Gespräche in Großbritannien: Mays neuer Brexit-Plan heißt Corbyn
Das Gesprächsangebot der Premierministerin an die Opposition soll helfen, den Brexit erneut zu verschieben. Die Labour-Basis reagiert gespalten.
Diese Worte zielten auf die eigene Partei. Sie sollten klarstellen, dass Gespräche zwischen May und Corbyn zum Brexit keineswegs Kompromisse in anderen Politikfeldern bedeuten.
Theresa May hat den Rahmen der Gespräche, die am Mittwochnachmittag beginnen sollten, eng gesteckt. Das zwischen Großbritannien und der EU verhandelte Austrittsabkommen, dessen dreimaliges Scheitern im Unterhaus jetzt den Dialog mit der Opposition nötig macht, stehe nicht zur Diskussion, sagte sie am Dienstagabend nach einer ganztägigen Kabinettssitzung. Es gehe allein um einen Konsens zu den zukünftigen Beziehungen, der im Parlament eine Mehrheit finden könnte, wofür May dann bei der EU eine abermalige kurze Verschiebung des Brexits beantragen will – sonst droht der No-Deal-Austritt am 12. April.
Labour könnte nun versuchen, den barrierefeien Zugang zu EU-Märkten nach dem Brexit auszuweiten – ein „weicher Brexit“. Corbyn sprach zusätzlich Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz an. Im Parlament bekräftige May, sie sei sich mit Corbyn über vieles einig: Beide wollten einen No Deal vermeiden, Arbeitsplätze schützen und die Freizügigkeit beenden.
Labour drohe Spaltung
Bei der Labour-Basis wird nun abgewartet. Andy Harrop, Generalsekräter des Labour-Thinktanks „Fabian Society“, sprach gegenüber der taz von einer guten Nachricht, sofern May einen weichen Brexit gegenüber einem harten Austritt vorziehe. Sollte May einer Zollunion und einer Integration in den Binnenmarkt, ja vielleicht sogar einem bestätigenden Referendum zustimmen, dann sollte Corbyn seine Unterstützung nicht verweigern. Dennoch sei das Misstrauen gegenüber May bei Labour hoch. Und er warnt: Sollte May bald abdanken, wie versprochen, „könnte die neue Führung der Tories alles, worüber man sich einig war, einfach ignorieren“.
Neal Lawson, Vorsitzender der proeuropäischen Gruppe „Compass“, glaubt, dass eine Einigung auf einen „weichen Brexit“ der Stimmung Großbritanniens als Ganzes nahekomme. „All das hätte bereits vor drei Jahren geschehen müssen, inklusive einer Diskussion über die sozioökonomischen Gründe für den Brexit“, sagt er zu den Gesprächen. Sollte Corbyn es jedoch nicht schaffen, ein zweites Referendum zu garantieren, drohe eine Labour-Spaltung, denn die Mehrheit der Mitgliedschaft fordere dies.
Der Akademikerverband „Scientists for Labour“ spricht von einem „zynischen Versuch“ Mays, an der Macht zu bleiben. Die Lösung seien Neuwahlen und ein zweites Referendum. Der Pro-Brexit-Flügel von Labour wiederum warnt aus anderen Gründen davor, sich auf May einzulassen: „Sie versucht nur, die eigene Schuld auf Labour zu schieben. Jeremy sollte einen Misstrauensantrag stellen, die Regierung stürzen und dann mit einer Labourregierung das Referendumsergebnis umsetzen“, glaubt Brendon Chilton von der linken Brexit-Kampagne „Labour Leave“. Bei Neuwahlen dürfe Labour nicht für die EU eintreten: „Mit einer proeuropäischen Position kann Labour in London viele Stimmen gewinnen, nicht jedoch in Orten wie Dudley oder Mansfield.“
Brendon Chilton, „Labour Leave“
In Blythe, nördlich von Newcastle, in einer Grenzregion zu Schottland, würde Labour bei einem Pro-EU-Wahlkampf Mitglieder verlieren, versichert auch David Mallon, 20, der hier beim letzten Wahlkampf geholfen hatte. „Das Schlimmste, was Corbyn und May machen könnten, wäre ein zweites Referendum. Das würde als Verrat am ersten Referendum gesehen werden.“ Aus solchen Kommentaren wird klar, weshalb Corbyn sich so bemühte, am Mittwoch soziale Themen zu betonen, bevor er sich mit May zusammensetzte. Sollte es tatsächlich zu einem gemeinsamen Brexit-Plan von Labour und Tories kommen, werden abgehängte Regionen Zusicherungen brauchen, dass Labour sie nicht vergessen hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“