Gewalt gegen Frauen in Bulgarien: Der Druck von unten wirkt
Nach Misshandlungen einer Frau durch ihren Ex-Partner halten in Bulgarien die Proteste an. Das Parlament stimmt für besseren Opferschutz.
Auslöser war der Fall einer 18-Jährigen in der Stadt Stara Zagora, die von ihrem Ex-Freund im vergangenen Juni überfallen und schwer misshandelt worden war. Die Behörden ließen den mutmaßlichen Täter schon kurz nach seiner Festnahme wieder frei, da laut eines gerichtsmedizinischen Gutachtens nur eine „leichte Körperverletzung“ bei der 18-Jährigen vorgelegen habe. Erst infolge öffentlichen Drucks hat die Polizei den 26-Jährigen erneut festgenommen.
Als Reaktion auf die Proteste unterbrach das Parlament seine Sommerpause und die Abgeordneten mussten sich am Montag zu einer außerordentlichen Sitzung in Sofia einfinden. In erster und zweiter Lesung stimmten 144 von 240 Parlamentarier*innen für die Änderungen des „Gesetzes zum Schutz vor häuslicher Gewalt“.
Dafür waren auch die Abgeordneten der Regierungskoalition, bestehend aus der Partei Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens (GERB) sowie dem Bündnis Wir setzen die Veränderungen fort und Demokratisches Bulgarien (PP-DB).
Hitzige Debatten
Justizministerin Nadeschda Iordanowa (PP-DB) stieß an, das Gesetz so zu ändern, dass es künftig nicht nur Verheiratete, sondern alle Personen, die in einer „intimen Beziehung standen oder stehen“, schützt.
Doch besonders am Begriff „intime Beziehungen“ hatten sich hitzige Debatten entzündet. Die oppositionellen Sozialisten (BSP) witterten einen „Durchbruch zur Einführung und Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen“. Mit den Stimmen der GERB wurde die Passage über „intime Beziehungen“ abgeändert und durch den Zusatz „zwischen Mann und Frau“ ergänzt.
Der GERB-Abgeordnete, Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien und Mitglied des Exekutivkomitees der Partei, Weschdi Raschidow, sorgte indes für einen handfesten Skandal. „Es gibt schon jetzt Gesetze. Was soll der Unsinn? Alle Huren sind plötzlich aufgewacht und haben wohl gemerkt, dass sie vor 16 Jahren vergewaltigt wurden“, sagte er in einer Sitzungspause. Später entschuldigte sich Raschidow für diese Entgleisung und trat von seinen Ämtern zurück. Sein Abgeordnetenmandat behält er.
Das will die Nichtregierungsorganisation für Frauenrechte „Bulgarische Stiftung für Frauen“ nicht hinnehmen. „Als Organisation mit 20 Jahren Erfahrung im Kampf gegen Gewalt verzeihen wir Ihnen nicht, was Sie gesagt haben“, heißt es in einer Stellungnahme. „Wir möchten, dass Sie als Abgeordneter zurücktreten. Im bulgarischen Parlament haben Sie keinen Platz!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden