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Gesetz zu SuizidassistenzSterbehilfe nur nach Beratung

Abgeordnete von SPD, FDP und Linke haben einen Gesetzentwurf zur Suizidassistenz vorgestellt. Er umfasst auch Zulassung eines strittigen Medikaments.

Jede Entscheidung, das Leben selbst zu beenden, muss freiwillig sein Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

BERLIN taz | Menschen, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen, sollen dazu von einem Arzt oder einer Ärztin Hilfe erhalten können, wenn sie vorher eine unabhängige Beratung in Anspruch genommen haben. Dies sieht ein interfraktioneller Gesetzentwurf der Abgeordneten Karl Lauterbach (SPD), Katrin Helling-Plahr (FDP) und Petra Sitte (Linke) vor, der am Freitag in Berlin vorgestellt wurde.

Lauterbach sagte, er sehe die Notwendigkeit, durch ein neues Sterbehilfegesetz ein „Sicherheitsnetz“ aufzuspannen, um zu garantieren, dass bei einer Entscheidung zum Suizid „Autonomie“ gegeben sei. Dem ärztlich assistierten Suizid müsste laut dem Gesetzentwurf eine Beratung durch eine unabhängige staatlich anerkannte Stelle vorausgehen, in dem der oder die Suizidwillige über Handlungsalternativen und die Möglichkeiten der palliativen Medizin aufgeklärt werden.

„Wir möchten ein umfassendes Beratungsangebot aufbauen“, sagte Helling-Plahr, „schließlich ist es uns aber auch wichtig, dass Sterbewillige in einem geordneten Verfahren Zugang zu Medikamenten zur Selbsttötung erhalten.“

Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem Urteil im Februar 2020 ein Verbot der Sterbehilfe als mit der Verfassung unvereinbar erklärt. Nach wie vor lehnen die Berufsordnungen der Ärztekammern in einigen Bundesländern aber die Hilfe zum Suizid ab.

Bescheinigung darf nicht zu alt sein

Der Gesetzentwurf der Abgeordneten sieht vor, dass der Arzt einem oder einer Suizidwilligen ein Mittel zur Selbsttötung verschreiben darf, sich aber durch „Vorlage einer Bescheinigung“ „nachweisen“ lassen muss, dass die Person zuvor eine Beratungsstelle aufgesucht hat. Die Beratung muss mindestens zehn Tage und darf höchstens acht Wochen ­zurückliegen.

Die unentgeltliche Beratung kann auch „aufsuchend“ sein, etwa wenn ein Patient oder eine Patientin nicht mehr mobil ist. Als Beratungsstellen können auch die Einrichtungen freier Träger sowie Ärztinnen und Ärzte „anerkannt werden“, heißt es in dem Entwurf.

Lauterbach erklärte, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020 habe „wenig Spielraum“ für einen Gesetzentwurf gelassen. Das Gericht kippte im Februar 2020 das Verbot der „geschäftsmäßigen“ Sterbehilfe, weil nach Ansicht der Richter das Recht auf selbstbestimmtes Sterben das Recht einschließe, sich mit Hilfe Dritter das Leben zu nehmen. Die Karlsruher Richter räumten dem Gesetzgeber aber die Möglichkeit ein, die Verfahren der ärztlichen Suizidassistenz auszugestalten.

Streitpunkt Pentobarbital

Das Mittel Natrium-Pentobarbital, das in der Sterbehilfe als besonders human und wirksam gilt, darf in Deutschland von ÄrztInnen bislang nicht für PatientInnen verschrieben werden. Der Gesetzentwurf sieht vor, das Betäubungsmittelgesetz zu ändern, sodass die Verschreibung von Natrium-Pentobarbital in der Suizid­assistenz möglich wäre.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) blockiert bisher auf Anweisung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Abgabe dieses Mittels an schwerkranke Suizidwillige, obwohl die Verwaltungsgerichte in Einzelfällen diese Abgabe gestatteten. ÄrztInnen müssten „unabhängig vom BfArM, das mit dieser Entscheidung überfordert ist, Zugriff auf Medikamente für die Patienten erhalten“, sagte Petra Sitte von der Linken.

Ein alternativer Gesetzentwurf zum ärztlich assistierten Suizid kommt von den Abgeordneten der Grünen, Renate Künast und Katja Keul. Dieser Entwurf unterscheidet, ob die Betroffenen ihren Tod wegen einer schweren Erkrankung anstreben oder aus anderen Gründen. Im letzteren Fall seien „höhere Anforderungen“ an die „Dokumentation der Dauerhaftigkeit eines selbstbestimmten Entschlusses“ zu stellen, so der Entwurf.

Derzeit bieten vor allem die Vereine Sterbehilfe Deutschland und Dig­nitas den ärztlich assistierten Suizid an. Mit den Vereinen verbundene ÄrztInnen verschreiben Suizidwilligen Medikamentenkombinationen, die tödlich wirken. Diese Suizidassistenz kann mit allen Nebenkosten um die 10.000 Euro kosten.

