Gesichtserkennung im öffentlichen Raum: Am besten aufs Handy schauen
Horst Seehofer will die elektronische Gesichtserkennung für Fahndungen einführen. Die kann aber durch Tricks unterlaufen werden.
Innenminister Horst Seehofer (CSU) hält den Berliner Test zur Leistungsfähigkeit von Gesichtserkennung für erfolgreich. „Die Systeme haben sich in beeindruckender Weise bewährt, so dass eine breite Einführung möglich ist“, erklärte Seehofer vor einigen Tagen. Zunächst solle eine „klarstellende Rechtsgrundlage“ im Bundespolizeigesetz geschaffen werden.
Die Bundespolizei hatte vorige Woche die Ergebnisse eines einjährigen Feldversuchs am Berliner Bahnhof Südkreuz – einem der fünf großen Fernbahnhöfe in der Hauptstadt – vorgelegt. An dem Versuch nahmen rund 300 Pendler freiwillig teil. Der Test sollte zeigen, wie oft die Versuchspersonen beim Durchqueren der Bahnhofshalle erkannt werden.
Die Fotos der Pendler bildeten eine imaginäre Fahndungsdatei. Dabei wurden die Pendler-Fotos mit den Aufnahmen von drei Kameras aus der Westhalle des Bahnhofs abgeglichen: am Eingang, am Ausgang und an der Rolltreppe. Die Bundespolizei testete dabei die Gesichtserkennungs-Software von drei verschiedenen Herstellern. Um festzustellen, wann die Pendler wirklich in der Bahnhofshalle waren, mussten sie einen Sender bei sich tragen.
Der Test war noch von Seehofers Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) angeordnet worden. Dieser wollte herausfinden, ob es etwa möglich wäre, einen islamistischen Gefährder oder einen gesuchten Verbrecher beim Betreten eines Bahnhofs zu erkennen. Es ging bei dem Test also um die Fahndung nach konkreten Personen. Es ging nicht darum, die Identität von normalen Passanten festzustellen oder Bewegungsbilder der ganzen Bevölkerung anzufertigen.
Beim Berliner Test erkannte der beste Anbieter in der ersten Testphase in 86,3 Prozent der Fälle die Testpersonen – in der zweiten Testphase stieg die Trefferquote sogar auf 91,7 Prozent. Das ist erstaunlich, weil in der zweiten Phase zum Abgleich nicht mehr Pendler-Fotos in Passbild-Qualität benutzt wurden, sondern Fotos von schlechterer Qualität, sogenannte „Fahndungsbilder“. Allerdings wurden jetzt bis zu fünf Fotos pro Pendler in die „Fahndungsdatei“ eingespeist. Insofern sind die Ergebnisse etwas geschönt. Bemerkenswert ist, dass die Leistung der Software zu allen Tageszeiten gleich gute Ergebnisse brachte. Die normale Beleuchtung in der Bahnhofshalle war offensichtlich ausreichend. Das ist ein großer Unterschied zu einem BKA-Test im Mainzer Hauptbahnhof 2006. Damals fiel die Erkennungsrate in der Dämmerung oder nachts auf 10 bis 20 Prozent. Hier hat sich die Technik offensichtlich verbessert.
Pendler mit Brille oder Schal zuverlässig erkannt
Wie der Test ergab, kann auch die Auswahl einer guten Kameraposition das Ergebnis optimieren. Schlechte Ergebnisse brachte vor allem die Kamera, die auf den Eingang zielte, weil hier die Gesichter im Gegenlicht zu dunkel erschienen.
Hauptproblem der Gesichtserkennung ist aber die Zahl der falschen Alarme, wenn also die Software irrtümlich einen normalen Passanten für einen Verbrecher hält. Die festgestellte Größenordnung von 0,1 Prozent klingt zwar niedrig. Bei rund 100.000 täglichen Nutzern des Bahnhofs Südkreuz wären das aber rund hundert Falschverdächtigungen pro Tag.
Die Bundespolizei empfiehlt deshalb eine Kombinationslösung. Im Alltagsbetrieb soll das System nur Alarm schlagen, wenn zwei Typen von Gesichtserkennung gleichzeitig einen Treffer melden. So ließe sich die Zahl der falschen Alarme deutlich reduzieren. Allerdings sinke dann auch der Anteil der Treffer. Deshalb soll in besonderen Lagen – wenn es konkrete Hinweise auf einen Anschlag gibt oder wenn der Täter nach einem Anschlag flüchtet – der Modus verändert werden. Das System würde dann Alarm melden, wenn nur eine von zwei Softwaretypen einen Treffer meldet. Die Trefferquote könnte dann auf rund 97 Prozent steigen. Vorübergehend müssten dann aber auch sehr viele Fehlalarme hingenommen werden.
Das Innenministerium behauptet zwar, der Test habe auch Pendler mit Brille oder Schal zuverlässig erkannt. Genaue Zahlen hierzu hat die Bundespolizei aber nicht veröffentlicht. Wie aus einem ähnlichen Test aus den USA bekannt ist, können Personen, die nicht erkannt werden wollen, dies sicher verhindern, indem sie zum Beispiel nach unten (auf ihr Smartphone) schauen. Auch der Einsatz von Sonnenbrillen, Mützen und Make-up brachte in den USA große Probleme.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance