Geplantes Zwischenlager in Würgassen: Atommüll als Touristenschreck
Im Weserbergland floriert der Tourismus. Damit wäre voraussichtlich Schluss, wenn das geplante Zwischenlager für radioaktive Abfälle realisiert wird.

Wilhelm ist Vorsitzender der Bürgerinitiative Atomfreies Dreiländereck. Mit dem Beispiel aus Berlin will er verdeutlichen, was seiner Heimatregion Weserbergland blühen könnte, wenn auf dem Gelände des ehemaligen AKW Würgassen an der Weser ein gigantisches Zwischenlager für radioaktive Abfälle errichtet wird.
Tatsächlich plant die bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) dort, im Dreiländereck von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen, den Bau einer noch größeren Halle als von Wilhelm skizziert. 325 Meter lang, 125 Meter breit und 16 Meter hoch soll sie werden. Ab 2027 soll sie allen in Deutschland angefallenen schwach und mittel radioaktiven Müll aufnehmen, der später für eine Endlagerung im Schacht Konrad in Salzgitter vorgesehen ist – insgesamt rund 300.000 Kubikmeter.
In seinen geschätzt 30 Betriebsjahren wird das offiziell sogenannte Logistikzentrum Konrad in Würgassen den Planungen zufolge quasi rund um die Uhr von Lastwagen und Zügen angefahren, die den strahlenden Schrott anliefern und, teils neu verpackt, wieder abholen und nach Salzgitter weiter transportieren. Die Kosten für das Zwischenlager werden auf 450 Millionen Euro geschätzt.
Dass der florierende Outdoor-Tourismus auf und an dem Fluss durch das Logistikzentrum nachhaltig leiden wird, befürchtet auch Petra Wegener, Geschäftsführerin des Vereins „Weserbergland Tourismus“ in Hameln. Der Tourismus sei ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor in der Region, sagt sie, und könne eine äußerst erfolgreiche Bilanz vorweisen: drei Millionen Übernachtungen jährlich, einen „Bruttoprimärumsatz“ von einer Milliarde Euro und 22.000 Vollzeitarbeitsplätze.
Das „touristische Rückgrat“ der Region, der Weser-Radweg, sei in den vergangenen Jahren mit hohen Investitionen zum Premiumprodukt in Deutschland ausgebaut worden, erläutert die Touristikerin. Die mit vier Sternen bewertete ADFC-Qualitätsroute führt vom südniedersächsischen Hann. Münden über rund 500 Kilometer nach Bremerhaven und wurde das dritte Jahr in Folge als beliebtester Fernradweg in Deutschland ausgezeichnet.
Die rund 350.000 Radler:innen, die den Weg jährlich befahren, wären künftig mit dem Anblick und der möglichen Strahlung des direkt an der Strecke liegenden Zwischenlagers konfrontiert. Sollten dadurch auch nur einige Übernachtungen und Tagesgäste ausbleiben, bedeutet dies Wegener zufolge einen hohen Schaden für die gesamte Region: „Die Wirtschaftskette, die durch den Tourismus in Gang gesetzt wird, ist dann unterbrochen, das kann vehemente Auswirkungen erzeugen“, sagt sie.
Anti-Atom-Aktivist Wilhelm merkt an, dass alleine schon die vierjährige Bauzeit des Atommülllagers mit zehntausenden von LKW-Transporten etwa zur Aufschüttung des Geländes zum Hochwasserschutz „negative Auswirkungen auf eine der wesentlichen Lebensadern in der Region“ haben werde. Ob die Gütesiegel des ADFC dann noch ins Weserbergland vergeben würden, bleibe abzuwarten.
Der Protest vieler Bürger:innen, Kommunen und Lokalpolitiker:innen gegen das geplante Atommüllzwischenlager ist überall im Dreiländereck präsent. Bei Festen und Kunsthandwerkermärkten beiderseits des Flusses ist die Bürgerinitiative Atomfreies Dreiländereck mit Ständen und symbolischen Atommüll-Containern aus Sperrholz und Pappmaché präsent. „Solche Behälter gehören dann ab 2027 für 30 Jahre ins alltägliche Stadt- und Dorfbild“, warnt Dirk Wilhelm.
Noch hat der Bund keinen Bauantrag für das Logistikzentrum gestellt. Die Atomkraftgegner:innen schöpfen neue Hoffnung, dass das so bleibt. Denn aus einem aktuellen Gutachten, das die Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen beauftragt haben, geht hervor, dass das Zwischenlager für den späteren Betrieb von Schacht Konrad gar nicht unbedingt nötig ist.
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