Gewalt gegen Frauen in den Medien: Gefährliche Lücke
Eine empirische Studie analysiert Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen. Sie zeigt: Es dominieren Einzelfälle statt struktureller Probleme.
Die Silvesternacht 2015/2016 stellt eine Zäsur für Deutschland dar. Gewaltbereite und meist betrunkene Männer beschimpften, beklauten und belästigten sexuell in dieser Nacht Hunderte Frauen auf dem Platz vor dem Kölner Hauptbahnhof. Es folgte eine wochenlange Debatte, die letztlich dazu führte, dass das Sexualstrafrecht verändert und das Asylrecht eingeschränkt wurde. Und auch für die deutsche Medienlandschaft hatte das Ereignis Auswirkungen.
Denn nach den Vorfällen wurde Kritik laut, Medien hätten wegen „politischer Korrektheit“ die Herkünfte der mutmaßlichen Täter zu lange geheim gehalten. Diese Wahrnehmung entspricht jedoch nicht der Wahrheit. Trotz allem formulierte der Presserat im März 2017 seine Richtlinie zur Herkunftsnennung um. Diese ist seitdem immer dann vorgesehen, wenn ein „begründetes öffentliches Interesse“ besteht.
Dieses öffentliche Interesse ist zwar nicht näher definiert, doch auch schon vor der Neuformulierung durch den Presserat nahm die Herkunftsnennung mutmaßlicher Täter in der deutschen Medienlandschaft zu. Und nicht nur das. In direkter Folge der Kölner Silvesternacht wurde oftmals das Framing genutzt, sexualisierte Gewalt sei ein Problem, das von außen in die deutsche Gesellschaft getragen wurde.
Dies ist ein Ergebnis der Studie „Tragische Einzelfälle? Wie Medien über Gewalt an Frauen berichten“, die am Montag von der Otto-Brenner-Stiftung veröffentlicht wurde. Ob Medien zur „Verhütung“ dieser Gewalttaten beitragen und die „Achtung der Würde der Opfer“ erhöhen, wie die Istanbul-Konvention vorschreibt, wollte die Kommunikationswissenschaftlerin Christine Meltzer der Uni Mainz durch eine quantitative Inhaltsanalyse herausfinden. Dafür hat sie knapp 3.500 Texte aus dem Zeitraum Januar 2015 bis Juni 2019 aus deutschen Tageszeitungen untersucht. Zum Untersuchungsobjekt gehörten drei Boulevardmedien, fünf Lokalzeitungen aus Ost- und fünf aus Westdeutschland sowie vier überregionale Zeitungen, wie die Süddeutsche Zeitung, die Welt und auch die taz.
Kaum Berichterstattung über marginalisierte Gruppen
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass je extremer die Straftat ist, desto mehr darüber berichtet wird: Über Morde an Frauen wird demnach am häufigsten geschrieben, Themen wie Stalking oder Nötigung finden jedoch kaum Platz in den Medien. Die Häufigkeit der Gewalttaten ist laut polizeilicher Kriminalstatistik aber genau anders herum. Schwierig ist das deswegen, weil Gewaltformen in Beziehungen, die in der Regel vor einem Femizid passieren, kaum Beachtung finden.
Und auch ansonsten geht es selten um die Strukturen, Hilfsangebote oder politische Forderungen. Stattdessen steht das Berichten vor allem von Boulevard- und Lokalmedien über einzelne Fälle im Vordergrund. Überregionale Medien informieren seltener über Einzelfälle, und wenn, dann handelt es sich um besonders bekannte Fälle. Strukturell wird meist anlassbezogen berichtet, also beispielsweise, wenn feministischer Kampftag ist oder die neue Kriminalstatistik veröffentlicht wird.
Meltzer kritisiert in der Studie, dass die Berichterstattung meist täterzentriert ist und die Betroffene nur selten im Fokus des Textes steht. Sie führt an, dass „die Abwesenheit von personalisierenden Attributen tendenziell zu einem erhöhten Victim Blaming beim Publikum“ führt. Zudem ist es so, dass nicht gleichwertig über Opfer berichtet wird. Der Fokus liegt dabei klar auf jüngeren Betroffenen, je älter die Menschen, desto weniger wird berichtet. Und auch Frauen mit Behinderungen oder mit Fluchterfahrung kommen selten vor – obwohl ihr Risiko, Opfer einer Gewalttat zu werden, deutlich höher liegt.
So wird beispielsweise in weniger als ein Prozent der Fälle bei den Opfern auf eine körperliche, psychische oder geistige Behinderung hingewiesen, laut einer repräsentativen Studie gibt allerdings jede dritte bis vierte Frau mit Behinderung an, schon einmal sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. Natürlich spielt hier das Dunkelfeld eine Rolle, ebenso wie der Fakt, dass in der Berichterstattung die Behinderung vielleicht einfach nicht erwähnt wird – doch ein Ungleichgewicht von realer und berichteter Gewalt lässt sich trotz allem stark vermuten.
Ein Balanceakt für Journalist:innen
Insgesamt zeigt die Studie ein recht ernüchterndes Bild darüber, wie Gewalt gegen Frauen in den Medien stattfindet. Statt Strukturen zu benennen und zu problematisieren, werden häufiger einzelne Taten berichtet, und das meist täter- statt opferzentriert. Letzteres lässt sich jedoch auch damit erklären, dass der Schutz von Opfern und deren Angehörigen hohe Priorität bei der Berichterstattung verdient. Zudem sind viele von Gewalt Betroffene aus verständlichen Gründen nicht dazu bereit, mit der Presse zu sprechen. Den Tätern nicht zu viel Raum zu geben und Opfer ins Zentrum des Textes zu stellen, gleichzeitig aber den Opferschutz zu berücksichtigen, ist häufig ein Balanceakt für Journalist:innen.
Die Studie hält zwar fest, dass die Dokumentation über Gewalt gegen Frauen leicht gestiegen ist im Zeitraum von 2015 bis 2019, welche Rolle dabei jedoch die 2016 entstandene #MeToo-Bewegung hat, wird leider nicht berücksichtigt.
Eine positive Entwicklung lässt sich dann aber doch aus der Studie ablesen. Wann immer Medien nach der Tötung einer Frau von „Familientragödie“ oder „Ehedrama“ schreiben, kritisieren Feminist:innen im Netz die verharmlosenden Beschreibungen. Denn sie klingen nach einem plötzlichen Schicksalsschlag und nicht nach misogyner struktureller Gewalt. Diese Begriffe konnte Meltzer nur in 3 Prozent der Texte ausmachen – und sie wurden zum Ende des Untersuchungszeitraumes auch immer weniger. Die feministische Kritik scheint also zu wirken. Die Frage, ob das Wort „Femizid“, also die Tötung einer Frau aus sexistischer Motivation, mittlerweile weit verbreitet ist, bleibt leider unbeantwortet.
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