Geplantes Adresshandel-Verbot: Schaar wirft Regierung Zögern vor
Die Politik verschleppt eine bessere Abschirmung der Privatssphäre, sagt Chefdatenschützer Peter Schaar. Beim Adress-Handel kuscht sie vor den Unternehmen.
Deutschlands oberster Datenschützer warnt davor, dass ein Verbot des Adresshandels noch scheitern könnte. "So entschlossen die Bundesregierung anfänglich war, so zögerlich geht es im Bundestag voran", sagte Peter Schaar am Dienstag in Berlin. Schuld daran sei vor allem der Druck aus der Wirtschaft. "Ein solch massives Auftreten der Lobbyisten erlebt man selten."
Der Bundesdatenschutzbeauftragte stellte seinen Tätigkeitsbericht für die vergangenen beiden Jahre vor und zählte dabei die jüngsten Datenschutzskandale in der Wirtschaft von Telekom bis Deutsche Bahn auf. Es sei höchste Zeit zu handeln, sagte Schaar, doch im Bundestag begriffen das einige Abgeordnete offenbar nicht ganz.
Mit dem neuen Datenschutzgesetz wollte die Regierung den Handel mit persönlichen Daten grundsätzlich verbieten. Ausnahme: Ein Bürger, der etwa ein Zeitungsabonnement abschließt, stimmt der Weitergabe der Daten ausdrücklich zu. Bisher muss man widersprechen.
Seit das Innenministerium Wolfgang Schäubles (CDU) den Gesetzesentwurf veröffentlichte, laufen Unternehmen Sturm dagegen. Ihr Argument: Ohne Adressdaten sei keine Werbung möglich, und ohne die drohe die Pleite. Das Klagen zeigt erste Erfolge. Für Wohltätigkeitsorganisationen und Zeitungsverlage gibt es bereits Ausnahmen.
Und ausgerechnet in Schäubles eigener Unionsfraktion wollen immer mehr Parlamentarier das Gesetz am liebsten ganz kippen (taz vom 26.03.2009). Schaar fürchtet nun ebenso wie die Opposition, dass das Gesetz bis zur Bundestagswahl 2009 verschleppt und dann einfach vergessen wird.
Ebenso mühselig gestaltet es sich bisher, der großen Koalition einen besseren Datenschutz für Arbeitnehmer abzuringen. Zwar sind sich SPD und Union nach den massenhaften Bespitzelungen in verschiedenen Discountern einig, dass etwas passieren muss. Konkretes folgte daraus bisher nicht. Schaar wünscht sich mindestens eine gesetzliche Regelung: Unternehmen sollen für das Arbeitsverhältnis erhobene Daten nicht für andere Zwecke verwenden dürfen.
Der Bundesdatenschützer mahnte, bei all den Datenskandalen in der Wirtschaft nicht das staatliche Fehlverhalten auf diesem Gebiet zu vergessen. Dabei ginge es nicht nur um die bekanten datenschutzrechtlichen Vorbehalte gegen die Vorratsdatenspeicherung oder die erweiterten Befugnisse des Bundeskriminalamtes.
Erhebliche datenschutzrechtliche Risiken sieht Schaar in der Steueridentifikationsnummer, die ab 2011 die Lohnsteuerkarte ersetzen soll und im elektronischen Einkommensnachweis - kurz Elena. Mit der Steuer-ID entsteht erstmals ein bundesweites Adressverzeichnis, in dem unter anderem auch die Religionszugehörigkeit erfasst wird. Werden diese Angaben mit anderen Datenbeständen verknüpft, ließen sich umfassende Personenprofile erstellen. Bürgerrechtler glauben, dass dieser Pool bald das Interesse der Sicherheitsbehörden wecken wird.
Das Elena-Gesetz sieht vor, dass Arbeitgeber ab 2010 die Entgeltdaten ihrer Beschäftigten an eine Zentrale Speicherstelle senden. Damit entfallen die bisherigen Entgeldbescheinigungen auf Papier. Die Zentralstelle speichert die Daten unter einem Pseudonym. Ab 2012 sollen Arbeitslosen-, Wohn- und Elterngeld per elektronischer Signatur auf der EC- oder einer Chipkarte abrufen können. Den Schlüssel für die Kodierung der Einkommensdaten von etwa 30 Millionen Deutschen soll Schaars Behörde verwalten. "Dafür brauchen wir aber mehr Personal", sagte der Datenschützer. "Wir können nicht immer komplexere Aufgaben mit gerade einmal 70 Mitarbeitern erledigen."
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