Gesundheitsrisiken bei Sanierungen: Asbestgefahr bleibt unterm Teppich
Über 70.000 asbestbelastete Wohnhäuser gibt es in Bremen. Auch wo die Belastung bekannt ist, kommen betroffene oft nicht an Infos: Es fehlt ein Register.

Entdeckt hatte die Bremerin das gefährliche Material zufällig: Als sie 2011 wegen eines gammeligen Geruchs im Badezimmer die Lüftungsrohre freilegte, fand sie unter der Tapete „graues Zeug“, das ihr Misstrauen erregte. Die Baubehörde und später die Gutachten eines Architekten bestätigen ihren Verdacht: Sowohl die Rohre als auch die Wand des Lüftungsschachtes enthalten Asbest. Sie selbst hatte schon Löcher in die betroffene Wand gebohrt, auch Vormieter hatten Haken installiert und dabei das gefährliche Material beschädigt. „In der dünnen Wand war alles durchlöchert“, sagt sie. Man hatte ja keine Ahnung.
Was Schielke nach Abschluss der Arbeiten noch wurmt: Die umliegenden Häuser, der ganze Straßenzug der Bremer Kulenkampffallee, ist in derselben Bauart gebaut. Es geht um mehr als 100 Gebäude, mit je mehreren Parteien. „Da ziehen junge Familien ein. Und die haben keine Ahnung von der Belastung, obwohl doch alles bekannt ist. Niemand warnt sie, wo sie nicht bohren sollen, das ist ein Riesenproblem.“
Kein Wissen, keine Kontrolle
Seit 1992 darf Asbest wegen der Gesundheitsgefahren in Deutschland nicht mehr verbaut werden. Zwischen 1950 und 1990 aber kam das Naturfasermaterial fast überall zum Einsatz: in Fliesenklebern, Dämmstoffen, Fußböden, Fassadenplatten und im Zement. Eine Studie des Pestel-Instituts von 2023 schätzt, dass 9,4 Millionen Wohnhäuser in Deutschland asbestbelastet sind – im Land Bremen geht es um 76.000 Häuser, in Hamburg um 142.000, in Niedersachsen um 1,2 Millionen. Erst mal darf der Asbest bleiben: Der Stoff hat Bestandsschutz.
Denn richtig gefährlich wird er nur, wenn er zerstört wird – durch Bohrmaschinen oder Schleifgeräte zum Beispiel – und dabei feine Fasern freisetzt, die sich in die Lunge bohren und dort Jahrzehnte später tödliche Asbestosen oder Krebs verursachen können.
In der Kulenkampffallee steht seit einem Gutachten von 2012 fest, wo Asbest verbaut ist; doch bis zur Sanierung wussten nicht mal Schielkes Nachbar*innen im selben Haus über die Gefahr Bescheid. Zwar haben Eigentümer*innen die Pflicht, ihre Mieter*innen über bekannte Asbestbestände zu informieren. Aber wer das nicht tut, hat wenig zu befürchten, überprüft wird es nicht. Wie auch? Bekannte Belastungen werden nirgends erfasst.
Eine Faser reicht
Die schlechte Datenlage kritisiert auch die Gewerkschaft IG Bau. In ihrer „Asbest-Charta“ hatte die Gewerkschaft 2023 gefordert, von den Eigentümer*innen vor einer anstehenden Sanierung eine verbindliche Prüfung samt Gutachten über die konkrete Belastung vorlegen zu lassen.
Doch in der neuen Gefahrstoffverordnung des Bundes, die im Dezember 2024 in Kraft getreten ist, bleiben Eigentümer*innen relativ unbehelligt: Zwar müssen sie bekannte Informationen über Asbestbelastungen bei einer Sanierung an die Handwerksbetriebe weiterreichen – aber auch das kann nicht kontrolliert werden, solange der Wissensstand gar nicht erfasst wird. Die Verantwortung für die Handwerker*innen liegt damit weiter in erster Linie bei den Handwerksbetrieben.
„Die Gesetzgeber hatten Angst, dass verpflichtende Gutachten die Eigentümer vom Bauen abhalten würden“, sagt Gerhard Citrich von der IG Bau. „Aber es geht hier um Menschenleben.“ Asbest werde „verniedlicht“, so der Arbeitsschutzexperte. „Dabei ist das immer noch ein Killer. Eine falsche Faser kann reichen, dass man erkrankt.“ Bei Berufserkrankungen ist Asbest nach Zahlen der Bau-Berufsgenossenschaft die häufigste Todesursache, mit gut 300 anerkannten Todesfällen im Jahr. Aktuell, so warnt die IG Bau, rolle eine neue Gefahrenwelle auf die Handwerker*innen zu: Viele Gebäude aus dem kritischen Zeitraum müssen in den nächsten Jahrzehnten saniert werden.
Register für Rohstoffe in der Stadt
Neben der Sorge um die Beschäftigten sieht Citrich durch die mangelhaften Daten auch Heimwerker*innen in Gefahr. „Es gibt diese Plakatkampagne einer Baumarktkette, zum Selbermachen. Auf den Bildern sitzen die Leute inmitten von Schutt und Staubwolken – dass das ihr Leben kosten kann, wissen die Menschen gar nicht.“
Auch wenn die Chance, auf Bundesebene ein Asbestregister einzuführen mit Verabschiedung der Gefahrstoffverordnung erst einmal verstrichen ist, könnten die Länder eigene Asbestregister anlegen – doch das tun sie nicht. „Die Erhebung, Pflege und Veröffentlichung entsprechender Daten wäre ein erheblicher Eingriff in das private Eigentum“, schreibt die Bremer Baubehörde auf Anfrage. Denn eine „verpflichtende, regelmäßige Überprüfung“ würde „erhebliche Kosten“ für die Eigentümer*innen verursachen.
Nun müsste für ein Asbestkataster nicht gleich eine flächendeckende oder gar regelmäßige Überprüfung stattfinden – aufgenommen werden könnten zunächst bekannte Daten; die Prüfpflicht könnte sich auf spezifische Anlässe konzentrieren – etwa beim Verkauf des Hauses, vor größeren Sanierungsmaßnahmen oder bei konkretem Verdacht.
Kataster, die mehr Informationen liefern als reine Grundstücksverzeichnisse, sind in Land und Kommune nicht ungewöhnlich. Für die Schadstoffbelastung im Boden gibt es in Bremen bereits das Altlastenkataster. Und mit Interesse verfolgt wird – auch in Bremen – ein Heidelberger Pilotprojekt, das ein „Urban Mining“-Kataster erstellt und dabei alle Rohstoffe von Bestandsgebäuden in den Blick nimmt.
In der Bremer Kulenkampffallee bleibt es erst einmal dabei: Ein ganzer Straßenzug ist von Asbest betroffen; wo und wie, das ist angesichts der gleichen Bauweise vermutlich en détail bekannt. Aber die Information darüber, an welchen Stellen im Haus besser nicht gebohrt wird, hält keine Stelle zentral fest.
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