Gewalt zwischen Israel und Gaza: Schwarzer Rauch über der Grenze

Zu Israels 70. Geburtstag erreicht die Konfrontation mit den Palästinensern einen blutigen Höhepunkt und stellt die US-Botschaftseröffnung in den Schatten.

Demonstrierende Palästinenser

Die Demonstranten in Gaza ließen sich auch von Warnungen Israels nicht abhalten Foto: reuters

JERUSALEM taz | Die zahlreichen Toten im Gazastreifen taten der feierlichen Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem keinen Abbruch. Während US-Botschafter David Friedmann vor 800 geladenen Gästen in Jerusalem die „moralische Klarheit“ von US-Präsident Donald Trump lobte und Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu frohlockte: „Heute eröffnet die größte Nation der Welt, unser größter Verbündeter ihre Botschaft in Jerusalem“, geriet im Gazastreifen alle paar Minuten ein palästinensischer Demonstrant ins Visier israelischer Scharfschützen. 41 Tote und über 1.700 Verletzte meldeten palästinensische Quellen am späten Nachmittag, auch von einem israelischen Luftangriff wurde berichtet.

Es war der blutigste Tag seit Beginn des „Großen Marsches der Rückkehr“ der Palästinenser im Gazastreifen. Trumps unilaterale Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels gab dem Unmut Zündstoff. Mit Steinschleudern und brennenden Autoreifen protestierten rund 40.000 überwiegend junge Männer auf palästinensischer Seite der Grenzanlagen.

Ende letzter Woche hatte Jihia al-Sinwar zum ersten Mal seit seiner Ernennung zum Chef des Hamas-Politbüros die internationalen Journalisten zu sich nach Gaza geladen. „Ich gehe nicht gern vor die Kamera“, meinte er gleich zu Beginn der streng bewachten Pressekonferenz, vor einem riesigen Foto des Jerusalemer Tempelberges sitzend. Er appellierte an die Korrespondenten, „objektiv zu berichten“. Sinwar ließ sich detailliert aus über das „Unrecht, das an den (1948) vertriebenen Palästinensern“ begangen wurde, die sich „keines Verbrechens schuldig gemacht haben“. Die Lebensumstände in Gaza seien „schwerer als im Gefängnis“.

Er muss es wissen. Mehr als sein halbes Leben saß der Mittfünfziger in israelischer Haft. Die Menschen im Gazastreifen, sagte er, seien wie ein „hungriger Tiger, der elf Jahre gefangen gehalten wurde“. Solange dauert die Herrschaft der Hamas in dem Küstenstreifen und Israels Blockade bereits an. „Dieser Tiger ist jetzt los“, warnte er, und „er wird die Zäune seines Gefängnisses niederreißen.“

Immer wieder Flächenbrände

„Lasst euch nicht verblenden“, appellierte Israels Verteidigungsminister Avigdor Lieberman an die Palästinenser im Vorfeld des Protesttages, und die Luftwaffe warf Flugblätter über dem Gazastreifen ab mit dem Aufruf, den Grenzanlagen fernzubleiben. „Die Hamas missbraucht euch, um von ihrem Versagen abzulenken. Sie bringt euch und eure Familien in Gefahr.“ Nach Angaben der Armee bezahle die Hamas Demonstranten dafür, Überwachungskameras zu demontieren. Das staatliche israelische Presseamt veröffentlichte Auszüge aus Verhören mit verhafteten palästinensischen Demonstranten. „Iran schickt Geld an die Hamas zur Finanzierung gewaltvoller Aktionen in der Grenzregion“, soll ein 19-jähriger Palästinenser ausgesagt haben. Ein anderer Häftling berichtete angeblich über Hamas-Mitglieder, die sich in zivil unter die Demonstranten mischen und Benzin ausgeben für mit Brandsätzen präparierte Drachen. Immer wieder meldet die israelische Feuerwehr Flächenbrände auf den Kornfeldern der benachbarten Kibbuzim.

„Die Truppen sind instruiert worden, auf mehrere radikale Entwicklungen vorbereitet zu sein“, heißt es in einer Mitteilung der Armee. Zu diesen „radikalen Entwicklungen“ gehören Angriffe mit Schusswaffen sowie „Sprengsätze, die beim Versuch, den Zaun zu durchbrechen, angebracht werden könnten“. Die Armee schickte mehrere tausend Soldaten zur Unterstützung des normalen Truppenaufgebots. Mindestens bis Freitag, dem Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan, bleibt die erhöhte Alarmstufe bestehen, wobei ein Sprecher der Hamas signalisierte, die Proteste bis zum 5. Juni fortzusetzen.

Israels größte Sorge ist, dass es Hamas-Kämpfern unter dem Schutz ziviler Demonstranten gelingt, die Grenzanlagen zu durchbrechen, einen israelischen Soldaten in ihre Hände zu bekommen und in den Gazastreifen zu entführen. Vor zwölf Jahren war der damals knapp 20-jährige Gilad Shalit durch einen Tunnel in den Gazastreifen verschleppt worden, wo er gut fünf Jahre gefangen blieb, bevor Israel den Soldaten im Handel gegen mehr als tausend palästinensische Hochsicherheitshäftlinge freikaufte. Einige der entlassenen Palästinenser waren später erneut an Terroranschlägen beteiligt. „Mit allen Mitteln“ will Lieberman jetzt Israel verteidigen und verhindern, dass palästinensische Demonstranten die Grenzanlagen durchbrechen. Entsprechend lautet Israels Order an die Scharfschützen.

Im Shifa-Krankenhaus sind sämtliche Urlaube gestrichen

Bei dem gerade 20 Jahre alten Moaz fallen die Warnungen auf taube Ohren. In den Augen seiner Freunde ist der Palästinenser schon jetzt ein Held. Vor gut einer Woche wagte er sich „bis auf 20 Meter“ an die Grenzanlagen heran und fing sich eine Kugel in den Unterschenkel. „Ich habe keine Angst vor dem Tod“, sagt der junge Mann der auch im Krankenhaus in Gaza seine Sportmütze nicht absetzt. Nur die bevorstehende Operation beunruhige ihn ein wenig. Er verzieht vor Schmerz das Gesicht, als ihn versehentlich jemand am Bein berührt. Völlig klar sei für ihn und für seine Freund, dass er „wieder an der Grenze demonstrieren“ wird, schließlich geht es „um mein Land“.

Für Ärzte und Krankenschwestern im Shifa-Krankenhaus, das größte des Gaza-Streifens sind sämtliche Urlaube gestrichen. Um die medizinische Versorgung steht es schlecht. Dr. Ayman al-Sahbani, Chef der Notaufnahme, beklagt den Mangel an einfachsten Medikamenten wie Antibiotika und Schmerzmitteln, die das palästinensische Gesundheitsministerium in Ramallah nur sporadisch liefern lässt. „Uns fehlt es an Orthopäden und Anästhesisten“, berichtet der Arzt. Seit Beginn der Unruhen Ende März seien im Gazastreifen 8.000 Verletzte behandelt worden. „Viele mussten wir vorzeitig entlassen, weil uns nicht ausreichend Betten zur Verfügung stehen.“ Jetzt werden es noch viel mehr.

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