was S. den Journalisten gesagt hat und was vor Gericht. Auch ließ der Verteidiger am dritten Prozesstag ein Video zeigen, auf dem sich der Vorfall kürzer darstellte, als S. es vor Gericht gesagt hatte.

Er beantragt, einen Bild-Journalisten zu laden, um zu klären, ob Elisabeth S. ihm den Vorfall anders geschildert habe. Ihr Anwalt Otmar Kury entgegnet, Jour­na­lis­t:in­nen beriefen sich vor Gericht auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht – er wisse das aus eigener langjähriger Tätigkeit für Springer und den Spiegel.

Der Verteidiger nennt den Nebenklagevertreter daraufhin „großen Lobbyist“. Schon am ersten Prozesstag hatte Aykaç zusammenhangslos darauf hingewiesen, dass Kury Mitglied im Freundeskreis der israelischen Shoa-Gedenkstätte Yad Vashem ist. Wiederholt spricht der Verteidiger während des Prozesses von einer „Lobby“ der Nebenklägerin.

Antisemitismus spielt in der Anklage keine Rolle

Ob die Auseinandersetzung zwischen Ayan M. und Elisabeth S. antisemitisch motiviert war, spielt in der Anklage keine Rolle: Vor Gericht geht es allein um die Frage, ob M. der Beleidigung und Körperverletzung schuldig ist.

Man müsse den Vorfall im Zusammenhang sehen, sagt Elisabeth S.s Ehemann, als ihn die Richterin befragt. Seine Frau sei ein „Ersatzopfer“, sagt er. „Die eigentliche Kritik richtet sich gegen den Staat Israel. Da der in dem Moment nicht greifbar ist, nimmt man Personen, wo man annimmt, dass sie solidarisch mit Israel sind.“

Für diesen Freitag sind die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Nebenklage geplant. Das Urteil will das Gericht am 28. April verkünden.

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13 Kommentare

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  • "Ob die Auseinandersetzung zwischen Ayan M. und Elisabeth S. antisemitisch motiviert war, spielt in der Anklage keine Rolle: ..."

    Ist bekannt, weshalb "Antisemitismus" in diesem Prozess und zu wessen Gunsten keine Rolle spielt? Ich denke an den anderen derzeit laufenden Prozess um das Opfer Herrn Shapira, in dem Antisemitismus zu einer höheren Strafe führen würde.

  • Da fühlt sich die Angeklagte als "Antisemitin" diffamiert und ihr Verteidiger faselt umgehend was von einer "Lobby der Nebenklägerin"... besser kann man seinen Fall vermutlich nicht in den Sand setzen.

    Sag, dass Du ein Judenhasser bist, ohne zu sagen, dass Du ein Judenhasser bist... Kopfschütteln.

    • @Metallkopf:

      Die DIG ist quasi offiziell ein Lobbyverein, mit Verbindungen in die Bundespolitik, das gesamte bürgerliche Politikspektrum von CDU bis Linkspartei, und tw. sogar bis ins vermeintlich linksradikale Milieu. Volker Beck und Co. schreiben in Leitmedien Gastkommentare.

      Es ist ein wenig lächerlich, das als antsemitisches Verschwörungsgeraune abzutun.

  • Wenn der Verteidiger im Zusammenhang mit Yad Vashem von Lobby schwadroniert, ist er sich des Beifalls aller deutschen Nazis und Neonazis sicher. Judenvernichtung hat es für die nie gegeben - siehe Pamphlete wie "Die Auschwitzlüge".



    Das im Artikel geschilderte Auftreten des Verteidigers legt nahe, dass er selbst Antisemit ist.

    • @e2h:

      Nach einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung sind 26% der Muslime in Deutschland der Meinung, dass "reiche Juden die eigentlichen Herrscher der Welt" seien.

  • Die Diskussion ob Frau Ayan handgreiflich wurde oder ob nicht, verwässert oder besser normalisiert den Fakt, dass an deutschen Universitäten keine intelektuelle Gelassenheit sondern handgreifliches Proletentum herrscht. Damit ist klar, es ist das falsche Publikum dort anzutreffen. Jedenfalls hat eine Frau Ayan dort wirklich nichts zu suchen.



    "Neben der psychischen Belastung sei das Sehvermögen auf ihrem linken Auge beeinträchtigt. Zudem höre sie schlechter auf dem linken Ohr."



    Das ist schlicht Körperverletzung und sollte für ein paar Jahre Bunker reichen. Über ihren Verteidiger zündet Frau Ayan noch einige Nebelkerzen, die hoffentlich vom Gericht als solche erkannt werden.

    • @maxwaldo:

      "Das ist schlicht Körperverletzung und sollte für ein paar Jahre Bunker reichen."

      Das kann ich nicht einschätzen. Mir erscheinen die Urteile, wenn es um Körperverletzung geht, manchmal erstaunlich milde, aber ich bin keine Juristin und kenne meist auch nicht die Details über mutmaßliche Opfer und Täter. und den Tathergang. Üblicherweise ist mir nur das bekannt, was verschiedene Medien veröffentlichen.

      Schwierig könnte es für Frau Ayan werden, wenn ihr Aufenthaltstitel durch eine zu hohe Strafe "beschädigt" wird. Sie ist Somalierin; wie es scheint, ohne weitere deutsche Staatsbürgerschaft, zumindest wird nirgendwo eine deutsche Staatsbürgerschaft erwähnt.

    • @maxwaldo:

      Das Furchtbare ist ja, dass Gewalt als Stilmittel politischer Auseinandersetzung leider häufig von links verharmlost und schöngeredet wird - solange es nur gegen die geht, die man als legitime Ziele identifiziert hat.

      Und nein, antisemitische Gewalt ist eben gerade nicht automatisch "rechts", sodass sich Linke im Umkehrschluss bequem von ihr reinwaschen können. Für den jüdischen Menschen, der sich einem pöbelnden Mob gegenübersieht ist reichlich egal, ob sich der Hass aus rassistischer Verblendung nährt, oder aus Wut über das Verhalten einer Regierung Israels, die dann kurzerhand stellvertretend auf alle jüdischen Menschen übertragen wird.

  • Was meint der RA mit "Lobby"?



    Ist das die Fortentwicklung des Begriffs "Globalisten"?

    • @Axel Schäfer:

      Vielleicht die Deutsch-Israelische Gesellschaft, der die Betreffende angehört? Oder generell die Teile des Juste Milieu, die die "Staatsräson" ggü. Israel befürworten?

    • @Axel Schäfer:

      Sie haben es erfasst... früher verschämt: "Kosmopoliten", dann unter den Nazis ohne jede Scheu: "Weltjudentum", dann "Internationale Eliten", später "Globalisten" und nun "Lobby"... Häufig im Zusammenhang mit jüdischen Organisationen. Aber nun, so etwas geht schon seit Längerem nach hinten los...

      • @DemianBronsky:

        Bezüglich der Begrifflichkeit / Verwendung von Lobby respektive Lobbyisten, bitte schon etwas differenzieren.

        • @Alex_der_Wunderer:

          Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, wenn jemand von Lobby spricht im Zusammenhang mit windigen Besuchern der Landwirtschaftsministeriums, ist es freilich eine andere Verwednung. Allerdings ist Lobby in diesem Zusammenhang *hier* stets derselbe spitzmäulige Verweis auf eine jüdische Verschwörung. Ich empfehle die Lektüre der entsprechenden Crowds bei X (eigentlich empfehle ich es nicht, aber man sollte es einmal im Leben wenigstens gesehen haben, was die deutsche antisemitische GenZ-Akademia so von sich gibt)... Manchmal haben sogar Felix Klein und Volker Beck "Glück" und werden in den Kreis der Verschwörer eingemeindet.