Gericht erlaubt Zwangsvollstreckung: Tierleid bleibt Geschäftsgeheimnis
Schweinebetäubungsbilder müssen weg: Oldenburgs Oberlandesgericht bewertet Schweine-Unternehmenspersönlichkeitsrecht höher als Meinungsfreiheit.
M anchmal verbreiten negative Gerichtsentscheidungen auf den zweiten Blick Hoffnung. So könnte der jetzt öffentlich gewordene Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg von Anfang November, der ihnen keinen Aufschub bei der Zwangsvollstreckung einräumt, wirken, als solle er den zwei Tierrechtsaktivist*innen des Vereins Animal Rights Watch (Ariwa) die Luft abdrehen. Und doch …
Aber der Reihe nach: Anna Schubert und Hendrik Haßel waren verbotenerweise heimlich in den Schlachthof des Unternehmens Brand Qualitätsfleisch in Lohne eingedrungen, um dort Kameras anzubringen. Die Videoaufnahmen von der quälerischen CO₂-Betäubung vor der Tötung der Schweine hatten sie dann Ariwa zur Veröffentlichung überlassen. Zu Unrecht, urteilte das Landgericht Oldenburg Mitte Juli.
Es hatte sie also dazu verdonnert, den Film von der Homepage des Vereins entfernen zu lassen. Bei Zuwiderhandlung: Zwangsgeld in astronomischer Höhe. Zwar ist die Berufung noch anhängig. Trotzdem hatte das Schweinetötungsunternehmen die Vollstreckung betreiben wollen. Und den Antrag der Aktivist*innen, sie auszusetzen, hat nun, eine Etage höher, der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts zurückgewiesen.
Nicht alles ist verboten
Wie gesagt, hört sich an, als hätte sich nichts geändert. Aber in so einen Beschluss fließen immer auch juristische Winke, Bewertungen und Präzisierungen des vorherigen Urteils ein. So hat das Oberlandesgericht nun die Auslegung des Schlachtfabrikbesitzers, nach der „jedwedes Verbreiten und/oder Verbreitenlassen der Videoaufnahmen untersagt“ sei, für falsch erklärt. Das Urteil beziehe sich nur auf das konkrete Video und dessen Publikation.
Auf andere Veröffentlichungen der Bilder gehe es nicht ein. „Konkret bedeutet das, ich muss lediglich darauf hinwirken, dass Ariwa das Video entfernt“, so Schubert zur taz. „Aus der Presse muss ich das Material jedoch nicht zurückholen, und ich darf es auch weiterhin auf unserem Schlachthofprozess-Instagramkanal verwenden.“
Der Wert der Bilder ist hoch: Die CO₂-Betäubung ist in der EU die häufigste Methode, Schweine vor der Tötung ruhigzustellen. Allein in Deutschland werden über 40 Millionen Schweine im Jahr ins Gas geschickt. Obschon aus Tierschutzgründen eingeführt, verursacht es deutliches Tierleid: Das ist wissenschaftlich seit den 1970er-Jahren klar belegt. Laut Bundeslandwirtschaftsministerium reagieren die Schweine mit Aversion, Atemnot und Fluchtreaktion auf den Anstieg der Kohlendioxidkonzentration. Die Fachliteratur erwähnt durchgängig auch „das Thema Vokalisation“.
Heißt auf Deutsch: Die Tiere quieken panisch um Hilfe. Das wissend hatte der Rat diese Ergebnisse 2009 beim Erlass der EU-Schlachtverordnung beiseitegelassen, „aus wirtschaftlichen Gründen“, aber eben doch festgestellt, es sei „wichtig, diese Diskussion in Zukunft fortzusetzen“. Ein Fall also für die Meinungsbildung.
Nur fehlt der halt das Anschauungsmaterial, zumal von den üblichen Paternosteranlagen, also einem Fahrstuhlsystem, bei dem Schweine in Stahlkoben in eine finstere CO₂-Senke hinabgelassen und dann betäubt wieder zum Ausbluten hochgefahren werden. Der NDR hat nach eigenen Angaben bei sechs Schlachthöfen vergeblich versucht, eine Drehgenehmigung in einer solchen Anlage zu bekommen.
Noch nicht einmal dem im Frühjahr beendeten, vom Bund initiierten Forschungsprojekt „Tiger“ zu tierschutzgerechter Gasbetäubung, das alle Probleme der CO₂-Betäubung reproduziert hat, war es möglich gewesen, ein solches Todesriesenrad zu beobachten. Bilder davon gab es bislang nur von Ariwa, dank der Aufnahmen von Schubert und Haßel. „Die Industrie versucht recht klar, eine Aufklärung über diese Problematik zu verhindern“, so Haßel.
Immerhin, das ist für den weiteren Verlauf wichtig: Oldenburgs OLG stellt in seinem jetzigen Beschluss fest, dass es sich beim Bilderverbot um einen „Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung“ handelt, der Schubert und Haßel daran hindert, durch ihr Videomaterial auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken.
Raus aus dem Schweineland
Klar, es hält das Interesse des Schlachterfamilienbetriebs hoch, seine „innerbetriebliche Sphäre vor der Öffentlichkeit geheim zu halten“. Und auch bewertet der 13. Zivilsenat den Schutz des Schweineunternehmerpersönlichkeitsrechts höher als das Grundrecht auf Meinungsfreiheit.
Viel Hoffnung auf die Berufung macht diese gar nicht so orthodoxe Gewichtung also nicht. Doch wie sollte das im von der Oldenburger Lokalzeitung NWZ nicht ohne Stolz als „Schweineland Nummer 1“ gerühmten Niedersachsen auch anders sein. Karlsruhe aber liegt in Baden-Württemberg.
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