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Gewalt in NigeriaKein Frieden für Amina

Nördlich von Nigerias Hauptstadt ist von staatlicher Ordnung wenig zu sehen. Gewalt nimmt den Menschen ihre Existenzgrundlage.

Amina Jibrin überlebte mit viel Glück ein Massaker, dem kurz vor Nigerias Wahlen im Februar rund 130 Menschen zum Opfer fielen Foto: Katrin Gänsler

Kaduna taz | Unter dem Mangobaum steht alles, was Amina Jibrin noch besitzt: ein paar bunte geflochtene Matten, ein Gebetsteppich, ein großes Plastikfass, ein Kochtopf. Eine Plane soll die Matratze vor dem Regen schützen. Von einem Ast baumelt eine Gebetskette mit Perlen in Beige.

Etwas zu essen hat die staatliche nigerianische Nothilfeagentur gebracht, als sie von dem informellen Flüchtlingslager an der Straße nach Wuro Gaya erfuhr. Dabei ist die Straße nur ein Trampelpfad im Süden des nigerianischen Bundesstaates Kaduna. Schon in der Trockenzeit ist sie kaum mit dem Auto erreichbar. Sobald der Regen einsetzt, wird sie unpassierbar. Dann werden auch die Äste des Mangobaums der 45-Jährigen und den fünf Kindern, für die sie sorgt, keinen Schutz bieten.

Amina Jibrin starrt in die Ferne, wenn sie von ihrer Flucht erzählt. Ihr Dorf Anguwan Dorawa wurde im Februar überfallen, am frühen Morgen, als die Kinder zur Schule aufbrachen. „Plötzlich kamen sie zurück und erzählten von bewaffneten Männern“, erinnert sich Amina Jibrin. Sie rannte um ihr Leben.

Vielen anderen Menschen gelang die Flucht nicht. Bei dem Massaker starben 130 Menschen. Gouverneur Nasir el-Rufai, der am vergangenen Samstag wiedergewählt wurde, sprach anfangs von 66 Toten. Dafür erhielt er viel Kritik.

Grafik: infotext

Insgesamt sind im Februar im Bundesstaat Kaduna mindestens 180 Menschen gewaltsam zu Tode gekommen. Am vergangenen Wochenende starben erneut 16 Personen. Doch erst am Mittwochmorgen hat die Landesregierung für den Landkreis Kajuru eine nächtliche Ausgangssperre verhängt.

Über WhatsApp werden Fotos von Leichen verschickt. Unter den Opfern sind auch alte Menschen und Kinder.

„Nur Gott weiß, wer wirklich dahinter steckt“, sagt Amina Jibrin zu dem Massaker in ihrem Dorf, „wir gehen davon aus, dass es die Kadara waren. Das sind unsere Nachbarn.“ Die Kadara, auch Adara genannt, sind eine der zahlreichen ethnischen Gruppen der Region. Eine Erklärung, warum ausgerechnet sie verantwortlich sein sollen, hat die Frau nicht.

Nigerias Regierungspartei festigt ihre Macht

Wahlen auf Bundesstaatsebene: Nach der Präsidentschafts- und Parlamentswahl haben die 190 Millionen Nigerianer am Samstag Gouverneure und Landesparlamente in 29 der 36 Bundesstaaten neu gewählt. Aufgrund technischer Probleme oder Störungen wird die Wahl in sechs Bundesstaaten am 23. März wiederholt.

Regierungspartei obenauf: Während die Bundesstaaten in Süd-Süd und Süd-Ost – das Ölfördergebiet des Niger-Flussdeltas und das ehemalige Biafra – für Kandidaten der Oppositionspartei PDP (People’s Democratic Party) stimmten, hat der Rest des Landes mehrheitlich die Regierungspartei APC (All Progressives Congress) gewählt. Einzige Ausnahme ist der Bundesstaat Oyo im Südwesten, wo die PDP siegte.

Gewalt forderte Tote: Laut zivilgesellschaftlichen Beobachtern kamen im Rahmen der Wahlen 58 Menschen ums Leben. In Süd-Süd und Süd-Ost sei das Militär stark zum Einsatz gekommen.

