Gewalt auf Schulhof in Berlin: Freispruch für Sozialpädagogin
Eine Sozialpädagogin soll einen Erstklässler in den Po getreten haben. Das Amtsgericht Tiergarten sprach sie von diesem Vorwurf frei.
Frau H. sitzt allein vor dem Gerichtssaal D703. Ihre Augen sind auf die Tür gerichtet, die sich in wenigen Minuten öffnen wird. Die fünf tobenden Kinder und die Handvoll anderer Erwachsener ignoriert Frau H. Dabei ist sie derentwegen hier.
Fast drei Jahre liegt der Fall zurück, der an diesem Dienstag vor dem Amtsgericht Tiergarten verhandelt wird. Er soll sich laut Anklageschrift so zugetragen haben: Am 1. Juli 2015 kommt es auf dem Schulhof einer Grundschule in Prenzlauer Berg zu einem Gerangel unter Erstklässlern. Darunter ist auch der sechsjährige R. Um die Raufbolde auseinanderzubringen, schreitet die Sozialpädagogin H. ein und tritt R. in den Po. Der stürzt und fällt auf sein Knie. Frau H. schreit ihm hinterher: „Das machst du nicht noch mal!“
Der Vater von R. zeigte Frau H. dann an. Schon öfter soll es zwischen Frau H. und den Kindern zu grenzwertigen Auseinandersetzungen gekommen sein. Einmal habe Frau H. einem Kind ins Ohr geschrien. Ein anderes Mal soll sie den Kindern den Gang zur Toilette verboten haben. Weil sich ein Kind nicht getraut habe, trotzdem zu gehen, soll es sich vor lauter Angst in die Hosen gepinkelt haben. Der Vorfall mit dem Tritt habe dem Vater dann gereicht. „Irgendwann ist auch mal genug“, sagt er. „So behandelt man keine Kinder.“
Die Verteidigung von Frau H. ging auf diese Vorfälle nicht ein. Ihr ging es um den Fall auf dem Schulhof: Ja, es habe ein Gerangel zwischen den Schülern gegeben. Frau H. habe aber die Kinder lediglich an den Oberarmen auseinandergezogen, um den Streit zu beenden. Hinter der Anzeige vermute man eine Elternkampagne gegen Frau H., angeführt von R.s Vater. Er trage es Frau H. immer noch nach, dass sie dem Zwillingsbruder von R. eine geistige Behinderung attestiert habe.
Zu wenig Beweise für eine Verurteilung
In der Beweisaufnahme befragte das Gericht R. und seinen Zwillingsbruder, die beiden Elternteile, eine Elternvertreterin sowie zwei andere Schüler. Sie alle sollten klären, was damals auf dem Schulhof konkret passiert sei – ihnen allen fällt es schwer. Mal soll Frau H. ins Knie getreten haben, mal in den Po, mal hat der Vater, mal die Mutter den Sohn abgeholt. Mal wurde gehauen, mal getreten.
Das Gericht spricht Frau H. dann frei, weil es keine Urteilsgrundlage erkennt. Es gebe zu wenige Beweise, die Aussagen der Kinder seien zu widersprüchlich. Die Erziehungsmethoden von Frau H. seien „womöglich auf berechtigtes Unverständnis gestoßen“, für eine Verurteilung reiche das aber nicht.
Die Mutter von R. schüttelt den Kopf, als das Gericht den Freispruch verkündet, und murmelt: „Jetzt kann sie ja munter weitermachen.“ Frau H. sagt nichts. Nichts zu den Eltern, nichts zu den Kindern. Sie tritt als Letzte aus dem Saal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus