Gesetz für Tötung von Straßenhunden: Die Türkei geht vor die Hunde
Die Türkei hat ein Gesetz verabschiedet, das die Tötung von Straßenhunden vorsieht. Der Streit darüber zeigt, wie unversöhnlich die Gesellschaft ist.
Straßenhund „Boji“ in Istanbul Foto: Stadtverwaltung Istanbul/dpa/Picture alliance
Straßentiere gehören zu Istanbul dazu. Vor jeder Metzgerei liegt ein dösender Hund, in jedem Schaufenster sitzt eine Katze auf einem Kissen und putzt sich. Manchmal fahren Hunde sogar mit der Fähre durch die Stadt und werden so zu Social-Media-Stars.
Die Einheimischen, die in der Stadt leben, die mit ihren hohen Lebenshaltungskosten, dem lähmenden Verkehr und dem ohrenbetäubenden Lärm kein einfacher Ort zum Leben ist, sehen das ironisch: Hier geht es den Tieren besser als den Menschen. In den wohlhabenden Vierteln, wo Katzen und Hunde oft so fett sind, dass sie kaum laufen können, jagen Anwohner*innen die Tiere regelrecht, um sie zu füttern.
Neben all den Menschen, die Streuner füttern, gibt es auch diejenigen, die das vehement ablehnen, die nicht wollen, dass es den Tieren besser geht als den Menschen. Sie wollen nicht, dass man Mitleid mit den Viechern hat, wo auch niemand Mitleid mit ihnen hat.
Ebnet den Weg für Gewalt
Sie sagen zwar, sie hätten nichts gegen Tiere, und dass es nur darum ginge, dass keine Menschen mehr angegriffen werden. Das ist aber nicht die ganze Wahrheit. Tatsächlich zeigt die Debatte, dass die Gesellschaft aufgrund der politischen Situation und der anhaltenden wirtschaftlichen Misere gespaltener ist denn je.
Ein vom türkischen Parlament verabschiedetes Gesetz ebnet den Weg zur Massentötung streunender Hunde. Trotz monatelanger Proteste von Opposition und Tierschutzorganisationen konnte das Gesetz, das so viel Aufmerksamkeit erregte, nicht gestoppt werden. Nach dem neuen Gesetz haben Streuner nicht mehr die gleichen Rechte wie Haustiere. Die Regierung behauptet, dass es 4 Millionen streunende Hunde in der Türkei gebe. Belege dafür gibt es nicht. Tatsächlich soll die Zahl niedriger sein.
Die Akademikerin und Tierrechtsaktivistin Mine Yıldırım sagte kürzlich, dass Gewalt gegen Tiere den Weg für andere Formen von Gewalt in der Gesellschaft ebnet: „Gewalt gegen Tiere ist eine Form von Gewalt, die nicht nur die Beziehungen zwischen Mensch und Tier, sondern auch die Beziehungen zwischen Menschen stört, verzerrt und verändert.“
Ein verstörender Wunsch
Und seit Beginn der Debatte um das „Euthanasiegesetz“ sind tatsächlich viele Tierschützer*innen angegriffen worden. Auch Straßentiere zu füttern, ist nicht ungefährlich. Anfang des Monats schlug ein Mann eine Frau im Istanbuler Stadtteil Maltepe mit einem Stock, weil sie Streuner gefüttert hatte. Erst letzte Woche wurden in Bursa eine Mutter und ihre Tochter, die Katzen fütterten, von Nachbarn angegriffen und mussten daraufhin ins Krankenhaus.
Kann man diesen Hass und diese Gewalt mit der Angst vor Hundeangriffen erklären? Oder liegt etwas grundsätzlich Verstörendes in dem Wunsch, etwas auszurotten, das andere lieben?
So wie Präsident Tayyip Erdoğan vor mehr als einem Jahrzehnt die Umweltschützer, die den Gezipark verteidigten, kriminalisierte, tat er es nun mit denjenigen, die die Aufhebung des Gesetzes forderten: „Wir werden nicht zulassen, dass drei bis fünf Randfiguren das Parlament lahmlegen, indem sie Unruhe stiften. Wir werden keine Kompromisse eingehen, wir werden diese Arbeit beenden.“
Kein Platz in Tierheimen
Ein 2004 verabschiedetes Gesetz sollte das Problem lösen. Es verpflichtete die Stadtverwaltung, streunende Hunde einzusammeln, zu kastrieren und wieder auf die Straße zu lassen. Damit sollte das Populationswachstum eingedämmt und ein Vakuumeffekt verhindert werden, bei dem nach einem vorübergehenden Rückgang unkontrolliert neue Hunde nachrücken.
Das Problem ist, dass Gemeinden das so nicht umsetzten, weil Gelder dafür falsch genutzt wurden. Von den 1.389 Gemeinden in der Türkei haben 1.200 kein Tierheim. Das jetzige Gesetz sieht eigentlich vor, dass die Hunde eingesammelt und nur dann getötet werden, wenn sie niemand adoptiert, wenn sie aggressiv sind oder an ansteckenden oder unheilbaren Krankheiten leiden, wie es in einigen europäischen Ländern der Fall ist. Da es aber keinen Platz für die Hunde gibt, wird das unweigerlich zu Massakern führen. Die Tatsache, dass Euthanasie „ein guter Tod“ genannt wird, macht das Vorhaben nicht weniger gewalttätig.
Das zeigt auch die Aggression, die die Debatte in der Gesellschaft auslöst. Egal, wie es letztendlich umgesetzt wird, hat dieses Gesetz die Beziehungen und das Vertrauen zwischen Nachbarn in der Türkei zerstört und einen Nährboden für Gewalt geschaffen. Und wenn der Staat, wie es in der Vergangenheit immer wieder gesagt wurde, beschließt, die Todesstrafe wieder einzuführen, werden die gesellschaftlichen Folgen nicht anders sein als nach dem, was jetzt beschlossen wurde.
Gesetz für Tötung von Straßenhunden: Die Türkei geht vor die Hunde
Die Türkei hat ein Gesetz verabschiedet, das die Tötung von Straßenhunden vorsieht. Der Streit darüber zeigt, wie unversöhnlich die Gesellschaft ist.
Straßenhund „Boji“ in Istanbul Foto: Stadtverwaltung Istanbul/dpa/Picture alliance
Straßentiere gehören zu Istanbul dazu. Vor jeder Metzgerei liegt ein dösender Hund, in jedem Schaufenster sitzt eine Katze auf einem Kissen und putzt sich. Manchmal fahren Hunde sogar mit der Fähre durch die Stadt und werden so zu Social-Media-Stars.
Die Einheimischen, die in der Stadt leben, die mit ihren hohen Lebenshaltungskosten, dem lähmenden Verkehr und dem ohrenbetäubenden Lärm kein einfacher Ort zum Leben ist, sehen das ironisch: Hier geht es den Tieren besser als den Menschen. In den wohlhabenden Vierteln, wo Katzen und Hunde oft so fett sind, dass sie kaum laufen können, jagen Anwohner*innen die Tiere regelrecht, um sie zu füttern.
Neben all den Menschen, die Streuner füttern, gibt es auch diejenigen, die das vehement ablehnen, die nicht wollen, dass es den Tieren besser geht als den Menschen. Sie wollen nicht, dass man Mitleid mit den Viechern hat, wo auch niemand Mitleid mit ihnen hat.
Ebnet den Weg für Gewalt
Sie sagen zwar, sie hätten nichts gegen Tiere, und dass es nur darum ginge, dass keine Menschen mehr angegriffen werden. Das ist aber nicht die ganze Wahrheit. Tatsächlich zeigt die Debatte, dass die Gesellschaft aufgrund der politischen Situation und der anhaltenden wirtschaftlichen Misere gespaltener ist denn je.
Ein vom türkischen Parlament verabschiedetes Gesetz ebnet den Weg zur Massentötung streunender Hunde. Trotz monatelanger Proteste von Opposition und Tierschutzorganisationen konnte das Gesetz, das so viel Aufmerksamkeit erregte, nicht gestoppt werden. Nach dem neuen Gesetz haben Streuner nicht mehr die gleichen Rechte wie Haustiere. Die Regierung behauptet, dass es 4 Millionen streunende Hunde in der Türkei gebe. Belege dafür gibt es nicht. Tatsächlich soll die Zahl niedriger sein.
Die Akademikerin und Tierrechtsaktivistin Mine Yıldırım sagte kürzlich, dass Gewalt gegen Tiere den Weg für andere Formen von Gewalt in der Gesellschaft ebnet: „Gewalt gegen Tiere ist eine Form von Gewalt, die nicht nur die Beziehungen zwischen Mensch und Tier, sondern auch die Beziehungen zwischen Menschen stört, verzerrt und verändert.“
Ein verstörender Wunsch
Und seit Beginn der Debatte um das „Euthanasiegesetz“ sind tatsächlich viele Tierschützer*innen angegriffen worden. Auch Straßentiere zu füttern, ist nicht ungefährlich. Anfang des Monats schlug ein Mann eine Frau im Istanbuler Stadtteil Maltepe mit einem Stock, weil sie Streuner gefüttert hatte. Erst letzte Woche wurden in Bursa eine Mutter und ihre Tochter, die Katzen fütterten, von Nachbarn angegriffen und mussten daraufhin ins Krankenhaus.
Kann man diesen Hass und diese Gewalt mit der Angst vor Hundeangriffen erklären? Oder liegt etwas grundsätzlich Verstörendes in dem Wunsch, etwas auszurotten, das andere lieben?
So wie Präsident Tayyip Erdoğan vor mehr als einem Jahrzehnt die Umweltschützer, die den Gezipark verteidigten, kriminalisierte, tat er es nun mit denjenigen, die die Aufhebung des Gesetzes forderten: „Wir werden nicht zulassen, dass drei bis fünf Randfiguren das Parlament lahmlegen, indem sie Unruhe stiften. Wir werden keine Kompromisse eingehen, wir werden diese Arbeit beenden.“
Kein Platz in Tierheimen
Ein 2004 verabschiedetes Gesetz sollte das Problem lösen. Es verpflichtete die Stadtverwaltung, streunende Hunde einzusammeln, zu kastrieren und wieder auf die Straße zu lassen. Damit sollte das Populationswachstum eingedämmt und ein Vakuumeffekt verhindert werden, bei dem nach einem vorübergehenden Rückgang unkontrolliert neue Hunde nachrücken.
Das Problem ist, dass Gemeinden das so nicht umsetzten, weil Gelder dafür falsch genutzt wurden. Von den 1.389 Gemeinden in der Türkei haben 1.200 kein Tierheim. Das jetzige Gesetz sieht eigentlich vor, dass die Hunde eingesammelt und nur dann getötet werden, wenn sie niemand adoptiert, wenn sie aggressiv sind oder an ansteckenden oder unheilbaren Krankheiten leiden, wie es in einigen europäischen Ländern der Fall ist. Da es aber keinen Platz für die Hunde gibt, wird das unweigerlich zu Massakern führen. Die Tatsache, dass Euthanasie „ein guter Tod“ genannt wird, macht das Vorhaben nicht weniger gewalttätig.
Das zeigt auch die Aggression, die die Debatte in der Gesellschaft auslöst. Egal, wie es letztendlich umgesetzt wird, hat dieses Gesetz die Beziehungen und das Vertrauen zwischen Nachbarn in der Türkei zerstört und einen Nährboden für Gewalt geschaffen. Und wenn der Staat, wie es in der Vergangenheit immer wieder gesagt wurde, beschließt, die Todesstrafe wieder einzuführen, werden die gesellschaftlichen Folgen nicht anders sein als nach dem, was jetzt beschlossen wurde.
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Schwerpunkt Türkei
Kommentar von
Ali Çelikkan
Autor*in
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