Gesundheitsexperte über Krebsimpfung: "Mehr Früherkennung statt Impfung"
Die Impfung gegen den Gebärmutterhalskrebs wurde anfangs als Sensation gefeiert. Nun gibt es Zweifel, ob nicht vor allem Pharmafirmen von der Impfung profitieren, so Gesundheitsexperte Joachim Both.
taz: Herr Both, viele sind von der neuen Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs begeistert. Sie auch?
JOACHIM BOTH arbeitet seit langem als Neurologe in Kliniken und einer eigenen Praxis. Er ist Mitglied der deutsche Sektion der "Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges" IPPNW und der Bundesarbeitsgemeinschaft Gesundheit der Bündnisgrünen.
Joachim Both: Nein. Krebs entsteht in einem Zeitraum von 10 bis 15 Jahren. Ob es nach der Impfung wirklich weniger Krebsfälle gibt, lässt sich also noch gar nicht beurteilen. Auch wie lange der mögliche Schutz wirkt, ist noch völlig hypothetisch. Der Hauptkritikpunkt: Mit der Impfung werden nur 2 von etwa 30 krebserregenden Virentypen erfasst. Das New England Journal of Medicine, eine der renommiertesten Fachzeitschriften überhaupt, spricht von einem Nutzen "nur im allergünstigsten Fall".
Die Impfkommission am Robert-Koch-Institut, die höchste deutsche Instanz in Impffragen, rät aber, sich impfen zu lassen. Warum?
Weil Interessen dahinter stehen. So ist der Exvorsitzende wegen seiner Nähe zur Industrie in die Kritik geraten. Die Mehrheit der Mitglieder hat "Interessenkonflikte", steht also auf der Gehaltsliste der Pharmaindustrie. Das ist inakzeptabel: Wer für die Hälfte unserer minderjährigen Bevölkerung öffentlich das Impfen empfiehlt, sollte objektiv und nicht interessengeleitet sein.
Aber die Impfung wird in so gut wie allen Industrieländern empfohlen. In Großbritannien wird sie sogar Schulimpfung für alle 12- und 13-jährigen Mädchen.
Die Pharmaindustrie und auch Impfhersteller bringen ihre Marketingstrategien weltweit zum Tragen. Neue Arzneien sind nicht wegen der Forschung so teuer, sondern weil global Milliarden Dollar in die Vermarktung gesteckt werden.
Mit 500 Euro ist die Impfung sehr teuer. Aber sollte Geld bei einer so wichtigen Sache überhaupt eine Rolle spielen?
Ja. Jeder Euro, der in diese Impfung fließt, fehlt den Kassen an anderer Stelle. Fast 500 Euro - das ist völlig überteuert. In den USA kostet die Substanz die Hälfte. Deutschland ist das einzige Land weltweit, das unfähig ist, mit der Industrie Preise auszuhandeln.
Es gibt ja eine Methode der Früherkennung: den Vorsorgetest beim Frauenarzt. Doch den nutzt nur etwa die Hälfte aller Frauen. Wäre es nicht besser, wenn die Vorsorgemuffel wenigstens geimpft wären?
Wir sollten eher Werbung für die Früherkennung machen. Gingen alle Frauen zur Vorsorge wie in Schweden oder Holland, dann bräuchten wir keine Impfung. Für eine Impfung lassen sich 15 Vorsorgeuntersuchungen bezahlen. Außerdem macht die Impfung die Vorsorgeuntersuchung ja nicht überflüssig, weil die Impfung nicht gegen alle Virenstämme schützt.
An Vorsorgemaßnahmen nehmen vor allem Mittelschichts-Frauen teil. Sind Schulimpfungen wie in Großbritannien nicht deshalb ein richtiger Weg?
Das würde ich bejahen, wenn ich vom Nutzen überzeugter wäre.
Und warum plädieren so viele Experten und Fachorgane für die Impfung?
Am Anfang war die Begeisterung groß. Die Aussicht, Menschen gegen Krebs zu impfen, ist ja verlockend: ein Menschheitstraum. Doch inzwischen ist die erste Begeisterung abgeflaut. Die Debatte versachlicht sich. Diese oder eine weiterentwickelte Form der Impfung mag ja ihre Berechtigung haben. Nur lässt sich das jetzt noch nicht ausreichend beurteilen.
Sind also die Standards, wann ein Medikament zugelassen wird, zu niedrig?
Nein, die Standards sind nicht zu niedrig. Das Problem ist eher, dass die Industrie ihre Studien zu wenig transparent macht und einseitig Details hochjubelt. Sie unterdrückt Studienergebnisse, die negativ sind. In den USA zahlen Pharmamultis deshalb Milliarden an Bußgeldern und auch Abfindungen an Patienten. Im Zusammenhang mit einem einseitigen Marketing kommt es so immer öfter dazu, dass neue Substanzen mit fragwürdigem Nutzen eingeführt werden.
Nehmen wir an, vor Ihnen stünde ein 12-jähriges Mädchen und bäte Sie um Rat. Würden Sie die Impfung empfehlen?
Schwierig - guten Gewissens würde ich nicht zuraten. Es gibt erste Hinweise, dass andere Virenstämme den Platz der Viren einnehmen könnten, die durch Impfen bekämpft werden. Wir wissen nicht, ob, wann und wie oft Auffrischimpfungen nötig sein werden.
Selbst wenn Ihre Skepsis berechtigt sein mag - es muss sich ja niemand impfen lassen. Ist es nicht schön, dass es diese Möglichkeit wenigstens gibt?
Zum Glück leben wir nicht in Texas, wo die Impfung Pflicht ist. Aber auch hier erhöht sich der Druck. So wird den Mädchen oft suggeriert, es sei verantwortungslos, sich nicht impfen zu lassen. Wir brauchen unbedingt unabhängige, öffentlich finanzierte Langzeit-Verlaufsstudien, um Nutzen und Risiko der Impfung objektiv feststellen zu können. Solche Studien aber sind derzeit nirgendwo in Sicht.
INTERVIEW: COSIMA SCHMITT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei