Geschichte der Zimmerpflanze: Heim ins Pflanzenreich
Mit dem Kolonialismus kamen „exotische“ Zimmerpflanzen nach Europa. Heute sind Orchideen und Avocados nicht mehr aus Deutschland wegzudenken.
Ende des 18. Jahrhunderts wurden „exotische“ Pflanzen in Europa Mode. Zunächst konnten sich nur Reiche, vor allem die Kolonien besitzenden Engländer, diesen Spaß leisten. Sie hatten jedoch – wenigstens in den Städten – wenig Glück mit ihren Zimmer- und Gartenpflanzen, denn alles war voller „schädlicher Staub- und Rußablagerungen“. Die sündhaft teuren Pflanzen siechten dahin.
1829 sann der Arzt und Pflanzenliebhaber Nathaniel Ward auf Abhilfe: Er baute ein gläsernes „Zimmergewächshaus“: den „Wardian Case“, wie die Kulturwissenschaftlerin Mareike Vennen in ihrem Buch „Aquarium“ schreibt; sie geht davon aus, dass das abgedichtete Pflanzenglas Vorläufer des gläsernen Fischbeckens ist.
Damals wurden die Pflanzen per Schiff nach Europa gebracht, was wochenlang dauerte und was die meisten Pflanzen nicht überlebten. „Matrosen sind keine Gärtner“, so beschreibt der Zürcher Landschaftsarchitekt Hansjörg Gadient das Problem. Erst als man auch an Bord kleine Glashäuser errichtete und z. T. Gärtner mit auf Transport schickte, sanken langsam die Preise.
Eine der ersten Pflanzen, die Deutschland aus seinen Kolonien „heim ins Reich“ brachte, war das Usambaraveilchen. Angeblich brachte der Afrikareisende Graf von Pückler das erste nach Berlin. Das Usambaraveilchen ist nicht mit den Veilchen verwandt, es heißt nur so, weil seine Blüten veilchenfarbig sind. Man zählt es zu den Lippenblüterartigen, von denen etliche Zierpflanzen wurden.
Unsichtbare Krieger gegen Deutschland
Das Usambaraveilchen lässt sich leicht züchten, wild gibt es sie noch immer in den Usambarabergen des heutigen Tansania, das einst Deutsch-Ostafrika hieß, wo die Deutschen 1902 in den Usambarabergen das biologische Institut Amani gründeten, das bald auch Anlaufstelle für deutsche Missionare war. Von dort gelangte die Blume immer wieder mal als Souvenir der Wissenschaftler nach Deutschland.
Der Mediziner Robert Koch erforschte dort Mittel gegen das „Tropenfieber“, das von der Malariamücke übertragen wird. Um sie zu bekämpfen, ließ Koch Bäume und Büsche an den Flussufern fällen und wollte sogar die einheimische Bevölkerung in Lagern konzentrieren.
Diese erfanden dagegen das „Maji-Maji“, ein magisches Wasser, das die antikolonialen Kämpfer im „Maji-Maji-Aufstand“ benutzten. Dem Erfinder dieser „Medizin“, die gegen die Kugeln der Weißen schützen sollte, indem sie den Krieger unsichtbar machte, hat Tansania heute ein Denkmal gesetzt. Man nennt ihn den „Propheten Kinjiketile“, er verfügte damals über viele „Boten“, die die „Kriegsmedizin“ über alle Stämme verteilten – und so im Kampf gegen die Deutschen erstmalig vereinigten.
Die Niederschlagung ihres antikolonialen Aufstands oblag dem „Reichskommissar für das Kilimandscharogebiet“, Dr. Carl Peters, einem Massenmörder, den man in Deutschland nicht umsonst „Hängepeters“ nannte. Auch er beehrte wiederholt das Amani-Institut.
„Maji-Maji-Allee“ in Berlin-Wedding
Im Berliner „Afrikanischen Viertel“ benannte man eine Allee nach ihm. Als sich 1983 der tansanische TU-Student Mnyaka Sururu Mboro über den „Kolonialpolitiker“ Carl Peters kundig machte und gegen die Straßenbenennung protestierte, änderte man gnädig den Hinweis unter dem Straßenschild: Die Petersallee war fortan dem Weddinger „CDU-Politiker Hans Peters“ gewidmet. Nun soll sie bald „Maji-Maji-Allee“ heißen.
Über die Orchideen kann man eine ganz andere Geschichte erzählen. Sie gehörten anfangs zu den teuersten Zimmerpflanzen. Und noch heute gibt es tropische Orchideen, wild lebend, für die reiche Liebhaber mehr zahlen, „als ein Luxusauto kostet“, wie es im Ratgeber „Orchideen“ des Züchters Jörn Pinske heißt. Weil ihre winzigen Samen von keinem Nährgewebe umhüllt sind, brauchen sie einen Pilz, der ihnen die notwendigen Nährstoffe zuführt. Es gelang, diese künstlich herzustellen. Inzwischen gibt es schon ganze „Orchideen-Industrien“, die Super- und Baumärkte beliefern.
Die Orchideenhersteller nehmen einen bestimmten Teil eines Orchideenstengels und machen daraus Tausende von Zellen, aus denen dann Pflanzen gezogen werden. Neue Sorten züchtet man, indem die Pollen einer Art auf den Stempel einer anderen übertragen werden. Bis heute gibt es etwa 30000 solcher Hybridarten. „Sie werden immer billiger, aber man hat keine rechte Freude an ihnen“, sagen die Züchter. Des ungeachtet gehört die Orchidee zu den Zimmerpflanzen mit dem weltweit höchsten Umsatz.
Es ist eine Täuschblume, d. h. sie braucht, wild wachsend, Insekten zur Bestäubung, die sie jedoch nicht mit Nektar anlockt, sondern indem sie sich in Form, Farbe und Geruch mit ihnen verwandt macht. Einige südamerikanische Orchideen, die mit „Prachtbienen“ kooperieren, bieten den Männchen sogar einen Duft an, der nicht ihnen direkt gilt. Sie nehmen ihn laut dem Biologen Karl Weiß „in ansehnlichen Flakons an den Hinterbeinen“ auf und fliegen damit zu ihren „Balzplätzen“, wo sie „Präsentationsflüge“ unternehmen. „Dabei soll der Pflanzenduft die Weibchen anlocken.“
Sexuell aktive Orchideen
Umgekehrt hat die hiesige Orchidee „Ophrys insectifera“ (Fliegen-Ragwurz) nicht nur die Form und Farben einer potenziellen Partnerin für Grabwespen-Männchen angenommen, sondern auch noch den weiblichen Sexuallockstoff. Bei seinen Kopulationsversuchen bekommt das Männchen zwei Pollenpakete auf die Stirn geklebt. Teilweise geht die Täuschung so weit, dass Bienenmännchen der Gattung Andrena die entsprechenden Ophrys-Blüten sogar einem Weibchen vorziehen.
Die Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guattari haben aus diesen Bündnissen die Forderung abgeleitet: „Werdet wie die Orchidee und die Wespe!“ Weil es immer wieder vorkommt, dass Orchideenliebhaber wild wachsende Orchideen – nicht die üppigen in den Tropen, sondern die hiesigen unscheinbaren – ausgraben, hat das Biosphärenreservat Rhön zu ihrem Schutz (es gibt dort 40 Arten) einen Orchideenwart angestellt.
Hier soll noch vom Lorbeergewächs Avocado die Rede sein, weil seine Geschichte eine paläontologische ist. Es ist ein mittelamerikanischer Baum, der birnenförmige Beerenfrüchte trägt, die einen ungewöhnlich großen Kern haben. Es gibt inzwischen 400 Kultursorten in fast allen warmen Ländern und große Anbaugebiete, die bereits ein Wasserproblem verursachen, da wir so gerne Avocado-Früchte essen.
„Um diese Früchte zu bekommen, würde man männliche und weibliche Avocadobäume benötigen, deren Blüten sich jeweils gegengleich öffnen. Aber auch das einzelne immergrüne Bäumchen aus dem Avocadokern ist ein hübscher Anblick als Zimmerpflanze,“ heißt es auf utopia.de. „Nimm den Avocadokern und bohre drei Zahnstocher auf halber Höhe seitlich in den Kern. Hänge ihn danach mit der spitzen Seite nach oben so in ein Glasgefäß mit Wasser, dass das untere Ende des Avocadokerns ins Wasser ragt.“
Vom Mastodon zum Jaguar
Früchte haben einen ähnlichen Zweck wie der Nektar bei den Blüten: „Sie dienen als Verlockung und zugleich als Belohnung für all jene Tiere, die sich von ihnen ernähren und die Samen auf diese Weise von der Mutterpflanze forttragen“, heißt es in dem Buch des italienischen Biologen Stefano Mancuso, „Die unglaubliche Reise der Pflanze“, das demnächst erscheint.
Über den Avocabaum (Persea americana) heißt es darin, dass zu Urzeiten in Amerika riesige Säugetiere lebten, die vor etwa 13.000 Jahren alle von Menschen ausgerottet wurden, darunter auch das Mastodon. Dieses elefantenähnliche Tier war in der Lage, die Avocadofrucht zu fressen, wobei der Kern den Verdauungstrakt unbeschädigt passierte.
Als die Mastodonten ausgestorben waren, sah es auch für die Avocados schlecht aus, aber dann kam laut Mancuso der Jaguar, dem das fette Fruchtfleisch ebenfalls zusagte, das er mit seinen Zähnen vom Samen löste, ohne diesen zu beschädigen.
Avocados Diaboli
„Der Jaguar konnte natürlich nur eine Übergangslösung darstellen. Als Transportpartner war er nicht ideal, aber gut genug, um zu überleben. Dennoch schrumpfte das Verbreitungsgebiet der Avocado unaufhaltsam und es schien bereits, als solle sie am Ende doch noch das Schicksal der Mastodonten teilen, als unversehens der Mensch auf der Bildfläche erschien und die Pflanze für sich entdeckte.“
Nun verbreitete sich der Baum wieder, aber „sich mit dem Menschen einzulassen bedeutet, einen Pakt mit dem Teufel zu schließen, den man früher oder später mit seiner Seele bezahlt.“ Und die Seele der Frucht, das ist der Samen, ihr Kern, den man ihr nun wegzüchtet, er stört beim Zubereiten.
„Beraubt man eine Pflanze jedoch der Möglichkeit, ihre eigenen Samen zu produzieren, degradiert man sie vom Lebewesen zum bloßen Produktionsmittel in den Händen einer Lebensmittelindustrie.“ Und zur Aufzucht einer neuen Zimmerpflanze kann man ihre Frucht auch nicht mehr verwenden.
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