piwik no script img

Geplanter Rutilabbau in NorwegenFørdefjord soll Müllkippe werden

Die Nordic Mining will 250 Millionen Tonnen giftigen Grubenabfall aus der Rutilgewinnung ins Meer kippen. Die Genehmigungen hat sie. War es das?

Die Proteste dauern schon seit acht Jahren an – hier eine Aktion im August 2015 Foto: Ilja C. Hendel/laif

Stockholm taz | Wer die Müllkippe im Fjord noch verhindern will, muss jetzt ran: So rufen norwegische UmweltschützerInnen dieser Tage zu möglicherweise entscheidenden Protestaktionen auf. Am Uferberg des Førdefjord nördlich der Stadt Bergen soll großräumig Rutil abgebaut werden, ein Titanmineral, das als Farbpigment und auch in bestimmten Solarzellen verwendet wird.

Das Projekt wird seit 18 Jahren verfolgt, 2014 wurde es konkret – und genauso lange gibt es Proteste. 11 Tonnen Abraum pro Minute wird der Rutilabbau produzieren – und das für die kommenden 40 bis 50 Jahre. Insgesamt rund 250 Millionen Tonnen. Er wird unter anderem Schwefelsäure, Schwermetalle und Titan-Nanopartikel enthalten. Geplant ist, ihn in den relativ flachen und noch geschützten Førdefjord zu kippen. Das könnte nicht nur das Leben in diesem Fjord ersticken, die Giftstoffe könnten sich auch im Nordatlantik weiter ausbreiten und in der menschlichen Nahrungskette landen.

Das staatliche Meeresforschungsinstitut hat deshalb ausdrücklich vom Projekt abgeraten. Interessenvertretungen der Fischer und der Fisch verarbeitenden Industrie sind dagegen. Anne-Line Thingnes Førsund vom Naturschutzverband Naturvernforbundet warnt von einem „sehr gefährlichem Experiment“. Und der britische Meeresbiologe Callum Roberts glaubt sich „um 100 Jahre zurückversetzt“, als man das Meer noch als unermessliche Müllkippe behandelt habe. Er spricht von „Umweltverschmutzung im großen Stil“.

Die Mehrheit der NorwegerInnen sieht das auch so. Laut einer Umfrage aus dem Dezember lehnen 80 Prozent die Nutzung des Meers als Müllkippe ab, nur 9 Prozent sind für Fjorddeponien. Norwegen ist das einzige europäische Land, das noch Meeresdeponien für Grubenabfälle erlaubt. Und es gibt weltweit überhaupt nur noch ein weiteres: Papua-Neuguinea.

Abgeordnete sehen kein Problem

Doch im Parlament in Oslo segnete eine Mehrheit aus Sozialdemokraten, Konservativen und Rechtspopulisten das Projekt ab. Alle erforderlichen Genehmigungen sind erteilt. Im Herbst meldete das Grubenunternehmen Nordic Mining den Abschluss von Verträgen mit mehreren Bauunternehmen. Erste Bauarbeiten sollen in diesen Tagen beginnen.

VertreterInnen mehrerer Umweltschutz- und Parteijugendorganisationen wollen aktiven Widerstand leisten, wenn die Baumaschinen anrücken. Sie haben am Fjord ein Lager aufgebaut, unterstützt von internationalen UmweltaktivistInnen. Auch die deutsche Umweltschützerin Carola Rackete meldete sich per Twitter „von Norwegens sauberstem und für seinen Lachsbestand geschützten Fjord“. Die Naturschutzorganisation Natur og Ungdom erklärt, man werde Zufahrtswege blockieren und sich an die Baumaschinen anketten. „Wir unterstützen zivilen Ungehorsam“, sagt Lars Haltbrekken von den Linkssozialisten.

Letzte Chancen

Noch gibt es eine kleine Chance, dass die Pläne auf legalem Wege gestoppt werden können. Die ProjektgegnerInnen setzen auf die Wasserdirektive der EU. Im Rahmen des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) ist Norwegen verpflichtet, diese Direktive einzuhalten. Mehrere norwegische Umweltorganisationen haben das EWR-Überwachungsorgan ESA angerufen. Ende Februar teilte die ESA mit, sie werde die Klage behandeln – zumal Titandioxid, dem Rutil in seiner chemischen Zusammensetzung entspricht, seit einem Monat innerhalb des EWR als Zusatzstoff in Lebensmitteln verboten ist. Grund: Gesundheitsrisiken können nicht ausgeschlossen werden.

Einen Bezug zu Deutschland gibt es auch. Nordic Mining hat einen Rutil-Abnahmevertrag mit dem US-deutschen Titandioxid-Produzenten Kronos-International, dessen Europasitz in Leverkusen ist. Der Name Kronos steht in Deutschland für eine Zeit, als auch hier das Meer noch als Müllkippe verwendet wurde. Die damalige Kronos-Titan GmbH leitete bis in die 1980er Jahre täglich eine Schiffsladung mit Dünnsäure – ein Abfallprodukt der Titandioxid-Produktion – in der Nähe von Helgoland in die Nordsee. Wegen der verheerenden Auswirkungen auf die Meeresbiologie wurde das 1989 verboten.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Warum ausgerechnet ins Meer? Spinnen die?

  • Wem der Begriff "Kronos Titan" noch etwas sagt, der/die erinnert sich, dass diese Dünnsäureverklappung auch in den 80er Jahren in der Nordsee gängige Praxis war.



    Man fing irgendwann Fische mit kleinen Geschwüren und später Geschwüre mit kleinen Fischen.

    Ist wohl wieder soweit, dass solche Sauerreien zu Gunsten des Wirtschaftswachstums erlaubt werden müssen.

  • Kaum zu glauben, dass so was heutzutage von in einer modernen, gebildeten und auch noch REICHEN Nation möglich ist.

  • RS
    Ria Sauter

    Nur unter dem Hintergrund der Direktzahlung in private Taschen, ist so eine politische Entscheidung zu verstehen, vermute ich mal.



    Unfassbar!