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Gesprächsreihe „Let's talk about class“Keine andere Wahl

Der soziale Aufstieg hat einen hohen Preis. Darum ging es bei der letzten Folge der Veranstaltungsreihe „Let's talk about class“ im Berliner Acud.

Auch Designermöbel können ausgrenzend und trennend wirken Foto: Papsch/imago

Diskriminierung sei ein Begriff, in dem wir etwas verstecken. Was wir verstecken, sei Schmerz, Leid, Sprachlosigkeit, Einsamkeit und Trauer, sagt der Schriftsteller Senthuran Varatharajah. Er spricht als jemand, der den Auftrag des sozialen Aufstiegs erfüllt hat, den ihm seine Eltern auferlegt haben. Seine Eltern kamen als Geflüchtete nach Deutschland, um in der Fabrik und als Putzfrau zu arbeiten.

Wie er den Begriff des Aufstiegs finde, wird Varatharajah gefragt, als ob das eine Rolle spielen würde. Er antwortet: „Es war von Anfang an gar nicht meine Entscheidung, es war der Imperativ meiner Eltern.“ Und: „Es gab keine Wahl.“ Obwohl er dem Auftrag nachgekommen ist und heute eine erfolgreiche Aufstiegsgeschichte erzählen kann, ist längst noch nicht alles gut: Von der Perspektive der Eltern aus gesehen sei seine Geschichte eine Erfolgsgeschichte, von seiner Perspektive aus jedoch eine traurige Geschichte.

Es geht um Trauer über das, was die Eltern durchgemacht haben, über die Entfremdung von ihnen, die mit dem Aufstieg einhergeht, über die Schwierigkeit, sich dann noch zu verständigen.

Klassismus als Diskriminierung

Darüber gesprochen hat Varatharajah bei der fünften Folge der Reihe „Let's talk about class: über Wege aus dem Klassenkrampf“, die vergangenen Donnerstagabend vom Berliner Kunst- und Veranstaltungshaus Acud gestreamt wurde. Auch die Autorin Elisa Aseva und der Coach Bettina Andrae haben laut darüber nachgedacht, welche Unterschiede Klasse macht. Daniela Dröscher und Michael Ebmeyer moderierten das Gespräch, das begleitet wurde von kurzen Lesungen.

Soziale Ungleichheit und Klasse sind auch so Begriffe, mit denen man etwas verstecken könnte. Sie klingen kalt und analytisch. Für das Verständnis der kapitalistischen Gesellschaft sind sie jedoch unerlässlich. Denn solche Begriffe mögen die mannigfaltige Realität zwar in ihr enges Korsett zwingen, aber mit ihnen lässt sich auch auf diese Realität einwirken. Bettina Andrae hat für die Berliner SPD einen Antrag geschrieben, in dem sie fordert, dass das Phänomen des Klassismus als Diskriminierungskategorie in die Landesgesetze aufgenommen wird.

„Es ergibt sich ein endloser Kreislauf, der bestimmte Gruppen vom Zugang zu basalen Möglichkeiten des gesellschaftlichen Fortkommens ausschließen kann und später den Status auf vielen Gebieten bestimmt“, liest sie daraus vor. Als Coach arbeitet sie auch mit Erstakademiker:innen, berichtet von deren Unsicherheit, von großen Potentzalen, erfolgreichen Laufbahnen, aber auch Angst, doch nicht gut genug zu sein. Deshalb versteht Andrae das Problem als eines von Selbst- und Fremdwahrnehmung, Stigma und Ausgrenzung, und sie fordert Aufklärungsarbeit sowie Sensibilisierung.

Feine Unterschiede

„Es ist für mich seltsam, über Klassismus zu reden, ohne über Kapitalismus zu reden“, sagt die Autorin Elisa Aseva dagegen und widerspricht der Idee, dass es hier allein um ein Problem der Vorurteile und der Borniertheit gehe. Die „ungelernte Arbeiterin“, wie sie sich vorstellt, veröffentlicht ihre Texte, ihre „Abschöpfprodukte des Alltags“, auf Facebook. Auch Asevas Mutter kam als Geflüchtete nach Deutschland.

Weil sie krank war, verbrachte die Autorin ihre ersten Lebensjahre in einem Kinderheim, wo eine Nonne aus bäuerlichen Verhältnissen die Lücke gefüllt hat. Auch von einer dritten Frau erzählt Aseva, eine deutsch-jüdische, bildungsbürgerliche und wohlhabende Flüchtlingshelferin, die sie heute Oma nennt. Während die drei Frauen Gemeinsamkeiten haben – alle haben etwa einen Krieg erlebt –, trennt sie eine wesentliche Sache: ihre Klasse.

Die schmerzhafte Distanz, die Varatharajah zwischen sich und seinen Eltern erlebt, erlebte Aseva deshalb zwischen ihren drei wichtigsten Bezugspersonen; weil der Klassenunterschied eben nicht nur einer der ungleichen Verteilung von materiellen Ressourcen ist, sondern auch einer von divergierenden Lebenskonzepten, von feinen Unterschieden, wie es der Soziologe Pierre Bourdieu sagen würde.

Stühle vom Sperrmüll

Varatharajah erzählt, dass seine Eltern bei einem Besuch irritiert auf die Einrichtung seiner Wohnung reagiert hätten. Er erzählt von einem teuren Stuhl, den er gekauft habe, quasi ein Symbol für die Kluft zwischen ihm und seinen Eltern. Wenn er diesen Stuhl heute anschaue, sehe er die Stühle, die sein Vater früher vom Sperrmüll aufgesammelt habe.

Vielleicht sind es auch Erinnerungen wie diese, die Aseva und Varatharajah gegen Ende des Gesprächs dazu bewegen, über Sensibilisierung und Aufklärungsarbeit hinauszugehen und den materiellen Kern der Sache zu benennen, über Kapitalismus und Klassenkampf zu sprechen.

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4 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Einige haben es verstanden: die modische Rede von Klassismus verschiebt die Diskussion weg vom Kapitalismus hin zu Befindlichkeiten, Safe Spaces sowie Psycho- und Identitätsgequatsche.

  • 7G
    75787 (Profil gelöscht)

    "Es braucht ein Minimum an Zugriff auf die Welt, um das Leben in die eigene Hand nehmen zu können. Ein Zugriff, der vielen Prekarisierten von heute ebenso fehlt wie schon dem algerischen Subproletariat der 1950er Jahre."

    taz.de/Pierre-Bour...burtstag/!5697549/

    • @75787 (Profil gelöscht):

      Jeder hat heute in Deutschland dieses Minimum an Zugriff auf die Welt in Form der kostenlosen Bildung. Einzige Bedingung ist dabei, dass man sich im schulpflichtigen Alter bereits in Deutschland aufhält.

      Wer diese Chance nicht nutzt oder zu spät kommt, der sollte seine Kinder anhalten, diese Chance zu nutzten.

    • 7G
      75787 (Profil gelöscht)
      @75787 (Profil gelöscht):

      ...doppeltgemoppelt - kann aber gerade dieser Tage nicht schaden.