Gewalt gegen Landtagsabgeordneten: Grünen zu Boden gerungen
Beschimpfungen ist der niedersächsische Landtagsabgeordnete Christian Schroeder gewohnt, nun wurde er zum ersten Mal körperlich attackiert.
Er war privat auf einer Musikveranstaltung in seiner Heimat Wittingen im niedersächsischen Landkreis Gifhorn, als er von einem Mann wegen seines politischen Engagements erst verbal angegriffen und kurz darauf zu Boden gerungen wurde. Angefeindet worden sei er als Grünen-Politiker schon oft, sagt Schroeder, auch als er noch in der Kommunalpolitik war. Heute ist er unter anderem Sprecher für Tourismus und Verbraucherschutz im Landtag Niedersachsen. Körperlich attackiert wurde er bisher aber noch nie.
Schroeder wollte gerade gehen, als er plötzlich beschimpft wurde und dann einen Schlag in den Nacken bekam. „Der Angreifer wollte weiter auf mich losgehen, couragierte Leute sind zum Glück dazwischen gegangen und haben mich schließlich zu meinem Fahrrad begleitet“, erzählt er.
Schroeder und sein Angreifer kennen sich persönlich, aus Kindertagen. Die beiden spielten früher zusammen im Verein und ihre Kinder sind heute im selben Handballteam. Sie hatten aber bis zu diesem Abend keinen persönlichen Kontakt und sich auch noch nie über ihre politischen Haltungen ausgetauscht. Schroeder sagt, dass die Attacke am Samstagabend nicht gegen ihn als Person gerichtet, sondern von einem „allgemeinen Grünen-Hass“ motiviert gewesen sei.
Nicht entschuldigt – Anzeige!
Die Beschimpfungen seien eindeutig gewesen, auch wenn er sich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnere. Derartige Handgemenge seien auf solchen Feiern zwar nicht unüblich, sagt Schroeder, dieses war aber klar gegen sein Amt gerichtet, also politisch motiviert.
Einen Tag ließ Schroeder dem Angreifer Zeit, sich bei ihm zu entschuldigen, schließlich wisse dieser, wo er wohne. Am Montag erstattete er dann aber Anzeige. Die Ermittlungen führt nun das für den Staatsschutz zuständige Fachkommissariat. Das Verfahren wegen Körperverletzung richtet sich laut Polizei gegen einen 45-Jährigen.
Zu dem Zeitpunkt hatte sich die ganze Sache in der 12.000-Einwohner*innenstadt Wittingen ohnehin schon rumgesprochen. Schroeder erzählt, er sei auf der Straße gefragt worden, ob man diese Angelegenheit denn nicht „unter Männern klären“ könne. Andere haben ihn ermutigt, sich so etwas nicht gefallen zu lassen. In den sozialen Netzwerken wurde der Grünen-Abgeordnete dazu aufgefordert „sich nicht so anzustellen“.
Diese Art der Häme sei mittlerweile Tagesgeschäft, erzählt Schroeder. In den Ortsräten habe man sich mittlerweile an verbale Attacken gewöhnt, überrascht sei davon niemand mehr. „Wir schaffen es nicht mehr, vernünftig miteinander zu reden“, sagt Schroeder.
Anne Kura, Fraktionschefin der Grünen in Niedersachsen
Übergriffe wie der auf den Grünen-Abgeordneten sind kein Einzelfall mehr. Laut dem Innenministerium Niedersachsen ist die Zahl der Straftaten gegen Amts- und Mandatstragende von 419 im Jahr 2021 auf 471 im Jahr 2022 gestiegen. Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) zeigt sich besorgt im Hinblick auf einen zunehmenden „Respektverlust vor unseren demokratischen Institutionen“.
Die Vorsitzende der niedersächsischen Grünen-Fraktion Anne Kura spricht bei der körperlichen Attacke auf Schroeder von einem neuen Ausmaß in dem Bundesland. Bisher habe man vor allem mit Angriffen auf Büros der Kreisverbände oder Wahlkreisbüros zu tun. Und selbst diese Art des Vandalismus nehme zu.
Schroeder ist indes bemüht, die Debatte von seiner Person auf das politische Miteinander zu lenken. Er selbst ordne sich dem realpolitischen Flügel zu. Es gehe ihm also darum, sich mit unterschiedlichen Lösungen auseinanderzusetzen, statt andere Meinungen von vornherein abzulehnen.
Auch wenn sich SPD und CDU solidarisch mit dem Abgeordneten zeigten, befürchtet Grünen-Fraktionsvorsitzende Kura, dass Aussagen wie von CDU-Parteichef Friedrich Merz, der die Grünen zum „Hauptgegner“ in der Bundesregierung erklärte, zum Schüren von Wut und Hass in der politischen Debatte beitrage.
Engagement muss möglich bleiben
Vor allem im Dorfkontext besteht die Gefahr, dass sich politisch engagierte Menschen zum Schutze ihrer Familie zurückziehen, was insbesondere im Hinblick auf ehrenamtliche Tätigkeiten ein großes Problem darstellt. „Wir dürfen vor allem nicht zulassen, dass das so wichtige politische Engagement vieler Menschen aus Sorge davor leidet, zum Opfer gewaltsamer Attacken zu werden“, sagt Kura.
Das war letztlich auch der Grund, warum Schroeder sich entschieden hat die Attacke öffentlich zu machen. Auch wenn er sich momentan etwas unsicher fühle, wolle er sich ein normales Leben nicht verbieten lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste