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Gesetz für bessere KrankheitserkennungViel zu viele kranke Herzen

Jeder dritte Sterbefall wird durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursacht. Die sind oft vermeidbar. Kann das „Gesundes-Herz-Gesetz“ Abhilfe schaffen?

Eine letzte Kippe, dann zum Gesundheitscheck Foto: Jens Schicke/imago

Berlin taz | Deutschland ist Spitze bei den Gesundheitsausgaben, aber alles andere als Spitze bei der Lebenserwartung. Im Durchschnitt leben hier Geborene zwei bis drei Jahre kürzer als etwa in der Schweiz. Auf einem mickrigen 22. Platz liegt Deutschland im EU-Vergleich, Tendenz abwärts. Einer der Hauptgründe: Zu viele Deutsche sterben an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Im Bundestag wird am Mittwoch der Entwurf zum „Gesundes-Herz-Gesetz“ diskutiert – und er ist durchaus umstritten.

Die drei häufigsten Todesursachen in Deutschland sind: Atemwegserkrankungen (jeder 14. Sterbefall), Krebs (jeder 5.) und mit Abstand ganz vorn Herz-Kreislauf-Erkrankungen (jeder 3.). Angeborene Stoffwechselstörungen, Rauchen, ungesunde Ernährung und zu wenig Bewegung treiben das Risiko für einen Herztod nach oben.

Wie stark sie gefährdet sind, erfahren Betroffene häufig erst in einem bereits dramatischen Stadium der Herzerkrankung. Diagnose, Behandlung und Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen gelten allesamt in Deutschland als verbesserungswürdig. Erkrankungen des Kreislaufsystems kosten das Gesundheitssystem laut Gesundheitsministerium jährlich rund 57 Milliarden Euro.

Dass es weniger dramatische Herzerkrankungen in Deutschland geben könnte, zeigt ein Beispiel: Mindestens 1 von 500 Kindern wird mit einer Fettstoffwechselstörung geboren, die häufig schon im jungen Erwachsenenalter zu schweren Herzproblemen führt. Früh erkannt, ist diese Störung gut behandelbar. Aber: Nur ein Bruchteil der Fälle wird im Kindesalter festgestellt, die Erkrankung gilt in Deutschland seit Jahren als unterdiagnostiziert und unterbehandelt.

Sportverbände fürchten um Geld für Prävention

Die standardmäßigen Kinderuntersuchungen will das Gesundes-Herz-Gesetz nun entsprechend erweitern, was medizinische Fachverbände und Pa­ti­en­t*in­nen­or­ga­ni­sa­tio­nen begrüßen. Um Risikofaktoren wie Übergewicht frühzeitig zu diagnostizieren, sollen die Krankenkassen zudem noch einmal extra zu der oft vernachlässigten, weil nicht meldepflichtigen Jugenduntersuchung J1 im Alter von 12 bis 14 Jahren einladen.

Gesetzlich Versicherte sollen von ihren Krankenkassen außerdem Einladungen für einen zusätzlichen Herz-Kreislauf-Checkup im Alter von 25, 40 und 50 Jahren bekommen und die Apotheken in die Früherkennung eingebunden werden.

Umstritten sind die Pläne des Gesundheitsministeriums in Sachen Therapie und Vorbeugung. So ist ein gesetzlicher Anspruch auf die Behandlung mit Lipidsenkern, sogenannten Statinen, vorgesehen. Statine sollen den Cholesterinspiegel senken und so etwa Herzinfarkten vorbeugen. Im Moment sind sie bei Ri­si­ko­pa­ti­en­t*in­nen vor allem dann vorgesehen, wenn nichtmedikamentöse Maßnahmen wie Diäten oder mehr Bewegung nicht greifen. Außerdem soll auch die Behandlung mit Medikamenten zur Tabakentwöhnung ausgeweitet werden.

Von der Patientenvertretung Deutsche Herzstiftung und den herzmedizinischen Fachgesellschaften werden auch diese Maßnahmen unterstützt. Mit der Erleichterung der Verordnung von Statinen würde eine Unterversorgung adressiert, heißt es in einer Stellungnahme der Herzstiftung. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Therapie sei bei Hoch-Risiko-Patient*innen sehr effektiv. Nichtmedikamentöse Präventionsangebote seien aber beizubehalten.

Gerade die sind aber laut Krankenkassen und Sportverbänden in Gefahr. „Tatsächlich handelt es sich beim Gesundes-Herz-Gesetz um ein Präventionskürzungsgesetz, in dem die Mittel für die Primärprävention zugunsten einer weiteren Medikalisierung zusammengestrichen werden“, heißt es etwa von Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung. Dass dadurch die angestrebte Verringerung der Krankheitslast erreicht werden könne, sei mehr als fraglich.

Auf taz-Anfrage heißt es aus dem Bundesgesundheitsministerium, dass die Krankenkassen ihre Leistungen zugunsten der gezielten Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen umschichten sollten und es an anderer Stelle zusätzliche Präventionsmaßnahmen gebe. Am Mittwochnachmittag wird der Gesetzentwurf im Bundestag beraten. Vor einem endgültigen Beschluss dürfte es noch Diskussionen geben.

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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Na, toll. Statine zur Förderung der Gesundheit. Bisher gibt es meines Wissens nicht eine Studie zu Statinen und Frauen: einfach weil sich bei Frauen kein statistischer Zusammenhang zw. erhöhten Blutfetten und Herzinfarkten/ Schlaganfällen herstellen lässt. Darüber hinaus stören Statine die Funktion der Mitochondrien, der Struktur, die die Zelle mit Energie versorgt. Symptom: Muskelschmerzen. Blutfette senken geht bei den meisten ganz einfach: weniger Kohlenhydrate essen! Senkt auch insgesamt die Entzündungswerte. Und chronische unterschwellige Entzündungen dürften der Hauptgrund für die meisten Gefäßerkrankungen sein. Angeborene Stoffwechselerkrankungen: extrem übergewichtige Mütter bekommen stoffwechselgestörte Kinder. Übergewicht bekämpfen könnte mehr Menschen vor tödl. kardialen Erkrankungen retten als ein Medikament, das erhebliche Nebenwirkungen hat. Statine bescheren den Herstellern 2stellige Milliardenbeträge Gewinn/ Jahr. Rein statistisch müssen mehr als 700 Menschen ein Statin einnehmen, damit 1 einziger Patient vor einem tödl. kardialen Ereignis bewahrt wird. Was soll das?. Verdienen die Macher dieses Programms an den Dingern?

  • In jedem deutschen Supermarkt werden die drei gefährlichsten Suchtmittel Zucker, Nikotin und Alkohol direkt im Kassenbereich angeboten und zwar im Falle von Zucker und Alkohol sogar in Formaten die extra daraufhin desgined sind, schwer Suchtkranke schwach zu machen. Kleine Schnäpse wie 2cl Underbergs trinken z.B. fast nur Alkoholiker.

    Das heisst jeder trockene Alkoholiker, jeder Adipöse,jeder Ex-Raucher muss direkt an seinem Stoff vorbei jedesmal wenn er nur eine Gurke oder eine Packung Tampons kaufen will.

    Auxh ist es kein Zufall dass bunt besruckte Süssigkeitenpackungen mit lustigen Figuren so niedrig liegen dass jede Dreijährige sie sehen kann.

    Das alleine gehört verboten. Alkohol ubd Zigarette nur noch in Fachgeschäften und nur noch in neutralen Verpackungen. Und axhon hätten wir ein paar zehntausend Kranke weniger

  • Sicher alles richtig. Aber was immer vergessen wird: wir müssen alle irgendwann sterben. Wenn man die eine Todesursache vermindert, gewinnt eine andere. Sterbe ich nicht an Herzkreislauferkrankungen, ereilt mich vielleicht das wenig schöne Szenario eines Todes durch Alzheimer. Krebs ist auch kein schöner Tod.



    Klar, dass man die Dauer des Lebens verlängert wenn man sich gesünder verhält. Wie das dann verlängerte Leben aussieht, ist aber was anderes.

  • Gute-******-Gesetz e haben wir schon genug.



    Denn der Name allein macht es nicht.

    In dieser Sache muss was getan werden - ganz zweifelsohne.

    Aber angesichts der "Leistungsfähigkeit" der amtierenden Koalition hoffe ich auf Vertagung.



    Sonst kommt da nämlich nichts bei raus, als ein weiterer Fetzen Papier ohne nennenswerte Wirkung.

  • Nun.... auch das gehört zu Lebensstil Erkrankungen. Man könnte also..... nein... der Lebensstil darf seit 30 Jahren nicht mehr kritisiert werden. Er macht schliesslich die Indidualität aus..... meinen Viele

  • "Mit der Erleichterung der Verordnung von Statinen würde eine Unterversorgung adressiert, heißt es in einer Stellungnahme der Herzstiftung."



    Offensichtlich ist die Sach-/Evidenzlage schwer zu beurteilen.



    Lauterbach hatte Gröhe damals wegen der Entwürfe kritisiert.



    Es gibt Gegenmeinungen.



    /



    6/24 in pharmazeutische-zeitung.de



    "Auch aus Sicht des AOK-Bundesverbands geht das Gesetz in die falsche Richtung. »Der Referentenentwurf zum GHG könnte auch Pillen-statt-Prävention-Gesetz heißen«, moniert Vorstandsvorsitzende Dr. Carola Reimann. Statine seien keine Smarties. Sie verweist ebenfalls darauf, dass solche Entscheidungen auf Grundlage wissenschaftlicher Evidenz über die etablierten Bewertungswege des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) getroffen werden sollten."