Gerichtsurteil zum Atomausstieg: Vattenfall darf Geld fordern

Das Bundesverfassungsgericht verlangt eine faire Entschädigung für den Atom­konzern – auch weil der Bundestag zuvor gepatzt hat.

Atomkraftwerk in der Nacht beleuchtet

Hier ist noch Geld für Vattenfall drinnen: Atomkraftwerk Krümmel Foto: Thomas Koehler/photothek/imago

KARLSRUHE taz | Das Bundesverfassungsgericht hat sich bei geforderten Entschädigungszahlungen nach dem Atomausstieg hinter den Stromkonzern Vattenfall gestellt. Der Bundestag müsse entsprechende Regelungen nachbessern, urteilten die Richter am Donnerstag in Karlsruhe. Das bestehende Gesetz sei für Vattenfall „unzumutbar“ und wegen handwerklicher Mängel nicht einmal in Kraft getreten.

Nach dem Reaktorunfall im japanischen Fukushima 2011 machte die damalige schwarz-gelbe Koalition eine Kehrtwende in ihrer Atompolitik. Die eben noch beschlossene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke wurde zurückgenommen und stattdessen feste Stilllegungsdaten für die Meiler bestimmt.

Dagegen hatten mehrere Atomkonzerne geklagt und argumentiert, dass die deutschen Kernkraftwerke auch nach Fukushima sicher seien. Das Bundesverfassungsgericht lehnte ihre Klagen 2016 im Wesentlichen ab. Der Atomausstieg sei eine zulässige politische Entscheidung über eine „Hoch­risikotechnologie“ mit „extremen Schadensfallrisiken“ und „bisher noch nicht geklärten Endlagerproblemen“.

Nur in Randbereichen hatten die Konzerne damals Erfolg. Unter anderem stellten die Richter fest, dass Vattenfalls Eigentumsrechte am Atomkraftwerk (AKW) Krümmel verletzt wurden, weil es wegen mehrerer Pannen 2011 sofort stillgelegt wurde und dessen Reststrommenge im Vattenfall-Konzern nicht mehr nutzbar war.

Die Richter zeigten damals dem Bundestag drei Möglichkeiten auf, die Grundrechtsverletzung von Vattenfall zu kompensieren: Erstens eine Laufzeitverlängerung für die AKW, zweitens Schadenersatzzahlung in Geld, und drittens könne der Gesetzgeber die Konzerne Eon und EnBW verpflichten, die nicht verwertbaren Reststrommengen von Vattenfall zu fairen Preisen aufzukaufen.

Das alte Gesetz ist offiziell gar nicht in Kraft getreten

Der Bundestag hat in einem Gesetz von 2018 die zweite und dritte Option verknüpft: Vattenfall bekommt Schadensersatz in Geld, wenn es nicht gelingt, bis Ende 2022 die Reststrommengen an Eon oder EnBW zu verkaufen. Summen nannte das entsprechende Gesetz nicht, vermutlich geht es jedoch um einen zwei- oder dreistelligen Millionenbetrag.

Gegen diese Regelung hat Vattenfall nun erfolgreich Verfassungsbeschwerde erhoben. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass die Ausgleichsregelung für Vattenfall so ungünstig ist, dass die Grundrechtsverletzung fortbestehe.

Zentraler Kritikpunkt der Richter: Vattenfall sei beim Verkauf der Reststrommengen letztlich in der Hand von Eon, weil nur Eon noch relevante Verwendungsmöglichkeiten für solche AKW-Strommengen hat. Es bestehe also die Gefahr, dass Vattenfall zu einem sehr ungünstigen Preis an Eon verkaufen muss, denn wenn sich Vattenfall nicht um einen Verkauf „bemühe“, verliere es laut Gesetz jeden Ausgleichsanspruch. Dies sei „unzumutbar“, so die Richter.

Außerdem, so das Verfassungsgericht, sei die Gesetzesänderung von 2018 überhaupt nicht in Kraft getreten. Laut Gesetz war als Voraussetzung eine verbindliche Erklärung der EU-Kommission vorgesehen, dass die Regelung nicht gegen EU-Beihilferecht verstößt. Tatsächlich lag aber nur eine unverbindliche Erklärung der EU-Kommission vor.

Der Bundestag muss die Entschädigung für Vattenfall nun „alsbald“ neu regeln. Eine Frist nannten die Richter nicht. Umweltminister Svenja Schulze (SPD) kündigte an, sie werde „zügig“ einen Gesetzentwurf auf den Weg bringen. (Az.: 1 BvR 1550/19)

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