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Gewaltdebatte nach dem G20-GipfelDistanzierung ist nicht alles

Kommentar von Christian Volk

Alles sinnlose Gewalt? Alles durch Linke? Wer Hamburg aus einer kritischen Perspektive analysieren will, muss schon genauer hinschauen.

Friedliche Proteste sind zweifellos ein Fest der Demokratie, aber häufig ohne politische Wirkung Foto: dpa

N achdem die Rauchwolken über der Hamburger Innenstadt sich verzogen haben, wird es Zeit, inne zu halten und sich zu fragen: Wie könnte eine kritische politische Haltung zum Geschehenen aussehen?

Eine kritische politische Haltung bestünde darin, sich der Medienlogik von „violence sells“ zu widersetzen, statt sie zu reproduzieren. Etwa, indem man die Gewaltbilder und Gewaltberichte über die Ausschreitungen auf Facebook teilt, entrüstet in den Chor der Empörung über die Sinnlosigkeit verwüsteter Blumenläden einstimmt, oft begleitet von der Klage, dass nun all die friedlichen und wichtigen Proteste gegen G 20 keine Aufmerksamkeit mehr bekämen.

Christian Volk ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politik und Recht am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. In seiner Forschung vereint er verfassungs-, politik- und gesellschaftstheoretische Analyse­perspektiven und geht derzeit der ­Frage nach, welche Bedeutung poli­tischer Protest in modernen Demo­kratien hat.

Das aber ist keine kritische politische Haltung, sondern eine boulevardeske postdemokratische Empörungsgeste, durch die man allenfalls sein eigenes Selbstbild als vermeintlich wachsame und kritische Bürger*innen zur Schau stellt. (Für den Fall, dass man dort lebt und unmittelbar davon betroffen ist, sieht die Sache anders aus.)

Eine kritische politische Haltung hieße, sich der medialen Emotionalisierung zu entziehen. Etwa durch die Auseinandersetzung mit jenen alternativen politischen Protestpraktiken, die ebenfalls in Hamburg stattfanden; sie würde auf Differenzierungen insistieren und sich nicht in Trivialitäten ereifern, wie der, dass das willkürliche Abfackeln herumstehender Kleinwagen und der ganze andere Mist mit gesundem Menschenverstand nicht nachvollziehbar und allenfalls in einem geschlossenen ideologischen Weltbild zu rechtfertigen sind (was die ganze Sache nur noch weniger nachvollziehbar macht). Und das gilt für Journalist*innen und beobachtende Bürger*innen gleichermaßen.

Zerstörungseifer nicht als Gegengewalt adeln

Eine dieser Differenzierungen bestünde dann darin, einmal den Satz „Protest ist in Ordnung und wichtig, solange er gewaltlos bleibt“ kritisch zu reflektieren. Dieses kritische Reflektieren dürfte dabei nicht dem umgekehrten Reflex anheimfallen, das martialische Auftreten der Polizei und ihre wirklich skandalöse Einsatzstrategie als vermeintliche Erklärungsursache und insgeheime Rechtfertigung für die Ausschreitungen heranzuziehen. Kurzum: Den willkürlichen Zerstörungseifer von einigen gleichsam als Gegengewalt zu adeln. Nein, das wäre ebenfalls grotesk.

Praktiken des zivilen Ungehorsams tragen mitunter zur Demokratisierung der Demokratie bei

Wichtig ist gerade jener Protest, der trotz alledem friedlich bleibt. Mit dem „trotz alledem“ ist nicht in erster Linie das – wie sich wahrscheinlich noch erweisen wird – rechtswidrige Aufsprengen des Demonstrationszugs am Donnerstag gemeint. Das „trotz alledem“ deutet auf den Umstand hin, dass friedlicher, aber fundamentaler Protest gegen den Zustand der westlichen Demokratien, den globalen Finanzkapitalismus, den fragwürdigen Politiken der G20 und dem neuen Autoritarismus die Ordnung mehr stabilisiert, als dass er sie verändert. Die politischen Eliten können darauf verweisen, wie lebhaft und vital die moderne Demokratie doch sei, und welchen Unterschied es doch mache, hier statt in der nicht-demokratischen Einöde zu leben.

