Gewalteskalation im Westjordanland: Bushaltestellen mit Panzerglas

Vor zwei Tagen erschossen israelische Soldaten zwei Palästinenser im autonomen Ramallah. Einer von ihnen hatte eine Hochschwangere getötet.

Vermummter Palästinenser schwingt eine Steinschleuder

Vermummter Palästinenser mit Steinschleuder bei Ramallah Foto: reuters

„Rache, Rache – Al-Kassam-Brigaden“ rufen einige tausend Demonstranten in Ramallah nach dem Tod zweier ihrer Helden. Ashraf Naalwa und Saleh Barghouti sind bei der Verfolgungsjagd am Donnerstag von israelischen Soldaten erschossen worden. Naalwa tötete im Oktober zwei Israelis, Barghouti schoss am Sonntag auf eine hochschwangere Frau. Ihr Baby musste per Kaiserschnitt geholt werden und starb drei Tage später.

„Das palästinensische Volk ist bereit, sich zu opfern für unser Ziel: die Befreiung von der Besatzung“, frohlockt Hassan Jussuf, Hamas-Mitbegründer und einer der führenden Köpfe der islamistischen Bewegung im Westjordanland. Für die Hamas ist die neue Serie von Attentaten, Razzien und Demonstratio­nen eine gute Nachricht. Der Widerstand geht weiter, wenn nicht in Gaza, wo seit vier Wochen der Waffenstillstand hält, dann doch im Westjordanland. Sogar die Fatah, die hier das Sagen hat, würdigt die Kämpfer der gegnerischen Partei. „Ich bete für die Seelen der gerechten Märtyrer“, twitterte Regierungschef Rami Hamdallah.

Das Volk zürnt, und die Fatah kümmert sich wenig um eine Beruhigung, obschon die Polizei der Palästinensischen Autonomiebehörde zur Kooperation mit Israels Militär verpflichtet ist. „Dem palästinensischen Volk wird brutales Leid von der faschistischen barbarischen Regierung Netanjahus zu­gefügt“, erklärte Fatah-Funktio­när Kadura Fares in Ramallah die Aufregung, die radikale Siedler zusätzlich anfachten. Plakate an einer Kreuzung im nördlichen Westjordanland fordern dazu auf, Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, „den Finanzier des Terrors“, zu töten.

Ramallah ist A-Zone, autonomes palästinensisches Gebiet. Trotzdem sperrte die Armee die Zufahrt zur Stadt ab. Seit Tagen schon ziehen israelische Soldaten durch die Straßen. „Am helllichten Tag sind sie hier“, schimpft eine Passantin keine hundert Meter von der Mukataa, dem Sitz von Präsident Abbas, entfernt, was sie als „Demütigung“ empfindet und als „Verletzung der Abkommen“.

Jeder sieht sich im Recht

Die Soldaten drangen in die Räume einer Nachrichtenagentur ein, durchsuchten das Hauptquartier des palästinensischen Olympischen Komitees und statteten auch dem Büro von Hassan Jussuf einen Besuch ab. „Nur die Überwachungskameras“ hätten sie mitgenommen, berichtet eine Mitarbeiterin. Die Attentate, so kommentiert Jussuf, seien Folge der Razzien und Menschenrechtsverletzungen. „Was erwarten sie (die Israelis)?“ Natürlich habe die Besatzung „Konsequenzen“. Erst wenn Palästina befreit sei, „wird kein Blut mehr fließen“.

Den israelischen Demonstranten, die sich am Donnerstagabend vor dem Regierungssitz in Jerusalem versammelten, schwebt anderes vor. „Jüdisches Blut ist nicht wertlos“, riefen die Siedler, die dem Protestaufruf der jüdischen Ortsverwaltungen im Westjordanland gefolgt waren. Die richtige Antwort auf den neuen Terror sei, neue Siedlungen zu genehmigen, wild errichtete rückwirkend zu legalisieren, mehr Straßensperren und ein härteres Vor­gehen ­gegen die Hamas auch mit gezielten Hinrichtungen der Rädelsführer.

„Vielleicht sollte man die Bushaltestellen mit Panzerglas versehen“, schlägt Haim Silberstein vor, der Großvater des getöteten Babys. Seine Tochter hatte an der Hauptstraße, die ihre Siedlung mit Jerusalem verbindet, auf eine Mitfahrgelegenheit gewartet, als Bar­ghouti auf sie schoss. „Auf keinen Fall dürfen wir Schwäche zeigen“, meint Silberstein. Benjamin Netanjahu versprach, die Familienhäuser der Terroristen „binnen 48 Stunden“ niederreißen zu lassen. Außerdem will er den Siedlungsbau noch stärker vorantreiben.

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1961 in Berlin geboren und seit 2021 Co-Leiterin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.

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