Eine knappe Autostunde entfernt in der Kreisstadt Kajuru hält Lara Karmu ihr Töchterchen auf dem Arm. Die Kleine hat tränende Augen, will nicht essen und sieht krank aus. Auch ihr Dorf Maro wurde überfallen, weshalb sie in die Grundschule von Kajuru geflüchtet ist. Dutzende Frauen und Kinder sind seit dem 27. Februar hier. 40 Menschen wurden in Maro getötet. Von wem? „Es waren die Fulani“, sagt Lara Karmu. Sie weiß aber nicht, ob das stimmt.

Die Mutmaßungen und Anschuldigungen machen die Lage kompliziert, sagt Saleh B. Momale, Kommissar der staatlichen Friedenskommission. Diese bringt Behörden, nichtstaatliche Organisationen, Sicherheitsdienste sowie Religionsvertreter und traditionelle Machthaber zusammen, um den Ursachen von Gewalt nachzugehen. „Ethnizität wird genutzt, um Konflikte anzuheizen“, sagt Momale. „Durch die massive Gewalt vertiefen sich die Gräben. Kaduna hat eine lange Geschichte von Gewalt und politischer Bitterkeit.“

Seit Mitte der 1980er Jahre kommt es im Bundesstaat regelmäßig zu schweren Ausschreitungen. Was als Gewalt zwischen muslimischen und christlichen Studenten begann, weitete sich 2000 und 2002 im Rahmen der Scharia-Einführung zu Pogromen mit Hunderten Toten aus. Zu schweren Kämpfen kam es im Umfeld der Präsidentschaftswahl von 2011, als klar wurde, dass der heutige Präsident und damalige Oppositionsführer Muhammadu Buhari verloren hatte. Im Ort Kafanchan brannten der Markt, Kirchen, Moscheen und ganze Straßenzüge nieder. Buhari wird bis heute vorgeworfen, seine Anhänger nicht zurückgehalten zu haben.

Friedliche Wahlen

„Es ist ein Erfolg, dass es dieses Mal nach der Präsidentschaftswahl friedlich geblieben ist“, sagt Saleh B. Momale. Im Vorfeld habe man Politiker, ihre Parteien und religiöse Meinungsführer zusammengebracht sowie die Wahlkampfrhetorik untersucht. Auch hätten sich die Sicherheitskräfte diplomatischer verhalten.

Bisher ist es auch nach den Gouverneurswahlen ruhig geblieben. Dabei galt gerade der Süden Kadunas als gefährdet, da sich Gouverneur el-Rufai dort im Laufe der Jahre unbeliebt gemacht hat. Dazu beigetragen hatte vor den Wahlen seine Äußerung, dass die Christen ihn nicht wählen würden, selbst wenn er den Papst zu seinem Vize machen würde.

John Joseph Hayab, Vorsitzender des christlichen Dachverbandes CAN (Christliche Vereinigung Nigerias) im Bundesstaat Kaduna, sagt: „Der Wille fehlt, die Gewalt wirklich zu stoppen.“ Die ländliche Region werde kaum geschützt. Hayab kritisiert, dass selbst nach ­Überfällen nichts geschieht. „Warum werden Sicherheitskräfte sofort wieder abgezogen?“ Über den Einsatz von Armee oder Polizei entscheidet in Nigeria die Zentralregierung – Landesregierungen können aber Sicherheitskräfte an­fordern.

Laut Friedenskommissar Momale wird in der aktuellen Diskussion eines außer Acht gelassen: „In den vergangenen zehn Jahren ist es im Norden Nigerias zu einem starken Anstieg von Gewalt durch bewaffnete Gangs gekommen. Diese Banden haben weder eine ethnische noch eine religiöse Identität.“ Sie seien in Netzwerken ähnlich denen des Drogenhandels zusammengeschlossen, würden gezielt Häuser überfallen oder Menschen umbringen. Sehen würde man nur die lokalen Akteure, aber nicht die Hintermänner. „Das ist alles viel komplexer. Wir fordern die Sicherheitskräfte auf, die Netzwerke aufzudecken.“

Amina Jibrin wünscht sich unterdessen nur eins: „Wir brauchen einen Ort, an dem wir leben können.“

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