Gewalteskalation in Ecuador: 21 Schüsse am helllichten Tag
Ein Staatsanwalt, der zum Überfall auf einen TV-Sender ermittelte, wird auf offener Straße erschossen. Der Krieg zwischen Banden und Staat eskaliert.
Der Staatsanwalt hatte die Ermittlungen nach der Geiselnahme in einem Fernsehstudio geleitet. Die Bilder waren um die Welt gegangen und hatten ein internationales Schlaglicht auf die Gewalt geworfen, die Ecuador seit Monaten umtreibt. Suárez sollte herausfinden, welche der vielen bewaffneten Gruppen für die Live-Geiselnahme verantwortlich war. Drogenhandel, Terrorismus und organisierte Kriminalität waren sein Spezialgebiet.
Generalstaatsanwältin Diana Salazar betonte in einer Videoansprache, „die Banden organisierter Kriminalität, die Verbrecher, die Terroristen“ würden die Justizbehörden nicht von ihrer Arbeit abhalten. Es ist ein weiter Weg. Ecuador steckt in einer tiefen Sicherheitskrise. Kriminelle Banden kämpfen gegeneinander und gegen den Staat – und höhlen diesen teils von innen aus. Es geht um Macht und Geld, vor allem aus dem Drogenhandel.
Noboa bittet die USA um Hilfe
Vergangene Woche hatte Präsident Daniel Noboa den Ausnahmezustand ausgerufen, nachdem der wohl brutalste Drogenboss des Landes, José Adolfo Macías Villamar alias „Fito“, aus dem Gefängnis geflohen war – ein neuer Höhepunkt der Gefängniskrise. Die kriminellen Banden erklärten darauf der Staatsgewalt den „Krieg“. Es folgte eine Reihe von Explosionen, Angriffen, Überfälle, Tote – und besagte Live-Geiselnahme.
Die Polizei konnte die Mitarbeiter:innen des Senders befreien. Präsident Noboa sagte am selben Tag noch per Dekret 22 bewaffneten Banden den Kampf an. Ecuador befindet sich seitdem in einem „internen bewaffneten Konflikt“.
Noboa hat mittlerweile die USA und andere Länder um Unterstützung in der Krise gebeten. Er würde sich sehr über eine Zusammenarbeit mit den USA bei den Geheimdiensten und über Waffenlieferungen freuen, sagte Noboa in einem Interview mit Starmoderatorin Christiane Amanpour im US-amerikanischen Sender CNN. Demnächst sollen Vertreterinnen der US-Regierung nach Quito reisen.
Menschenrechtsorganisationen beobachten die Entwicklung in Ecuador mit Sorge – vor allem den erweiterten Einsatz von Militär in den Straßen. Es geht zunächst darum, die Kontrolle über die Gefängnisse zurückzubekommen. Die sind zur Schaltzentrale der kriminellen Organisationen geworden. In der Nacht auf Sonntag haben Polizei und Armee zumindest die letzten 136 Gefängnismitarbeiter befreit, die von meuternden Insassen als Geiseln genommen worden waren.
Wirtschaft leidet unter dem Ausnahmezustand
Der Präsident hat in dem Zusammenhang angekündigt, 1.500 kolumbianische Häftlinge aus den Gefängnissen „herauszuholen“ und „an der Grenze zu lassen“. Eine schwammige Wortwahl, die im Nachbarland Kolumbien für Irritation sorgte.
Der kolumbianische Justizminister Néstor Osuna erklärte, dass eine „Abschiebung“ bedeuten würde, dass die Freigelassenen sich als kolumbianische Bürger wieder frei bewegen dürften – auch wieder über die Grenze, sofern kein kolumbianischer Haftbefehl vorliegt. Laut der Zeitung El Espectador wäre eine Rückführung wegen eines bilateralen Abkommens aus den 90er Jahren nicht so einfach, wie sich das aus Noboas Mund anhört. Das ist nur in Einzelfallentscheidungen und nach objektiven Kriterien erlaubt – und mit Einverständnis des Gefangenen.
Es wäre sowieso mehr symbolische Geste als wahre Verbesserung. Das Beispiel zeigt, wie Noboa sich als der Macher mit harter Hand präsentieren will. Sicherheit war das große Wahlversprechen des jüngsten Präsidenten Ecuadors. Derweil läuft der 60-tägige Ausnahmezustand weiter. Inklusive nächtlicher Ausgangssperren im ganzen Land. Das bringt die einheimische Wirtschaft in zusätzliche Nöte. Die Präsidentin der Föderation der Handelskammern von Ecuador, Mónica Heller, hat die Regierung gebeten, die Ausgangssperre zu überdenken. Sie schade der Produktion im Schichtbetrieb und schwäche die Betriebe. Heller sprach sich für eine differenzierte Regelung aus. Denn nicht in allen Provinzen sei die Unsicherheit hoch.
Ecuador ist ein wichtiges Transitland für Kokain geworden, das von dortigen Häfen in die Welt geschickt wird. Laut des aktuellsten Berichts des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) kam 2021 knapp ein Viertel des in Europa beschlagnahmten Kokains aus Ecuador. In Guayaquil, wo der Staatsanwalt ermordet wurde, liegt ein wichtiger Hafen dafür.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht