Erneute Neuwahlen in Bulgarien: Sofia wieder kopflos
Nach erneutem Koalitionsstreit startet Bulgarien den sechsten Anlauf für die Parlamentswahlen. Davon profitiert nur die prorussische Partei.
D as EU- und Nato-Land Bulgarien kann sich Hoffnungen auf den Titel „Europameister an der Urne“ machen. Gerade mal ein knappes Dreivierteljahr war die Regierung im Amt, jetzt muss schon wieder neu gewählt werden.
Die Koalition aus zwei prowestlichen Parteienbündnissen – beileibe keine Liebesheirat – scheiterte vor allem an den persönlichen Ambitionen des Führungspersonals. Auch das beste Rotationsmodell in Gestalt eines Wechsels im Amt des/r Premierministers/in nach neun Monaten taugt nichts, wenn sich die Beteiligten nicht an Abmachungen halten und sich stattdessen wie Kesselflicker um Minister*innenposten streiten.
Nun müssen die Bulgar*innen wohl am 9. Juni, zeitgleich zu den EU-Wahlen, erneut über die Zusammensetzung des Sofioter Parlaments befinden. Das ist bereits die sechste derartige Veranstaltung innerhalb von nur drei Jahren. Gewisse Ermüdungserscheinungen zeigten sich bereits im April 2023, als die Wahlbeteiligung gerade mal 40 Prozent erreichte. Viel besser dürfte es auch beim nächsten Versuch nicht werden. Das allein wäre an sich noch kein Problem – ein geringes Bevölkerungsaufkommen in Wahllokalen gibt es auch in anderen Mitgliedstaaten der EU.
Unerfreulich hingegen sind zwei andere Aspekte: Es ist absehbar, dass auch dieses Votum keine klaren Mehrheitsverhältnisse hervorbringen wird. Noch unappetitlicher ist die Aussicht auf ein Erstarken der rechtsradikalen Partei Wasraschdane („Wiedergeburt“), die bei der letzten Wahl 14 Prozent der Stimmen einfuhr. Dass sich aus Hetze gegen Minderheiten und die EU sowie russlandfreundlichen Positionen – vor allem vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges – Kapital schlagen lässt, ist zwar ebenfalls kein Alleinstellungsmerkmal Bulgariens, macht die Sache aber auch nicht besser.
Sofia arbeitet an einem vollständigen Beitritt zum Schengenraum, auch eine Mitgliedschaft in der Eurozone steht auf der Agenda. Die zu erwartende politische Hängepartie erschwert diese Schritte hin zu einer weiteren Integration. Das kann der Balkanstaat gerade am allerwenigsten gebrauchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier