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Gesundheitsökonom über Coronakrise„Auf schwere Fälle konzentrieren“

Das deutsche Gesundheitssystem kommt in der Pandemie an seine Grenzen. Gesundheitsökonom Jonas Schreyögg dazu, warum das keine Frage des Geldes ist.

Der Engpass besteht nicht bei der Zahl der Intensivbetten, sondern bei den Pflegekräften Foto: Markus van Offern/imago
Hannes Koch
Interview von Hannes Koch

taz: Herr Schreyögg, Die Politik begründet die Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens in der Coronakrise damit, dass nur so die Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden sei. Man müsse Rücksicht auf die begrenzte Anzahl der Intensivbetten in Krankenhäusern nehmen. Halten Sie diese Begründung für plausibel?

Jonas Schreyögg: Sicherlich. Wenn die Zahl der Corona-Infizierten exponentiell steigt, sich also in kurzen Zeiträumen verdoppelt, kann das medizinische System an seine Grenzen stoßen. Darüber hinaus ist aber ein wichtiger Grund, dass derzeit zu viele Menschen sterben. Die Kontakteinschränkungen sollen dies verhindern.

Die hiesigen Krankhäuser verfügen über rund 34.000 Intensivbetten. Bisher waren aber höchstens 5.700 Coronakranke bundesweit gleichzeitig in intensiver Behandlung. Wieso bringt diese überschaubare Patientenzahl das ganze System an seine Grenze?

Schon um die normalen Krankheiten zu behandeln, braucht man viele Intensivbetten. Wenn dann noch zahlreiche Coronakranke dazukommen, besteht die Gefahr, dass Personal, Geräte und Räume nicht mehr ausreichen. Dann können eventuell auch Kranke mit Krebs oder Herzinfarkt nicht angemessen versorgt werden. Allerdings haben wir den entscheidenden Engpass nicht bei der Zahl der Betten, sondern der Pflegekräfte.

Wieviele Pflegerinnen und Pfleger stehen in hiesigen Krankenhäusern zur Verfügung?

In der Intensivmedizin soll sich ab Februar eine Pflegekraft tagsüber höchstens um zwei Pa­ti­en­t:in­nen kümmern müssen, nachts um drei. Das hat das Bundesgesundheitsministerium in einer Verordnung festgelegt. Eine Reihe von Krankenhäusern erreichen diese Untergrenze jedoch noch nicht. Aber sie müssen durch diese Regulierung alles tun, um sie bald einzuhalten.

Warum gibt es in Deutschland statt 34.000 nicht 100.000 Intensivbetten mit ausreichendem Personal?

Bild: Gregor Schlaeger/HCHE
Im Interview: Jonas Schreyögg

ist Professor für Management im Gesundheitswesen an der Universität Hamburg. Er ist Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, der die Bundesregierung berät.

Wir können die Bettenzahl nicht einfach steigern. Dafür fehlen die Pflegekräfte. Deren Zahl lässt sich nicht schnell anheben. Denn auf dem Arbeitsmarkt gibt es die Leute nicht. Wir müssten sie erst ausbilden. Aber selbst das ist leichter gesagt, als getan.

Die augenblickliche Intensivmedizin kostet rund drei Milliarden Euro pro Jahr, weniger als ein Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben. Liegt es am Geld?

Die Kosten sind nicht der Punkt. Die Kassen vergüten den Krankenhäusern die höheren Ausgaben, um die Personaluntergrenze zu erreichen.

Schaffen andere wohlhabende Länder eine bessere Ausstattung, etwa Norwegen, Finnland oder die Schweiz?

Italien, Frankreich, die Schweiz und Skandinavien haben mehr Pflegepersonal pro Intensivbett als wir. Allerdings unterscheidet sich unsere Krankenhausstruktur beispielsweise stark von der norwegischen. Dort finden mehr Operationen in ambulanten Einrichtungen statt als bei uns, nur die schweren Fälle kommen ins Krankenhaus. Deswegen ist in Norwegen mehr Personal pro Bett nötig. Gerade bei Skandinavien muss man bei Vergleichen sehr genau hinschauen.

Was halten Sie von der These: In der Coronapandemie würden mehr Intensivbetten mit ausreichendem Personal weniger Einschränkungen des öffentlichen Lebens ermöglichen?

