Gespräch mit dem Regisseur Levan Akin: „Es ist wie ein kleines Amerika“
Levan Akin verbindet in seinem Spielfilm „Crossing – Auf der Suche nach Tekla“ ein Roadmovie mit einem Porträt der LGBTQ-Community von Istanbul.
Auf der Suche nach ihrer verschwundenen trans Nichte Tekla reist die pensionierte Lehrerin Lia von Georgien nach Istanbul. Im Schlepptau hat sie den jugendlichen Achi, der für sich selbst ein besseres Leben in der Metropole am Bosporus erhofft. Lange hilft ihnen niemand, bis sie der jungen Transaktivistin Evrim begegnen. Der schwedisch-georgische Regisseur Levan Akin („Als wir tanzten“) verwebt in „Crossing – Auf der Suche nach Tekla“ Traditionen und Moderne, Genderfragen und Klassenunterschiede zu einem lebendigen Porträt der regionalen LGBTQ-Community. Auf der Berlinale, wo der Film im Februar die Sektion Panorama eröffnete, wurde „Crossing“ mit dem Teddy-Jurypreis ausgezeichnet.
wochentaz: Herr Akin, Ihr neuer Film beginnt in Georgien, dem Land Ihrer Eltern, und verlagert sich dann nach Istanbul. Wie gut kannten Sie die Stadt?
Levan Akin: Ich liebe Istanbul seit meiner Kindheit. Mit meiner Familie war ich fast jeden Sommer in der Türkei und habe meine Großmutter besucht, die wie so viele Georgier dorthin ausgewandert war. Bis heute habe ich Verwandtschaft in Istanbul, die Stadt wandelt sich ständig, es ist ein verrückter, aber fantastischer Ort. All das wollte ich festhalten, durch den neugierigen, aber fremden Blick einer älteren Frau auf der Suche nach ihrer trans Nichte.
Wie viel wussten Sie über die Trans- und Queer-Community in Istanbul?
Levan Akin wurde 1979 in Tumba im Großraum Stockholm geboren. Er begann zunächst als Assistent für schwedische Filmproduktionen. Sein erster Spielfilm, „Als wir tanzten“, lief 2019 in Cannes.
Ich hatte einige Menschen kennengelernt, als ich meinen Film „Als wir tanzten“ präsentierte, der in der Türkei sehr erfolgreich war. Viele, die in „Crossing“ vor der Kamera mitwirken, sind Teil der Community. Ein türkischer trans Mann hat das Casting gemacht und mir viele weitere Menschen vorgestellt. Eine der ersten Frauen, die ich getroffen habe und die mich zu der Figur Evrim inspiriert hat, ist eine aktivistische Anwältin in Istanbul. Etliche Szenen im Film hat sie selbst fast genauso erlebt.
Wie authentisch sind die Orte, die sie zeigen, etwa die Häuser mit den queeren Kommunen?
Ich liebe Istanbul für die Vielfalt. Die unterschiedlichsten Leute leben hier neben-, über- und hintereinander. An einer Ecke das religiöse Viertel und zwei Straßen weiter der LGBTQ-Kiez, in dem queere Pärchen Hand in Hand gehen. Auch das Haus, in dem die Sexworkerinnen am Fenster sitzen und sich von Wohnung zu Wohnung zurufen, gibt es tatsächlich so. Wir verwendeten am Ende zwar nicht das reale Gebäude, weil wir nicht hineinplatzen wollten. Also haben wir es ganz in der Nähe nachgebaut. Aber alles ist so lebensnah wie möglich, abseits der touristischen Pfade.
Wie schwierig war es, Drehgenehmigungen zu bekommen?
Türkische Filme spielen nicht ohne Grund meist in ländlichen Gegenden, weil es fast unmöglich ist, in Istanbul zu drehen. Zum Glück war mir das anfangs nicht bewusst. Ich dachte ganz naiv, wir werden hier und da und dort drehen. Aber es war sehr mühsam.
Wegen des Themas?
Dafür interessiert sich in Istanbul niemand, die Stadt ist nicht wie der Rest des Landes. Sie ist vielfältig und sehr multikulturell geprägt. Griechen, Armenier, Georgier, spanische Juden aus der Zeit der Inquisition, sie alle zogen nach Istanbul. Es ist wie ein kleines Amerika. Vor allem war es ein logistisches Problem. Alle sind freundlich und sagen erst mal ja, ja. Und dann wird es doch sehr kompliziert.
Während Lia und Lucas auf der Suche sind, scheint Evrim die einzige Person, die ihren Platz im Leben bereits gefunden hat.
Ich wollte eine widerstandsfähige Frau zeigen, die über ihr Leben bestimmen kann. Sie nimmt sich den Raum, er wird ihr nicht gegeben. Das habe ich in der Community dort immer wieder so wahrgenommen, und das wollte ich im Film widerspiegeln. Die Darstellerin, Deniz Dumanli, hatte zuvor keine Erfahrung vor der Kamera, es ist ihr erster Film, und etliche Szenen waren für sie herausfordernd, weil sie ganz ähnliche Erfahrungen gemacht hat.
Viele Ihrer Darsteller*innen standen zuvor noch nie vor der Kamera. Wie finden Sie die richtige Besetzung für Ihre Figuren?
Es ist ein sehr langer Prozess. Für mich bestehen zwei Drittel des Films darin, die passende Person für jede Figur zu finden. Wenn das nicht gelingt, kann der Film zwar gut sein, aber er wird nicht wirklich berühren. Ich verbringe also viel Zeit mit der Suche und ging damit allen auf die Nerven. Luca etwa war kein Profi, er hat zuvor in einem Schönheitssalon gearbeitet und sich mit einem Selfie bei uns beworben. Mzia ist in Georgien eine bekannte Theaterschauspielerin, aber es ist erst ihr zweiter Film überhaupt. Sie ist meine Anna Magnani, ich liebe sie. Deniz hat uns ein Video auf Facebook geschickt.
Sie rücken in Ihren Filmen immer wieder gesellschaftliche Außenseiter ins Zentrum. Warum?
Es ist meine Hommage an Empathie und Solidarität, weil ich das in der Gesellschaft und im Leben allgemein sehe. Manchmal sind es nur kleine Gesten, die eine Art von Zusammenhalt zeigen. Das kommt sonst im Kino kaum vor oder nur in einer verkitschten Version. Ich glaube fest daran, dass wir Menschen im Grunde freundlich, zugewandt und solidarisch sind. Wir wollen uns gegenseitig helfen, wenn wir können. Und das möchte ich auch darstellen. Für mich ist das die Realität, nicht diese andere Realität, in der die Menschen einander misstrauen.
Im Film geht es auch um Gewalt, vor allem gegen trans Personen, die Sie aber nicht zeigen. Warum?
Weil das in queeren Filmen viel zu oft zu sehen ist. Wir wissen, dass es diese Gewalt gibt, aber ich will sie nicht reproduzieren. Ich muss nicht sehen, wie jemand verletzt wird. Das wäre schnell Ausbeutung. Mich interessieren viel mehr die kleinen Gesten der Solidarität und Freundlichkeit. Ich will inklusivere Geschichten erzählen, mit Erwartungen spielen. Wenn Evrim den gutaussehenden cis Mann kennenlernt, wird daraus kein Problem. Da sind einfach zwei Menschen, die sich heiß finden und Sex haben. Jemand meinte zu mir: „Aber er ist so nett.“ Ja, genau! Warum sehen wir eine solche Szene und erwarten sofort, dass etwas Schreckliches passiert? Hier begegnen sich zwei Menschen und es ist gut so. Das ist für mich subversiv.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr