Geruchsbelästigung zählt nicht für alle: Stunk ums Rote Dorf
Wegen des Gestanks einer Entkoffeinierungsanlage darf eine Brache in Bremen kein Wohngebiet werden. Ein Wohnheim für Geflüchtete wird aber geprüft.
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Das Ergebnis war gravierend genug, um ein neues Wohngebiet auszuschließen. Für Geflüchtete stinkt es aber offenbar nicht so schlimm: Laut einer Vorlage der Baudeputation wird geprüft, ob das Gelände für ein Übergangswohnheim geeignet ist.
Das sogenannte „Rote Dorf“, Containerbauten in verschiedenen Rottönen, stand bis vor einem Jahr an der Nordstraße nahe des Hafenbeckens. Die Nachnutzung als Studierendenwohnheim in Woltmershausen ist gescheitert. Nun rückt die Fläche am östlichen Ende der Diedrich-Wilkens-Straße als Standort in den Blick.
Drumherum gibt es Wohngebiete, Luftlinie zweieinhalb Kilometer südlich liegt die Kaffeerösterei von Jacobs und, wichtiger: Nebenan entkoffeiniert die Coffein Compagnie Kaffee. Das erfordert nicht nur den Einsatz krebserzeugender Lösungsmittel, sondern setzt auch einen Geruch frei, der „eher Brechreiz erzeugt, als dass er an Kaffee erinnert“, sagt Jens Dennhardt, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Hemelingen.
Bei einem Wohn- oder Mischgebiet sollen laut Geruchs-Imissions-Richtlinie (GIRL) zu höchstens 10 Prozent der Zeit Gerüche wahrnehmbar sein, selbst bei einem Gewerbegebiet sind nur 15 Prozent angesetzt. In der Diedrich-Wilkens-Straße liegt dieser Wert je nach Messpunkt zwischen 23 bis 25 Prozent. Fürs Geflüchtetenwohnheim sollen nun andere Regeln gelten. „Das erinnert ein bisschen an den Maskenskandal von Spahn“, findet Dennhardt.
Entschieden ist noch gar nichts
Die Behörden wiegeln ab. Vom Bauressort heißt es, entschieden sei nichts, es gebe nur „eine vertiefte Prüfung“. Und bei der Sozialsenatorin, die die Fläche für das Rote Dorf bräuchte, wusste man erst nichts vom Geruchsproblem. „Wenn wir Flächen angeboten kriegen, kennt man ja nicht alle Umstände“, so ihr Sprecher Bernd Schneider. „Wenn jetzt bei der Prüfung rauskommt, das lässt sich nicht nutzen, wird auch nicht gebaut.“
Aber für eine temporäre Nutzung gelten andere Regeln als für dauerhafte Baugenehmigungen. Und die Suche nach einem Platz für ein Übergangswohnheim sei dringend, sagt Schneider. Viele Nutzungsfristen sind ausgelaufen. „Man schlackert mit den Ohren, wie schwer die Suche ist.“ Übergangswohnheime stünden eher dort, wo noch niemand zuvor auf die Idee gekommen sei, ein Haus zu bauen.
Bedenken gebe es gegen alle diese Orte. Anwohner*innen sorgten sich, dass die Unterkünfte für die Geflüchteten zu hoch, zu dunkel oder zu laut, manchmal auch nur, dass die Wege in den Bürgerpark zu weit seien. „Ich glaube nicht, dass das Wohl der Flüchtlinge dabei immer im Vordergrund steht“, sagt Schneider.
Auch in Hemelingen spielen andere Beweggründe mit hinein. So hebt die Pressemitteilung der lokalen SPD hervor, wie schwer es für den Stadtteil würde, wenn das Rote Dorf tatsächlich käme: „Die Menschen kommen mit ihren Kindern“, steht dort. Die Kitas und Schulen des Stadtteils seien aber „jetzt schon an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit“.
Der Beirät hätte gern ein Wohngebiet
Die simple Formel „Bürger*innen gegen Geflüchtete“ beschreibt den Konflikt aber nicht zureichend. Denn die Bedenken spielen über Bande auch gegen die örtliche Industrie. Jahrelang hatte der Beirat in Hemelingen darauf hingearbeitet, dass auf dem Gelände ein Wohngebiet entstehen könnte. Vergeblich. Mittlerweile gibt es andere Pläne: Ein Park ist im Gespräch, den die Coffein Compagnie mitfinanzieren würde – mit einer „hohen sechsstelligen Summe“, wie der Weser Kurier gehört hat.
Der Bebauungsplan am Diedrich-Wilkens-Weg müsste dafür geändert werden. Der Senat will sich dazu aber noch nicht entscheiden; erst muss geprüft werden, ob eine derart hohe Schenkung überhaupt angenommen werden darf. Zumal ein neuer Park womöglich nicht rein altruistisch motiviert wäre.
Die Coffein Compagnie hat Angst vor Klagen
Schon jetzt leben Menschen in unmittelbarer Umgebung der Fabrik. Dass niemand neu dazukommen darf, habe, so glaubt Dennhardt, wohl eher mit Angst zu tun – Angst der Compagnie, von neuen Anwohner*innen verklagt zu werden, und Angst der Stadt, die befürchte, dass die Coffein Compagnie genau deshalb eine neue Wohnbebauung gerichtlich anficht.
„Vor der Klage der Flüchtlinge hat die Coffein Compagnie offensichtlich weniger Angst“, sagt Dennhardt, „und die Stadt zum anderen denkt, dass sie bei einer Klage des Unternehmens die Container ja wieder beseitigen kann.“ Einen Lichtblick gibt es, abseits aller Klagen, zumindest: Vor kurzem hat die Coffein Compagnie im Beirat angekündigt, dass sie ab 2022 technisch aufrüsten will: Mit Biofiltern und einem Ionisierungsverfahren soll der Geruch aus den Anlagen dann etwas besser werden.
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