Gewalt in Gefängnissen: Jeder vierte Insasse ist ein Opfer
Einer neuen Studie zufolge berichten Insassen von weit verbreiteter Gewalt in deutschen Gefängnissen. Jeder vierte Befragte gab an, Opfer von physischen oder psychischen Gewalt geworden zu sein.
HANNOVER dpa | Mobbing, Prügel und Vergewaltigungen – in deutschen Gefängnissen gehört Gewalt unter Häftlingen einer neuen Studie zufolge zum Alltag. Gut ein Viertel aller befragten Männer und Frauen gaben in der am Donnerstag veröffentlichen Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen an, in den vier Wochen vor der Befragung Opfer von Übergriffen geworden zu sein. Besonders schlimm ist die Situation demnach unter Jugendlichen: Hier machte fast die Hälfte Gewalterfahrungen.
„Es geht von der psychischen Gewalt, Mobbing, bis hin zur Vergewaltigung und Fast-totgeschlagen-werden“, sagte der Leiter des Institutes und Mitautor der Studie, Christian Pfeiffer, der Nachrichtenagentur dpa. Überraschend ist die massive Gewalt für den Kriminologen nicht. „Sehr oft geht es schlicht darum, die eigene angeschlagene Identität zu stabilisieren, indem man sich zum King aufschwingt und andere unterdrückt.“
Für ihre Untersuchung befragten die Wissenschaftler 4.985 Männer, 461 Frauen und 983 Jugendliche in 33 Gefängnissen in Bremen, Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen. 6.384 anonyme Fragebogen aus den Zeiträumen April/Mai 2011 und Januar bis Mai 2012 werteten sie aus.
Aus Angst vor Verbrechen meiden laut Studie viele Gefangene innerhalb der Gefängnisse Bereiche wie Duschen oder schlecht einsehbare Flure. Besonders auffallend ist, dass insbesondere Jugendliche meist darauf verzichten, Anzeige zu erstatten. Sie wollten nicht als Verräter gelten oder hätten schlicht Angst vor weiteren Attacken.
„Man sucht sich den Schutz von starken Mitgefangenen, um so etwas nicht noch einmal erleben zu müssen“, sagte Pfeiffer. „Das hat natürlich seinen Preis.“ Das könnten ein paar Zigaretten, aber eben auch andere Dienstleistungen sein.
An die Adresse der Justizvollzugsanstalten appellierte Pfeiffer, eventuell Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken, zum Beispiel mehr Bereiche mit Kameras zu überwachen. Zudem weist die Studie daraufhin, dass bautechnische Änderungen und auch mehr Aufsicht auf den Fluren die Sicherheit in den Anstalten verbessern könnten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen