Gerichtsprozess gegen die Mafia: Per du mit dem Feind

Seit Jahren nimmt der italienische Staatsanwalt Nicola Gratteri es mit der italienischen Mafia auf – nun als Chefankläger im´Ndrangheta-Prozess.

Nicola Gratteri

Ging schon mit den Sprösslingen von Mafiafamilien zur Schule: Nicola Gratteri Foto: imago

ROM taz | Als Chefankläger tritt der Staatsanwalt Nicola Gratteri an diesem Mittwoch bei der Eröffnung des Mega-Mafia-Prozesses auf, der im kalabrischen Lamezia Terme 355 Mitglieder der ’Ndrangheta samt Helfershelfern aus Politik und Wirtschaft auf der Anklagebank sieht.

Gratteri hat es da mit Feinden zu tun, die er bestens kennt. Der 62-Jährige wuchs in dem Dorf Gerace unweit von Locri – einer der Mafia-Hochburgen Kalabriens – auf, er selbst berichtet, dass er als Kind mit den Sprösslingen von Mafiafamilien zur Schule ging und dann in der Freizeit mit ihnen Verstecken spielte oder kickte.

Er berichtet auch, dass er bei seinen Fahrten per Anhalter zum Gymnasium in Locri immer mal wieder Leichen am Straßenrand sah, Opfer der Mafiakiller, und dass er damals den Beschluss fasste, später seinen Beitrag dazu zu leisten, der kriminellen Gewalt ein Ende zu setzen.

Gerechtigkeitssinn habe er zu Hause gelernt, erzählt er, als Sohn eines kleinen Lkw-Unternehmers, der später einen Lebensmittelladen aufmachte und der jedes Jahr zwei Schweine schlachtete: eines für die Familie, eines für die Armen des Dorfs.

Netzwerke quer über den Erdball

Direkt nach seinem Jurastudium wird er Staatsanwalt. Schon bald haben ihn die Mafiosi, gegen die er ermittelt, im Visier: Seit 1989 steht Gratteri bis heute ununterbrochen unter Polizeischutz, heute würde man sagen, im Lockdown. „Seit Jahren war ich kein einziges Mal im Kino, kein einziges Mal im Fußballstadion, kein einziges Mal zum Spaziergang auf dem Boulevard“, so der Staatsanwalt.

Zunächst in der Staatsanwaltschaft von Reggio Calabria schiebt Gratteri immer wieder große Verfahren gegen die Clans an, beschäftigt er sich aber auch bald mit den Netzwerken, die sie nach Norditalien und quer über den Erdball geknüpft haben, die sie zur heute mächtigsten Mafia Italiens gemacht haben, die den Drogenhandel weitgehend in ihrer Hand hat und die ihre Milliardengewinne in Mailand, Turin oder Rom genauso wie in Duisburg oder Erfurt investiert.

Hunderte Mafiosi befinden sich aufgrund seiner Ermittlungen in Haft, und auch die Politik wurde auf Gratteri aufmerksam. Der Anti-Mafia-Ausschuss des Parlaments beruft ihn im Jahr 2014 als Berater, im gleichen Jahr will Matteo Renzi ihn gar zum Justizminister ernennen, scheitert aber am Veto des Staatspräsidenten Giorgio Napolitano, der keinen Staatsanwalt auf diesem Posten will.

Doch in der Justiz macht Gratteri weiter Karriere, steigt 2016 zum Leitenden Staatsanwalt im kalabrischen Catanzaro auf. Dort schiebt er unter anderem die Ermittlungen gegen den mächtigen Mancuso-Clan aus Vibo Valentia an, der eine große Rolle im internationalen Kokainhandel spielt. Im Dezember 2019 kommt es zu hunderten Verhaftungen, neben den Mafiosi traf es Rechtsanwälte, die sich um deren Geldwäsche gekümmert haben sollen, Kommunalbedienstete, aber auch einen Ex-Abgeordneten aus Silvio Berlusconis Forza Italia. Sie alle stehen im jetzt beginnenden Maxi-Prozess vor Gericht, Auge in Auge mit ihrem Ankläger Nicola Gratteri, der auch heute noch in seinem Heimatdorf Gerace lebt.

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