Die teile ich nicht. Sie müssen die hohe Mortalität berücksichtigen, die wir zur Zeit haben. An manchen Tagen sterben um die 1.000 Menschen an oder mit Corona. Weniger Einschränkungen und mehr Kontakte würden die Zahl der Infizierten weiter steigen lassen, weshalb noch mehr Kranke auf die Intensivstationen kämen. Die zahlreichen Todesfälle haben nichts mit mangelnder Infrastruktur oder fehlendem Personal zu tun. Sondern damit, dass wir noch keine wirksamen Medikamente gegen Corona haben. Ihre These stimmt auch deshalb nicht, weil wir das fehlende Personal nicht herbeizaubern können.

Warum ist es denn so kompliziert, mehr Krankenpflegerinnen und Pfleger einzustellen?

Der wesentliche Grund liegt in der zunehmenden Knappheit an Beschäftigten auf dem hiesigen Arbeitsmarkt. Die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre gehen nun zunehmend in Rente, darunter auch die älteren Pfleger:innen. Die frei werdenden Stellen zu füllen, wird immer schwieriger. Arbeit im Krankenhaus steht in Konkurrenz zu anderen Beschäftigungen.

Was empfehlen Sie für die Zukunft?

Pro Einwohner gesehen ist Deutschland ähnlich gut mit Pflegepersonal ausgestattet wie andere Länder. Allerdings werden die Kräfte hierzulande auf sehr viele Fachabteilungen und Betten verteilt. Die langfristige Aufgabe besteht darin, weniger Pa­ti­en­t:in­nen stationär und mehr ambulant zu behandeln. Dadurch können in den Häusern Ressourcen frei werden. Sie sollten ihr Personal auf die schweren Fälle konzentrieren. Das bedeutet auch mehr Personal pro Intensivbett.

Sollte die Bezahlung der Pfle­ge­r:in­nen und Pfleger deutlich steigen?

Das ist ein wichtiger Hebel, wenn auch bei Weitem nicht der einzige. Helfen kann außerdem, den Status der Pflege zu verbessern, etwa durch akademische Abschlüsse. Und das Arbeitsumfeld muss attraktiver werden. Die Pfle­ge­r:in­nen wollen sich nicht um fünf Intensivfälle gleichzeitig kümmern müssen.

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13 Kommentare

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  • > Die zahlreichen Todesfälle haben nichts mit mangelnder Infrastruktur oder fehlendem Personal zu tun. Sondern damit, dass wir noch keine wirksamen Medikamente gegen Corona haben.

    Karl Lauterbach weist netterweise darauf hin, dass, während eine Impfung gegen Covid-19 so um 20€ kosten kann, Medikamente locker 2000 € kosten können. Was verständlich macht, dass sie für Pharmaunternehmen lukrativer sind.

    Aber was genau hat eigentlich Gesundheitsökonomie mit Gewinnen für Pharmaunternehmen zu tun?

  • Ich verstehe nicht, inwiefern die Akademisierung diesen Job interessanter machen soll. Mehr Geld kommt dadurch auch nicht in die Kassen der Krankenhäuser und schlecht bezahlte Akademiker gibts schon jetzt genug.

    • @Katrina:

      Ja, das verstehen auch viele Pflegende nicht.



      Ich bin akademisierter Krankenpfleger und kann in jedem Fall aus eigener Erfahrung sagen, dass ich mit Angehörigen anderer Berufe, insbesondere Medizin, wesentlich besser "auf Augenhöhe" wahrgenommen wurde. Es verändert die Kooperation.



      Und das andere ist, dass die Pflege mit sovielen anderen Wissenschaften in Bezug steht, außerdem von den Aufgabenfeldern unglaublich vielfältig ist, so dass Differenzierung not tut (wie überall). Und die Akademisierung ist Teil davon.

  • Und wo war jetzt die kritische Frage nach den fatalen Auswirkungen der Krankenhausprivatisierung? Nach den Fallpauschalen? Und wo folgender Hinweis zum Interviewpartner: "Ende der 2010er Jahre war er im Review Board des Projektes "Neuordnung Krankenhaus-Landschaft: Weniger ist mehr", das die Schließung von Krankenhaus-Standorten empfiehlt." Quelle: de.wikipedia.org/wiki/Jonas_Schreyögg



    War die taz nicht mal eine systemkritische Zeitung?

    • @Charlotte1234:

      Tja, das jetzige, kleinteilige System ist ja gerade mit das Problem.

      Dass man zur Verbesserung die Krankenhausversorgung verdichten müsste - und das bedeutet eben auch weniger, komplexere, kompetentere und bessere Standorte - das ist dabei eben Teil der Lösung.

      siehe z.B.: scienceblogs.de/ge...-naechsten-studie/

      (im Blog von Herrn Kuhn findet man dazu einige Beiträge, siehe auch seine Links in den Kommentaren)

  • Die Lösungsvorschläge sind ja nun nicht neu, können aber wiederum gar nicht oft genug thematisiert werden.



    Bei der empfohlenen Verlegung in mehr ambulante Versorgung sehe ich aber nicht wirklich eine Lösung, solange in der ambulanten Pflege derselbe Personalmangel und Verheizung des Personals aufgrund von Pflege im vorgegebenen Minutentakt herrscht. Also personell dieselbe Lage, zumindest im sozialen und kulturellen Sparland Deutschland.

    Und ganz nebenbei: "Pfleger:innen und Pfleger" scheint mir doch etwas übergegendert ;-)

  • > An manchen Tagen sterben um die 1.000 Menschen an oder mit Corona. Weniger Einschränkungen und mehr Kontakte würden die Zahl der Infizierten weiter steigen lassen, weshalb noch mehr Kranke auf die Intensivstationen kämen. Die zahlreichen Todesfälle haben nichts mit mangelnder Infrastruktur oder fehlendem Personal zu tun.

    Sie haben in erster Linie was damit zu tun, dass man die nötigen Maßnahmen zu spät ergreift. Wir kennen nicht alle Dinge, die helfen, aber einige, die definitiv sehr wirksam sind (deswegen gehen die Zahlen ja jetzt zurück). Maßnahmen, die geeignet sind, die Infektionszahlen von 20000 auf 7000 zu drücken, sind genauso geeignet, sie von 7000 auf 700 zu drücken, und ebenso von 700 auf 70. (Ab dann braucht man qualitativ andere Maßnahmen, die auch sowieso ökonomisch günstiger sind, wie intensive Kontaktverfolgung und Einreisequarantäne. ) Aber es bringt ökonomisch rein gar nichts, mit diesen Maßnahmen zu warten. Es ist ähnlich sinnfrei, wie es wäre, mit der Meldung eines Brandes eine Weile zu warten, weil man denkt dass das Löschen dann billiger würde. Der Brand wird größer und das Löschen wird teurer, das ist alles.

  • 0G
    05653 (Profil gelöscht)

    Gesundheitsämter gehören wohl nicht zum Gesundheitssystem. Die waren schon mit Beginn der Pandemie an ihrer Grenze.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Warum ist es denn so kompliziert, mehr Krankenpflegerinnen und Pfleger einzustellen?""



    ==



    ""Der wesentliche Grund liegt in der zunehmenden Knappheit an Beschäftigten auf dem hiesigen Arbeitsmarkt.""

    Danke dafür. Endlich mal eine klare eindeutige Antwort.

  • "Dafür fehlen die Pflegekräfte. Deren Zahl lässt sich nicht schnell anheben. Denn auf dem Arbeitsmarkt gibt es die Leute nicht."



    Klar doch. Z.B. meine Frau. Die hat sogar auf Intensivstationen angeleitet. Wenn die Bezahlung und die Umstände auf den Stationen es wieder erlauben würden, würde sie wieder in den Beruf einsteigen. Wie viele viele andere ausgestiegene Pflegekräfte auch. Klatschen allein reicht nicht.



    Das ist wie an der Börse. Ein niedriger Börsenkurs ohne Handelsvolumen sagt wenig über die Verkäuferseite aus. Da kann es viele geben, die zu einem höheren Preis verkaufen wollen. Die gehören auch zum Markt. Wie die ausgestiegenen Pflegekräfte am Arbeitsmarkt.

    • @PS007:

      ich persönlich sehe höhere Löhne als den wichtigsten und zuerst zu ergreifenden Hebel:



      durch einen anständigen Lohn kommen mehr ehem. Pflegekräfte zurück und mehr Frischfleisch in die Ausbildung



      = mehr Arbeitskräfte, wodurch die seit Jahrzehnten wachsende Überlastung endlich wieder auf ein erträgliches Maß reduziert würde.

      Aber Deutschland will leider glauben, daß Klatschen ausreicht.



      "wenigstens haben die noch nen Job, im Zweifel sogar mit Pendelquarantäne".

      Wie kann man diesen kompletten Berufszweig nur so ausbluten lassen und sich dann wundern, daß keiner mehr diese Jobs machen will?

      • @snivlem:

        Das Geld für deutlich höhere Gehälter ist sogar bereits im Gesundheitssystem vorhanden, wird aber bisher in der Pharma-Ecke (Hersteller, Apotheken) verbrannt.