Gerichtsurteil nach Verkehrsunfall: „Ein Unfall, über den man nachdenkt“
Eine Bewährungsstrafe bekommt eine Autofahrerin, die 2016 einen Mann in Hamburg-Lurup totgefahren hatte. Das Gericht geht davon aus, dass sie es nicht wieder tut.
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Die Debatte um Fahrradtote in Hamburg ist derzeit erhitzt. Zuletzt war die 33-jährige Saskia S. ums Leben gekommen, die von einem abbiegenden Lkw in Eimsbüttel überrollt wurde. Fahrradproteste sind eine Antwort. Am ergangenen Mittwoch beteiligten sich Hunderte Radfahrer im Gedenken an Saskia S. an der jährlichen Gedenkfahrt „Ride of Silence“. In diesem Jahr sind deutschlandweit bereits 15 Radfahrer durch Unfälle mit LKWs getötet worden.
Sabine S. setzte am Vormittag des 17. Dezember 2016 mit ihrem VW-Golf zum Abbiegen in die Franzosenkoppel an, als sie den von rechts kommenden Radfahrer übersah. Das Opfer wurde mitsamt seines Fahrrads elf Meter weit geschleudert. Der Golf geriet daraufhin außer Kontrolle, steuerte auf den gegenüberliegenden Gehweg und überrollte den Radfahrer dort. Als die Polizei und Rettungsdienst eintrafen, fanden sie das Opfer eingeklemmt unter dem Auto, in einer Blutlache.
„Das ist einer der wenigen Unfälle, wo man doch länger drüber nachdenkt“, sagt Wolfgang Koellner, Polizeibeamter und erster am Tatort, als Zeuge vor Gericht. Koellner und seine Kollegin kümmerten sich am Unfallort um die Beteiligten. Ein Rettungsbeamter habe dort schon gesagt, dass da „nichts mehr zu machen sei“, glaubt Koellner sich zu erinnern.
Schon damals am Unfallort, als Sabine S. im Nachbarhaus am Esstisch saß und zitterte, sei sie wegen des Schocks kaum ansprechbar gewesen, sagt die Polizistin.
Von einem rechts abbiegenden LKW wurde eine Radfahrerin am 7. Mai an der Ecke Osterstraße/Eppendorfer Weg überfahren und starb.
Die jährliche Gedenkfahrt „Ride of Silence“ am Mittwoch führte daraufhin zum Unfallort.
Jeder zehnte tote Radfahrer geht laut dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) auf das Konto rechtsabbiegender LKW. Der Club fordert daher verkehrliche Verbesserungen wie vorgezogene Haltelinien.
An der Unfallstelle hat der Bezirk Eimsbüttel inzwischen solche Haltelinien angebracht.
Seine Forderung nach Abbiegeassistenten für LKW hat Verkehrssenator Frank Horch (parteilos) im NDR bekräftigt. Einige Länder wollten das nur für neue LKW. „Uns geht das nicht weit genug“, sagte Horch, der zurzeit Vorsitzender der Verkehrsministerkonferenz ist. „Wir fordern, auch Altfahrzeuge nachzurüsten.“
Auch im Gericht hält sie sich die 56-jährige Angeklagte wegen der psychischen Belastung zurück. Sie befinde sich seit dem Unfall in fachärztlicher Behandlung und könne sich nicht äußern, sagt ihr Verteidiger, Volker Flach. Einzig Angaben zur Person macht sie selbst. Auf die Frage, wann sie ihren Führerschein gemacht habe, antwortet sie sichtlich verwirrt mit „Ich bin der Meinung 2080.“ Die Gerichtszeichnerin benutzt zartrosa Kreide für das Gesicht der Angeklagten, doch so viel Farbe hat ihre Haut nicht.
Die Witwe des Opfers, Valentina Borynec, hatte als Nebenklägerin zu Beginn des Prozesses am 21. August 2017 einen Sachverständigen hinzugezogen. Dieser konnte rekonstruieren, dass Sabine S. mit einer Geschwindigkeit von mindestens 42 Stundenkilometern gefahren sein muss. Der Unfallort liegt in einer 30er-Zone.
Sabine S. wohnt dort, sie kennt die Straßen. Und sie fuhr ungebremst an eine Kreuzung. „Selbst wenn die Angeklagte 30 gefahren wäre, wäre es ein fahrlässiges Verhalten, so an eine Kreuzung zu fahren“, sagt die Staatsanwältin. Außerdem habe Sabine S. die Vorfahrt des Radfahrers missachtet. Dieser fuhr zwar auf der falschen Seite der Straße, trotzdem jedoch auf einem Fahrradweg, und der habe immer Vorfahrt.
Für das Gericht steht fest: Das Unglück in der Ückerstraße hätte vermieden werden können. Einen Führerscheinentzug ordnete Amtsrichter Wolfgang Rußer trotzdem nicht an. Sabine S. hat keine Punkte in Flensburg, ist nicht vorbestraft. Der Richter ist sich sicher, dass so etwas gewiss nicht wieder vorkommen wird.
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