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9 Kommentare

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  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Wenn der Staat die Sterbehilfe per Gesetz regeln soll, dann soll er bitte auch dafür sorgen, dass die Kommission (Ethiker, Pastoren, Psychologen, Sozialarbeiter und Angehörige), den Schierlingsbecher reichen. Ärzte braucht es dazu nicht, das kann auch jeder Mitarbeiter des Gesundheitsamtes ausführen. Ärzte sollten Leben erhalten, und Leiden lindern, bzw. Das Sterben erleichtern. Unwertes Leben aus Sicht des Patienten, der Angehörigen und des Staates zu beenden ist nun mal kein erstrebenswerter Bestandteil des Arztseins ( Egal aus welchen Gründen) Also freie Bahn den Suizidhelfern in Staat und Gesellschaft, aber lasst bitte die Ärzte außen vor.

  • 0G
    05344 (Profil gelöscht)

    "Ein alternativer Gesetzentwurf zum ärztlich assistierten Suizid kommt von den Abgeordneten der Grünen, Renate Künast und Katja Keul."

    Gibt es das öfters, dass Alternativen erarbeitet und eingebracht werden? :-)

  • Großer Dank an Renate Künast!! So erst bekommt das Ganze eine menschliche Dimension.

  • Was für ein gefährlicher Unsinn! So etwas wie autonomes oder selbstbestimmtes Sterben gibt es nicht. Wenn dem so wäre könnte ich nämlich das mit dem Sterben einfach sein lassen. Kann ich aber nicht, genau wie alle anderen. Auch den Zeitpunkt des Sterbens kann ich nicht frei wählen, ich kann ihn nur vorverlegen. Autonomie ist etwas anderes. Die ganze Diskussion ist aus meiner Sicht Selbstbetrug mit gefährlichen Nebenwirkungen für die Gesellschaft.

  • der gesetzentwurf ist nicht zu locker, sondern antiliberal, da eine zwangsberatung der autonomie diametral entgegengesetzt ist.

    • @kipferl:

      Vor Allem legt es offen wie wenig hier im allgemeinen Fall zu regeln ist. Wie will man denn jene sanktionieren die sich suizidieren ohne eine vorherige Beratung in Anspruch genommen haben? Eine Verurteilung post-mortem wird wohl kaum jemanden abhalten. Es gibt einfach Bereiche des menschlichen Daseins aus denen sich der Gesetzgeber besser raushalten sollte.

  • Ich war bei diesem Thema immer recht liberal. Dann las ich eine lange Reportage im Guardian über die Verhältnisse in den Niederlanden. Absolut grauenhaft. Dammbruch und schiefe Ebene gibt es manchmal wirklich. Wenn Menschen gegen ihren erkennbaren Willen totgespritzt werden und Ehefrauen ihren Mann als Feigling beschimpfen, weil er sich nicht „endlich“ töten lässt, dann sind die Gesetze zu locker. Ich kann nur hoffen, dass es in Deutschland nie so weit kommt und empfehle jedem, diese Reportage auch zu lesen.

    • @Suryo:

      Ich persönlich kenne zwei Fälle in den Niederlanden. Und in beiden haben zumindest die mir bekannten Beteiligten die Möglichkeit ein langes Leiden (beides mal fortgeschrittener Lungenkrebs) zu beenden als segensreich empfunden. Leichtfertig kam mir das in beiden Fällen nicht vor.

      Hat der von Ihnen geschilderte Artikel denn auch etwas darüber ausgesagt, was denn die Konsequenzen für das Handeln waren? Jemanden gegen seinen Willen zu töten ist auch nach niederländischem Gesetz strafbar.

      Und in meinem Leben habe ich leider schon öfter gesehen, wie oft Angehörige leidenden das restliche Leben zur Hölle machen können.

      Auch mit dem absoluten Sterbehilfeverbot. Gegen Böswilligkeit (und Grausamkeit durch Überforderung) hilft die totale Prohibition eben auch nicht. Nur bleibt sie so auch im Dunkelfeld.

      • @Helmut Fuchs:

        Der Fall ging auch hier durch die Medien. Eine Demenzkranke hatte schriftlich festgelegt, dass sie beim Eintritt bestimmter Umstände eine tödliche Spritze bekommen wolle. Als dieser Punkt kam und der Arzt ansetzte, wehrte sich die Frau heftig. Angehörige mussten sie festhalten, damit die Spritze verabreicht werden konnte. Der Arzt wurde freigesprochen. In anderen Worten: wer geistig “zu” verwirrt ist, kann noch so heftigen Widerstand leisten, er oder sie kann in den Niederlanden getötet werden, wenn er oder sie Jahre zuvor ein entsprechendes Papier unterzeichnet hat. In dem anderen Fall hatte ein behandelnder Arzt seinem Patienten immer abgeraten, sich umbringen zu lassen, weil dem Arzt klar war, dass der Patient, den er seit Jahren behandelt hatte, eigentlich gar nicht sterben wollte und nur immer wieder von seiner Frau dazu gedrängt wurde. Als der Arzt dann im Urlaub war, ließ sich die Urlaubsvertretung dazu überreden, dem Mann die tödliche Spritze zu verabreichen. Ich bin mittlerweile eher der Meinung, dass die aktive Sterbehilfe sehr stark begrenzt sein sollte und im Zweifelsfall immer das Weiterleben Vorrang haben muss. Denn den Tod kann man halt nicht mehr rückgängig machen. Aber in Holland wurde ja schon diskutiert, jedem ab 65 eine Suizidpille zur Verfügung zu stellen. Ich frage mich da, warum ausgerechnet das Rentenalter? Warum wirkt das so, als seien einige der Meinung, dass ein Leben ab 65 irgendwie zwangsläufig nicht mehr lebenswert sein kann?