Gericht stoppt Jagd in Niedersachsen: Wolf darf vorerst weiterleben
Das Verwaltungsgericht Oldenburg hat die Wolfsjagd in Ostfriesland gestoppt. Umweltminister Olaf Lies (SPD) kündigt Beschwerde gegen das Urteil an.
Erst im März hatte dasselbe Gericht Anträgen von zwei Naturschutzverbänden stattgegeben und in einem Eilverfahren geurteilt, dass Wölfe aus den in freier Wildbahn lebenden Rudeln bei Garlstedt im Kreis Osterholz-Scharmbeck und Schiffdorf im Kreis Cuxhaven zunächst nicht abgeschossen werden dürfen.
Der dem Umweltministerium unterstellte Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) hatte Mitte September eine Ausnahmegenehmigung zur „lethalen Entnahme“ des Wolfes mit der Kennung GW2888m aus dem Rudel Friedeburg erteilt. Der Rüde soll seit dem Sommer in sechs Herden insgesamt sieben Rinder gerissen haben. Weil eine Identifizierung dieses Wolfes in der Landschaft schwierig oder gar unmöglich sei, gestattete der NLWKN in einer Nebenbestimmung zugleich auch den Abschuss anderer Wölfe aus dem Rudel.
In seinem Widerspruch gegen die Abschussgenehmigung hatte der in Wolfsburg ansässige Freundeskreis freilebender Wölfe unter anderem kritisiert, dass die gerissenen Rinder nicht ausreichend geschützt gewesen seien und sich dabei auf das Bundesamt für Naturschutz berufen: Demnach seien Ausnahmegenehmigungen für Abschüsse selbst dann nicht gerechtfertigt, wenn Wölfe einen kleinen Zaun überwinden.
Höherer Zaun sei für Rinderhalter unpraktikabel
Dabei könnten Rinder dem Freundeskreis zufolge durchaus durch einen 1,20 Meter hohen Zaun effektiv geschützt werden. Die betroffenen Landwirte und auch Jäger aus der betroffenen Region hätten dies jedoch als nicht praktikabel zurückgewiesen.
„Das Gericht hat das Leben des Wolfes vorerst verlängert und auf geltendes Recht hingewiesen“, sagte der Freundeskreis-Vorsitzende Ralf Hentschel der taz nach dem Gerichtsurteil. „Diese Wolfsjagd untersagt.“
Umweltminister Lies hingegen missfällt das Urteil, er kündigte umgehend Beschwerde beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht Lüneburg an. „Wir begründen die Ausnahmegenehmigungen bereits mit größtmöglicher Sorgfalt“, sagte er. „Das Oldenburger Gericht verlangt hier allerdings einen noch wesentlich restriktiveren Weg, der künftige Abschüsse faktisch unmöglich machen könnte.“
Dass das Land die Abschussgenehmigungen sorgfältig begründet, wird vom Freundeskreis stark in Zweifel gezogen. Alle in den vergangenen Jahren erteilten Ausnahmegenehmigungen zur Tötung von Wölfen aus angeblich „besonders auffälligen Rudeln“ seien „weder wahrheitsgemäß noch fach- und sachgerecht begründet“ worden, sagt Wolfsschützer Hentschel.
Im Übrigen gelte: „Problemwölfe sind Hirngespinste, in der Realität existieren lediglich Problemzäune.“ Herdenschutz sei zumutbar und umsetzbar. Gerade in Niedersachsen würden Wölfe aufgrund fahrlässig nicht angewandter Schutzmaßnahmen „auf große Huftiere geradezu konditioniert“.
Uneinigkeit zur Entwicklung der Wolfspopulation
In seiner Stellungnahme zum Urteil hatte Lies auch auf die aktuelle Entwicklung der Wolfspopulation in Niedersachsen verwiesen, wo mittlerweile mindestens 44 Rudel mit etwa 400 Tieren lebten; die Population wachse rasant. Der Wolf sei nicht nur in Niedersachsen in seinem Bestand nicht mehr bedroht: „Auch das müssen wir im Blick behalten, denn die Konflikte werden in den heute schon stark betroffenen Regionen eher noch zunehmen“, orakelte der Minister.
Der „Freundeskreis“ kontert auch diese Aussage: Tatsächlich stagniere die Wolfspopulation in Niedersachsen. In 44 vermuteten Territorien seien lediglich 28 Rudel beheimatet. Mit dem Wolfsmonitoring, also dem Erfassen und Zählen der Wölfe, ist in Niedersachsen die Landesjägerschaft beauftragt. Deren Präsident Helmut Dammann-Tamke, gleichzeitig Landtagsabgeordneter der CDU, fordert seit langem eine Regulierung des Wolfsbestands durch Abschüsse.
Es ist absehbar, dass die bei der Landtagswahl in die Opposition verbannte CDU, das mit ihr verbandelte Landvolk und einzelne Tierhalterverbände ihre Kampagne für eine „Obergrenze“ für Wölfe und „wolfsfreie Zonen“ in Niedersachsen künftig noch verschärfen werden.
Schon am 10. November wollen Schäfer das nächste Zeichen gegen die „Ignoranz der Politik“ setzen. Die Aktion steht unter dem Motto „Lichter gegen das Vergessen“. Die Teilnehmer würden am Vorabend des St.-Martins-Tages mit Kerzen in den Fenstern, Feuerschalen und Lichterketten um Weiden und Höfe für ihr Anliegen demonstrieren, kündigt das Landvolk an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül