Gerichte stärken Fluggastrechte: Chaos beim Abflug
Reiseveranstalter dürfen die Abflugzeiten nicht einfach ändern, diese Meinung vertreten gleich mehrere Gerichte. Noch ignorieren Reiseanbieter diese Urteile.
Bei vielen Pauschalreisen ändern sich die Abflugzeiten, weil geplante Flüge verschoben, gestrichen oder zusammengelegt werden. Für die Kunden ist das lästig, muss aber nicht immer zum Drama werden. Wenn der nette Berater im Reisebüro das Problem erklärt, der Veranstalter vielleicht ein besseres Hotelzimmer oder einen kostenlosen Ausflug als Ausgleich bietet, werden viele Kunden das Ärgernis abhaken.
Wer jedoch auf weniger Kulanz stößt und sich beschwert, hat bisher geringe Aussichten, seine Rechte durchzusetzen. Veranstalter verweisen auf das Kleingedruckte – und dort steht mehr oder weniger deutlich, dass sich gebuchte und bestätigte Abflugzeiten noch ändern können.
Für die Verbraucherzentralen ist das kein fairer Umgang mit Kunden. Der Bundesverband vzbv hat deshalb die drei Branchenriesen TUI, Alltours und Schauinsland-Reisen wegen unzulässiger Änderung der Vertragsbedingungen verklagt. In allen drei Musterfällen hatten die Klagen in erster Instanz teilweise den erhofften Erfolg. Die Gerichte entschieden, dass ein Veranstalter die Abflugzeiten nicht willkürlich ändern darf.
Wenn die Urteile rechtskräftig werden, wäre es für Reisende leichter, bei Flugzeitenänderungen vom Vertrag zurückzutreten. Alternativ könnten man Schadenersatz oder eine Minderung des Reisepreises verlangen. Denn Reiseveranstalter müssen, so der vzbv, ihren Kunden bei Vertragsabschluss oder gleich danach eine Bestätigung aushändigen und darin die voraussichtlichen Flugzeiten angeben.
Diese Angaben wiederum seien nicht unverbindlich, sondern fester Vertragsbestandteil – und dürfen demnach nur aus triftigem Grund geändert werden. Die meisten Reiseveranstalter tun aber weiter so, als sei es ihr gutes Recht, die Flugzeiten auch nach der Buchung noch beliebig zu ändern. Das ist zumindest die Erfahrung der Verbraucherzentralen.
Die Zahlen: Wegen Flugverspätungen oder Flugausfällen haben jedes Jahr allein in Deutschland rund 1,3 Millionen Passagiere Ansprüche auf Entschädigung nach der EU-Fluggastverordnung 261/2004. Danach steht verspäteten Kunden eine Wiedergutmachung durch die verantwortliche Airline von bis zu 600 Euro zu.
Rechtshilfe: Das Verbraucherportal Flightright (www.flightright.de) mit Sitz in Hennigsdorf hat daraus sein eigenes Geschäftsmodell entwickelt und hilft Verbrauchern gegen ein Erfolgshonorar, ihre Ansprüche durchzusetzen. Anbieter wie das Inkassounternehmen EU Claim (www.euclaim.de) und Fairplane (www.fairplane.de) bieten ähnliche Hilfe gegen Bezahlung an.
So teilte Marktführer TUI den Kunden in der beklagten Buchungsbestätigung mit, dass die Flugzeiten erst mit Versand der Reiseunterlagen endgültig festgelegt werden. Das sei „gängige Praxis“ in der Branche, betont die TUI. Alltours bezeichnete die Angabe der Flugzeit als unverbindlich. Und Schauinsland schrieb: „Die aktuellen Flugzeiten entnehmen Sie Ihren Flugtickets.“
Die Urteile in den Musterprozessen sprechen für sich. Die Landgerichte in Düsseldorf (Az. 12 O 223/11 für Schauinsland, Az. 12 O 224/11 für Alltours, beide am 4. Juli 2012) sowie in Hannover (Az. 18 O 79/11 vom 13. 3. 2012 für TUI) erklärten die genannten Klauseln für unzulässig, weil sie die Kunden benachteiligten und irreführend seien. Seither herrscht in der Branche Aufregung. TUI hat Berufung gegen das Urteil angekündigt.
Fehlende Einsichten
Bei der Jahrestagung des Deutschen Reiseverbands (DRV) in Montenegro waren die Urteile ein Thema. Verbandspräsident Jürgen Büchy verteidigte Flugplanänderungen. Zum einen gebe es ohnehin in mehr als 80 Prozent der Buchungen keine Änderung. Zum anderen könnten Änderungen von Flugplänen ganz unterschiedliche Gründe haben, von Streiks über politische und wirtschaftliche Gründe bis zu ungünstigen Wetterlagen.
Überdies brauche man Flexibilität in der Abwicklung, damit die Flugpreise bezahlbar blieben. Und das starre Festhalten an Abflugzeiten wäre „auch ökologischer Unfug“, fügte der oberste Branchenlobbyist hinzu.
Einige Argumente der Branche sind nachvollziehbar. Wenn statt zwei halb leeren Fliegern nur eine volle Maschine in die Luft geht, nützt das zweifellos dem Klima und der Umwelt. Allerdings verschaffen gerade solche Zusammenlegungen von Flügen, die nicht selten sind, auch den Reiseunternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil. Und das oft zum Nachteil jener Passagiere, die umgebucht werden.
Fairer Ausgleich notwendig
In der Debatte über geänderte Flugzeiten sollte es also im Kern um einen fairen wirtschaftlichen Ausgleich zwischen Reiseanbietern und Kunden gehen. Davon allerdings ist man gerade in der Luftfahrtbranche noch weit entfernt.
Der DRV droht nun damit, dass die Veranstalter in ihren Reiseunterlagen künftig gar keine Abflugzeiten mehr lange im Voraus angeben werden, falls die Urteile bestätigt werden. „Das wäre dann wenig hilfreich für die Kunden“, warnt Verbandssprecher Torsten Schäfer.
Denn im Schauinsland-Prozess entschied das Gericht auch, dass der Veranstalter keine Abflugzeiten nennen muss, wenn diese noch gar nicht feststehen. Das kommt vor, denn die Kataloge für die nächste Saison werden bis zu einem Jahr im Voraus produziert.
Abflugzeit unbekannt
Der vzbv hatte auch die Formulierung „Genaue Flugzeiten noch nicht bekannt“ in den Buchungsunterlagen erfolglos angefochten. Das Landgericht hielt es für zulässig, dass der Veranstalter dennoch die Reise schon bestätigte und vom Kunden Geld kassierte. Das sieht die Branche als Erfolg.
Der vzbv hat einen langen Atem und allein gegen Airlines seit 2006 mehr als 100 Klageverfahren auf den Weg gebracht, um bessere Fluggastrechte durchzusetzen. Möglicherweise sorgen auch verschärfte EU-Regeln für mehr Klarheit.
Brüssel hat schon einheitliche Entschädigungen für Passagiere bei Verspätungen und Flugausfällen gegen die Airlines durchgesetzt und ist dabei, auch für Pauschalreisen strengere Richtlinien zu erlassen. Die einflussreiche Tourismusbranche hält mit aller Lobbymacht gegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag