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Geschichtsrevisionismus bei TwitterKündigung nach Tweet

Anna Dobler verliert ihren Job beim österreichischen „Exxpress“. Sie hatte zur Wannseekonferenz Nazis als „Sozialisten“ bezeichnet.

Geschäfts­führerin Eva Schütz und Chefredakteur Richard Schmitt unterschrie­ben Doblers Rauswurf Foto: Roland Schlager/APA/picture alliance

Wien taz | Österreich hat eine neue Geschichtserklärerin. „Das waren nicht nur Mörder, sondern auch durch und durch Sozialisten.“ Mehr fiel Anna Dobler zu dem am Montag im ZDF und ORF ausgestrahlten Film über die Wannseekonferenz offenbar nicht ein. Auf Twitter regnete es sofort zustimmende Kommentare von rechts außen – und viel Kritik von allen anderen Seiten. Auf der Wannseekonferenz vom Januar 1942 planten die Nazis die systematische Vernichtung von elf Millionen Juden in ganz Europa.

Weniger Zustimmung gab es auch von Herausgeberin und Chefredakteur des ÖVP-nahen Online-Boulevardmediums Exxpress, wo Dobler bis Dienstag Kolumnistin und stellvertretende Chefredakteurin war. „Aus aktuellem Anlass möchte das Exxpress-Medienhaus betonen, dass die von Anna Dobler auf Twitter zum TV-Film ‚Wannseekonferenz‘ geäußerte Meinung keinesfalls jener der Redaktion entspricht.“ Redaktion und Team wollen nicht „auch nur mit dem geringsten Verdacht einer möglichen Relativierung des Nationalsozialismus belastet“ werden. Man wolle auch nicht, „dass gute Freunde aus der Sozialdemokratie per Tweet gekränkt werden“. Die Konsequenz: „Der Exxpress trennt sich hiermit von Anna Dobler.“ Gezeichnet: Eva Schütz, Herausgeberin, und Richard Schmitt, Chefredakteur.

Mit rechtem Gedankengut hatte Schmitt in seinen früheren Funktionen keine Probleme. Als Blattmacher der Kronen Zeitung pflegte Schmitt ein ungesundes Naheverhältnis zum damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Dessen inzwischen berühmten Worte aus dem Ibiza-Video, bei der Krone müsse man bestimmte Leute „pushen“ und andere „zack, zack, zack abservieren“, waren auf ihn gemünzt und brachten ihm den Rauswurf ein. Beim Exxpress findet er für seine Art von skandalisierendem Journalismus ein breites Betätigungsfeld.

Die gefeuerte Dobler verwahrt sich auf Twitter ausdrücklich gegen den Vorwurf des Geschichtsrevisionismus: „Ich habe den Tweet gelöscht, weil es umstritten ist, ob die Nazis ‚durch und durch‘ Sozialisten waren, aber es gibt ausreichend Belege für sozialistische Tendenzen innerhalb des Nationalsozialismus. Lernt ihr erst mal Geschichte.“ Sie lehne den Sozialismus ab und meine „damit nicht die Sozialdemokratie“. Außerdem habe sie mehrere Morddrohungen bekommen und verweist darauf, dass sie den Unterschied zwischen „Sozialismus und Sozialdemokratie“ nie bezweifelt habe.

Verständnis von Fleischhauer

Anna Dobler beruft sich für ihr Diktum auf die Säulenheiligen der Liberalen, nämlich die österreichischen Nationalökonomen August von Hayek und Ludwig von Mises: „Beide haben in ihren Werken sehr gut die sozialistischen Elemente im Nationalsozialismus herausgearbeitet. Beide sind vor den Nazis geflohen.“

Verständnis findet die Kolumnistin beim einschlägig bekannten Kollegen Jan Fleischhauer: „Eine junge Frau verliert wegen eines Tweets ihren Job. Die wiehernde Begeisterung in Teilen der Szene zeigt, dass es vielen nicht um die Sache geht, sondern allein darum, jemand zu erledigen, den man als Feind betrachtet“, schreibt er bei Twitter. In den Dobler-Kritikern erkennt er einen virtuellen Lynchmob.

Ob der Rauswurf für den entlarvenden Tweet eine angemessene Sanktion war, ist indes auch außerhalb des rechtslastigen Boulevards umstritten. Karin Stanger, Bezirksrätin der Grünen in Wien, erinnert an den Mediziner Marcus Franz, der auf eine bunte Vergangenheit in mehreren rechten Parteien verweisen kann und auch auf Twitter aktiv ist: „Marcus Franz vertritt schon seit Jahren dieselben Ansichten.“ Tatsächlich übt sich Franz als Geschichtsrevisionist: „Lernens Geschichte, Fräulein. Und Ideengeschichte dazu. Die größte linke Lüge ist, dass Hitler ein Rechter gewesen wäre.“ Franz darf weiterhin in seinen Kolumnen krause Ideen über Exxpress verbreiten.

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6 Kommentare

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  • Gestern hui und heute pfui?

    Es ist kaum zu glauben: Da wird eine Journalistin gefeuert, weil sie in schöner totalitarismustheoretischer Manier zwischen den Nazis und den Kommunisten ein Gleichheitszeichen setzt. Was gestern so feststand wie das Gravitationsgesetz ist heute plötzlich eine Häresie? Das man das noch erleben durfte!

    Nun sollte man sich in Zeiten von Political Correctness im öffentlichen Wording dann konsequenterweise endlich auch von dem verlogenen Selbstetikett der Hakenkreuzler als „Nationalsozialisten“ verabschieden, das schon in den 20er Jahren von den wirklichen Sozialisten als dreister Rattenfänger-Schwindel entlarvt wurde.

    In Bezug auf Hitlers Bruder im Geiste war da Winston Churchill viel offenherziger und nannte die Katze eine Katze: »Der von Mussolini verkörperte römische Genius, der größte heute lebende Gesetzgeber, hat vielen Nationen gezeigt, wie man dem drohenden Sozialismus entgegentreten kann; er hat den Weg gezeigt, dem eine mutig geführte Nation folgen kann. Mit seiner faschistischen Herrschaft hat Mussolini eine Orientierung gegeben, von der sich die Länder in ihrem gemeinsamen Kampf gegen den Sozialismus leiten lassen müssen«. (Rede vor der englischen Antisozialistischen Liga im Februar 1933, also wenige Tage vor der verfassungsgerechten Machtübergabe Hindenburgs an die Regierung Hitler/Papen in Berlin, die dasselbe Ziel hatte wie das von Churchill gepriesene Regime der Schwarzhemden am Tiber)

    • @Reinhardt Gutsche:

      Korr.



      "Statt (Rede vor der englischen Antisozialistischen Liga im Februar 1933, also wenige Tage vor der verfassungsgerechten Machtübergabe Hindenburgs an die Regierung Hitler/Papen in Berlin, die dasselbe Ziel hatte wie das von Churchill gepriesene Regime der Schwarzhemden am Tiber)"

      lies:



      (Rede vor der englischen Antisozialistischen Liga im Februar 1933, also wenige Tage nach der verfassungsgerechten Machtübergabe Hindenburgs an die Regierung Hitler/Papen in Berlin, die dasselbe Ziel hatte wie das von Churchill gepriesene Regime der Schwarzhemden am Tiber)

      Sorry

  • Muss man sich über solche absurden Gleichsetzungen wundern, wenn die antifaschistische deutsche demokratische Republik immer wieder von rechten Medien und Politikern als "Unrechtsstaat" diffamiert wird?

  • Mal ganz grundsätzlich: die Frage nach der Wirtschaftsform, der sich die Nationalsozialisten verpflichtet fühlten, wäre mir jetzt sicherlich nicht als erste Äußerung in den Sinn gekommen, wenn es um die Wannsee-Konferenz geht.



    Von daher frage ich mich: was will uns die Dame eigentlich sagen???

  • Manchmal geht die Hufeisentheorie halt nach hinten los...

  • "Die größte linke Lüge ist, dass Hitler ein Rechter gewesen wäre.“

    Ohne Worte...