Das ist wohl auch alles richtig, aber von dem Argument „Sie nennen es Demokratie, aber es ist keine“, bleibt unterm Strich wenig hängen.

Die linksautonome Szene ist keine Einheit

Friedliche Proteste sind zweifellos ein Fest der Demokratie, aber häufig ohne politische Wirkung. Das gilt es zwar auszuhalten, aber man muss es auch erst einmal können. Die linksautonome Bewegung gibt sich damit nicht zufrieden. Mittels direkter Aktion und Praktiken des zivilen Ungehorsams verwandeln sie die rhetorische Fundamentalkritik in eine praktisch reale. In Hamburg lautet diese „Welcome to hell!“.

Und an dieser Stelle muss erneut sehr gründlich hin geschaut werden. Denn erstens war es nicht „die linksautonome Szene“, die in Hamburg wütete, sondern es waren bestimmte Gruppen. Eine politische Bewegung ist keine homogene Einheit; sie hat kein Zentrum, sondern besteht aus vernetzten Gruppierungen und Einzelpersonen, die gerade in der linken Szene in ganz hohem Maße autonom agieren.

Zweitens bedeutet die Weigerung, einen generellen Gewaltverzicht zu erklären, nicht primär, dass man willkürlich Autos in Brand steckt, Läden plündert oder Pflastersteine wirft. Sondern es bedeutet in erster Linie, dass man gegen ein polizeilich verhängtes Aufenthaltsverbot verstößt, Orte und Plätze besetzt, Camps errichtet, von denen eine politische Symbolik ausgehen soll und mit Barrikaden ausstattet, um sie vor der Räumung zu schützen; sich einer polizeilich vorgegebenen Demonstrationsformation widersetzt; von der vorgegebenen Demonstrationsroute abweicht, um näher an den Ort des Gipfelgeschehens zu kommen oder um Zufahrtswege zu blockieren.

Diese Praktiken sind größtenteils nicht legal und bedeuten häufig Widerstand gegen die Staatsgewalt. Aber als Praktiken des zivilen Ungehorsams tragen sie mitunter zur Demokratisierung der Demokratie bei, indem sie Fundamentalkritik sichtbar und zum Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung werden lassen.

Davon zu unterscheiden ist das willkürliche, zweckfreie Zerstören. In diesem Zerstören mag vielleicht sogar noch eine politische Dimension lagern – denn es soll ja verhindert werden, dass in der Öffentlichkeit der Gipfel als erfolgreich oder als ein Fest der Demokratie ohne politische Wirkung wahrgenommen wird. Wenn schon keine politische Wirkung, dann schon lieber ein Fest des Chaos mit hohen Kosten, scheint man sich zu sagen – wenn man überhaupt noch in politischen Kategorien denkt.

In diesem willkürlichen Zerstören ist dann aber auch der letzte Bezug zur Idee des Demokratischen, zu öffentlichem Streit, Konflikt und Widerspruch aufgekündigt.

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10 Kommentare

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  • Ein guter Artikel!

    Mit derselben Akribie sollte mal eine nicht linke Demo analysiert, oder sollte ich sagen, zerlegt werden.

     

    Im grossen Kontext wird hier sehr einseitig berichtet und das wird noch mal ein Bumerang.

  • "Das aber ist keine kritische politische Haltung, sondern eine boulevardeske postdemokratische Empörungsgeste, durch die man allenfalls sein eigenes Selbstbild als vermeintlich wachsame und kritische Bürger*innen zur Schau stellt."

     

    Also in etwa so, wie die gesamte Regierung sich "empört, entrüstet und bestürzt" über islamistsiche Anschläge äußert?

    • @Jens Frisch:

      Genau. Mit der entsprechenden Haltung, die Ergebnisse zu verteufeln, am Status Quo der Ursachen auf keinen Fall rühren zu wollen.

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    Das müssten doch eigentlich alles selbstverständliche Basics sein. Marcuse? Repressive Toleranz? Die Lobby des Kapitals lacht sich einen über farbenfrohen gute Laune-Protest. Lob von Merkel ist der Gnadenschuß für die Gesellschaftskritik. Hooligans und Dummbrote sollten wiederum von Innen her isoliert und ausgegrenzt werden. Gewalt um der Gewalt willen ist nur die andere Seite der Leute, die am nächsten Tag durch die Straßen ziehen, um Fotos für ihre Accounts zu schießen und blödiglüsterne Skandalisierung zu betreiben.

  • Wer aufgefordert wird, sich zu distanzieren, bekommt doch quasie die moralische Verantwortung dafür in die Schuhe geschoben, was da nicht korrekt lief. Was soll sich ein friedlicher linker Demonstrant also von einem GEwalttäter distanzieren, der V-Mann ist oder von einem V-Mann geschickt angestachelt tätig wurde? Und hat sich je ein Innenminsiter dafür distanziert??? Was soll der sich von Rechtsextremen distnazieren, die eben auch gewalttäig dort auffielen?

     

    Mit welchem moralischen Recht werden überhaupt Distanzierungen von Leuten angefordert, die innerhalb der Demonstrationen gegen den G20-Gipfel nicht einmal den gewalttäigen Gruppen angehörten?

  • Muss man da mehr Politik erkennen als bei Fussball-Hooligans? Man müsste da eigentlich differenzierter hinsehen und das eher als soziales Phänomen betrachten. Denn irgendwas sagt mir, dass diese Leute Islamisten wären, wenn sie zufällig Moslems wären und so weiter.

     

    Gewalt hat eigentlich erst dann eine eindeutig politische Dimension, wenn sie zu Bürgerkriegen oder Regierungsstürzen führt. Bzw. vorher hat das bestenfalls erodierende Wirkung auf Politik, was nur insofern politisch ist wie Rauchen etwas mit gesundem Leben zu tun hat.

     

    Letztlich wird der Untergang der Linken so lange weitergehen, wie sie außer sinnentleerter Militanz und konzeptloser Traumtänzerei nichts vorzuweisen hat. Das durch den jämmerlichen Untergang der sozialistischen Staaten ausgelöste Trauma ist da bis heute weder verarbeitet worden, noch hat es eine Erneuerung gegeben. Der Rückfall auf anarchistische Ideen ist auch nicht zukunftsweisend, wenn er nur aus lustbetonter Destruktivität besteht. Wem ist da zuzutrauen, dass er nicht nur den globalen Kapitalismus stürzen, sondern dann auch eine bessere Welt aufbauen kann?

     

    "Be the change you want to see" klingt banal und ist schwer, aber alles andere ist sinnlos. Wer nicht friedlicher und gerechter ist als der globale Kapitalismus, dem wird man mit gutem Grund sein Reden von Frieden und Gerechtigkeit nicht abnehmen. DAS kann man schon gelernt haben.

  • "Das aber ist keine kritische politische Haltung, sondern eine boulevardeske postdemokratische Empörungsgeste, durch die man allenfalls sein eigenes Selbstbild als vermeintlich wachsame und kritische Bürger*innen zur Schau stellt. "

     

    Danke für diesen Absatz. Ich habe den Eindruck, es geht hier viel um Identitäten. "Guck mal, ich gehöre zu den Guten, ich räume jetzt hier auf und mache 'sauber'." "Polizisten, das sind Helden." " Die Linken gehören alle eingesperrt und abgebrannt."

     

    Gut-Böse, schwarz-weiß, hell-dunkel, sauber-dreckig, Held-Asozialer...Mann mann mann. Anstatt mit den Fingern auf Andere zu zeigen und sich darüber eine Identität zu schaffen, wäre es mal an der Zeit, dass jeder sich fragt, wo eigentlich Gewalt anfängt und wo Gewalt aufhört. Und was man selbst so in diese Welt trägt an Verhalten. I'm starting with the man in the mirror, oder so.

     

    Und unabhängig davon kann man sich dann mal die Ereignisse der letzten Tage, Woche und Monate anschauen, in Ruhe, sachlich und distanziert.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    "Sondern es bedeutet in erster Linie, dass man gegen ein polizeilich verhängtes Aufenthaltsverbot verstößt, Orte und Plätze besetzt, Camps errichtet, von denen eine politische Symbolik ausgehen soll und mit Barrikaden ausstattet, um sie vor der Räumung zu schützen; sich einer polizeilich vorgegebenen Demonstrationsformation widersetzt; von der vorgegebenen Demonstrationsroute abweicht, um näher an den Ort des Gipfelgeschehens zu kommen oder um Zufahrtswege zu blockieren."

     

    Das ist ja alles bingo bongo. Das sind aber alles Praktiken, die auch von Gewaltfreien vertreten und praktiziert werden. Oder beispielsweise auch von den italienischen Tute Bianche, die sich in einer Grauzone zwischen Militanz und Gewaltfreiheit bewegten.

     

    Den guten alten Zivilen Ungehorsam gibt es ja schon lange. Seinen Anfang nahm er in Deutschland wohl in Mutlangen, wo eine Kaserne blockiert wurde, in der Atomwaffen lagerten. Diese Leute waren absolut gewaltfrei und taten dennoch etwas illegales.

     

    Die Nonnen, die in den USA in Atomwaffenlager eindrangen und die Wände mit Parolen aus ihrem eigenen Blut beschrieben, waren absolut gewaltfrei und mussten für ihre Taten teilweise lange Jahre ins Gefängnis.

     

    Was ich sagen will, ist vielleicht das gute, alte: "Legal, illegal, scheissegal."

     

    Aber die eben beschriebenen Methoden, die Gruppen die sie praktizierten, haben nur sehr wenig bis gar nichts mit dem martialisch, fast paramilitärisch auftretenden Schwarzen Block gemein. Der strahlt Gewaltbereitschaft und Bedrohlichkeit aus.

     

    Und keiner kann mir sagen, dass es für die Militanten, die da mitmarschieren, nicht auch um eben diesen Kitzel geht. Man sagt ja nicht einfach im Vorfeld von so einer Sache, man werde den größten Schwarzen Block aller Zeiten auf die Beine stellen.

    Das ist eben ein Hinweis auf die Größe der Eier, die man hat. Und das ist auf derselben Ebene, auf der Dudde sagte: "Wir haben das ganze Besteck und wir nehmen raus, was wir brauchen."

  • "Friedliche Proteste sind zweifellos ein Fest der Demokratie, aber häufig ohne politische Wirkung " An dieser Stelle ist der Begriff der Verhältnismäßigkeit angezeigt. Wir sind hier nicht in Südamerika, nicht in Syrien oder der Türkei. Wir leben in einer Demokratie, (neuerdings einzuräumen mit einer Königsmutti), der Protest auf der Straße hat ohne Waffen (Aggression) stattzufinden. Nochmal VERHÄLTNISMßÄIGKEIT

  • Zum Siegeszug des spätbürgerlichen G20-Gewaltgipfel des Kapitals!

     

    Es wäre die Aufgabe einer sozialpolitischen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung, beides gibt es leider in Asien, Amerika, Deutschland und Europa so heute nicht mehr, den Protesten eine gesellschaftspolitische Richtung zu geben. Hier vor allem auch auf die ungleichen Wirtschaftsbeziehungen zu den Ländern und Regionen, aus denen die Rohstoffe und Bodenschätze für die westlichen und östlichen Wirtschafts- und Konsummetropolen kommen, laut und vernehmlich hinzuweisen.

     

    Mit der Implosion des irrealen Sozialismus und der damit verbundenen Implosion des proletarischen Internationalismus und der staatlich organisierten Arbeiterbewegung Osteuropas, endete auch die sozial- und gesellschaftspolitische, die internationale sozialrevolutionäre Befreiungsbewegung außerhalb und innerhalb der Wirtschafts-, Konsum- und Reichtumsmetropolen.

     

    Die vormals sozialrevolutionäre Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung wurde durch die klassenübergreifende rechts-sozialdemokratische „Sozialpartnerschaft“, – zwischen der Putzfrau und den Siemens-Springer-Mohn-Quandts, bürgerlich-ideologisch und gesellschaftspolitisch, erfolgreich ersetzt.

     

    Heute orientieren sich fast alle sozialen Bewegungen am kapitalistischen Konsumparadies in den westlichen und östlichen -imperialistischen- Metropolen. Ein Siegeszug der spätbürgerlichen Bewusstseinslagen, bis in die ärmsten Weltregionen. Auch die materielle, die ideologische und psychologische Bedürfnisorientierung der Mehrheit der jungen Menschen in den Armuts- und Fluchregionen, bestätigt diese sozialrevolutionäre Konterrevolution und Selbstaufgabe im Massenbewusstsein: vorerst noch weltweit!