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Gewalt gegen Frauen in BurgdorfEin Femizid und ein Frauenhaus

Durch einen bitteren Zufall wird das beschauliche Burgdorf erst zum Schauplatz eines Femizids und bekommt kurze Zeit später ein neues Frauenhaus.

Burgdorf am 3. Mai 2022: Am hellichten Tag mitten in der Innenstadt stach der Täter zu Foto: picture alliance/dpa/TNN

Burgdorf taz | Ausgerechnet Burgdorf. In der 30.000-Einwohner-Stadt im Nordosten Hannovers – bekannt für sein Fachwerkschlösschen und als Spargelregion – hat die Region Hannover am 13. Mai ein neues Frauenhaus eingeweiht. Genau zehn Tage nachdem ein Femizid am hellichten Tag mitten in der Innenstadt die Einwohnerinnen verstört und aufgeschreckt hat.

Das ist natürlich ein bizarrer und bitterer Zufall, die Einweihung war schon lange geplant, als die 35-jährige Jesidin Esra starb. Der Tatort liegt gerade einmal einen Kilometer entfernt. Auf einem Parkplatz in Bahnhofsnähe, an einer belebten Einkaufsstraße lauerte ihr 37-jähriger Noch-Ehemann der 35-Jährigen auf und stach auf sie ein.

Passanten und Verkäuferinnen wurden Zeuginnen der Tat. Vor allem aus einem Benefizgeschäft und einem Schuhladen blickt man direkt auf den Tatort.

„Ich habe es klatschen hören. Dann habe ich gesehen, dass die Frau und der Mann am Boden lagen. Erst dachte ich, er will ihr aufhelfen“, erzählte eine geschockte Seniorin der Lokalzeitung. Sie habe einen Moment gebraucht, um zu begreifen, dass der Mann auf der Frau sitzt und mit einem Messer weiter auf sie einsticht.

Andere Zeuginnen schreien, rufen die Polizei, eilen zur Hilfe. Der Täter flieht und stellt sich wenige Stunden später der Polizei. Die Mutter von 16-jährigen Zwillingen stirbt noch auf dem Parkplatz. Sie soll in der Stadt gewesen sein, um einen Scheidungsanwalt aufzusuchen, erzählen Trauernde später der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Eigentlich wohnte die Familie in Wathlingen bei Celle.

Die Beratungsstelle ist gleich um die Ecke

Das bestätigt wieder einmal, dass der Moment der Trennung oft der Gefährlichste für die Frauen ist. Gleich um die Ecke vom Tatort unterhält die Arbeiterwohlfahrt (AWO) eine Beratungsstelle für „Frauen in Krisensituationen, bei Trennung und Scheidung oder bei Fragen zu häuslicher Gewalt“. Es ist aber unklar, ob Esra Hilfe gesucht hat und ob ihr ein solches Angebot weitergeholfen hätte.

Aber natürlich trifft die Mitarbeiterinnen und ihre Klientinnen der Fall trotzdem ins Mark. „Das ist nur die Spitze des Eisberges“, mahnt die Landtagsabgeordnete Silke Lesemann (SPD) bei der Eröffnung des neuen Frauenhauses in Burgdorf. Die Gewalt beginne nicht erst bei Schlägen, Tritten oder Drohungen, sondern früh und schleichend.

Eine große Rolle spielten dabei immer häufiger die Kontrolle und das Stalking in sozialen Netzwerken, mit Hilfe von Ortungsapps auf dem Handy oder Smart-Home-Technologien, die sich zur Überwachung umfunktionieren lassen, sagt Lesemann, die auch Präsidentin der AWO Region Hannover ist.

Die AWO trägt das neue Frauenhaus, um dessen innovatives Konzept es bei der Eröffnung eigentlich hätte gehen sollen. Das Haus in Burgdorf ist kein anonymes Frauenhaus, sondern bloß ein besonders gesichertes. In der Region Hannover, die diese und weitere Einrichtungen finanziert, gibt es ein abgestuftes Konzept. Im Frauenhaus 24, das rund um die Uhr offen steht, können betroffene Frauen und ihre Kinder für vier Tage unterkommen.

Es fungiert als Clearingstelle, macht die Erstberatung und klärt, wie es am besten weitergeht. Wenn die Frauen nicht verfolgt werden, könnten sie sich zum Beispiel für das neue Frauenhaus in Burgdorf entscheiden. Es hat den Vorteil, dass man Besuch empfangen kann, sodass die Kinder nicht völlig isoliert werden und die Frauen weiter ihre soziale Netzwerke pflegen können, erläutert Ute Vesper, Leiterin des Fachbereichs Frauen bei der AWO Region Hannover.

Früher, als Leiterin eines klassischen anonymen Frauenhauses, habe sie sich oft gewünscht, dass sich nicht alle Frauen einem so strengen Abschottungsreglement unterwerfen müssten. Vor allem wenn man sich ein neues Leben aufbauen muss, seien soziale Kontakte wichtig.

Das Konzept ist neu in der Region

In der Region Hannover ist das neu, Vorbild war eine ähnliche Einrichtung in Lübeck. Die Idee geht zurück auf die sogenannten Oranje Huis in den Niederlanden, ergänzt die Gleichstellungsbeauftragte der Region Hannover, Petra Mundt. Mit den Oranje Huis verbindet sich auch der politische Gedanke, die Gewalt nicht weiter unsichtbar sein zu lassen und die Opfer nicht immer zu verstecken.

Die Häuser sind gesichert, mit Zäunen, Kameras, Alarmanlagen, zum Teil sogar einem Sicherheitsdienst, man kann also nicht einfach herein- und herausspazieren, wie man will. Aber die Adresse ist nicht geheim, die Frauen dürfen selbst bestimmen, wer sie besuchen darf.

Für Frauen wie Esra wäre das Haus in Burgdorf eher nicht infrage gekommen. „Wenn die Frauen verfolgt werden, ist das ausgeschlossen, viel zu gefährlich“, sagt Vesper. Aber es gibt ja auch noch anonyme Frauenhäuser und Angebote des Übergangswohnens in der Region.

„Und glauben Sie mal nicht, dass wir einfach so zur Tagesordnung übergehen“, versichert Burgdorfs Bürgermeister Armin Pollehn (CDU). Noch immer kämen jeden Tag Menschen an den improvisierten Gedenkort unter einem Baum am Tatort.

Diese Tat sei vielen sehr nahe gegangen, sagt auch Regionspräsident Steffen Krach (SPD). Und sie habe noch einmal klargemacht, wie dringend nötig solche Hilfsangebote sind und wie falsch es ist, sie als Eifersuchts- oder Familiendrama zu bagatellisieren.

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