Geplanter Idlib-Gipfel: Erdoğan mit dem Rücken zur Wand
Merkel und Macron wollen nicht, dass Verzweifelte aus Syrien weiter über die Türkei nach Europa drängen. Doch dazu müsste Putin einlenken.
R ecep Tayyip Erdoğan hat gedroht, hat Soldaten und Panzer über die syrische Grenze nach Idlib geschickt und ein Ultimatum bis Ende Februar gestellt, doch der russische Präsident Wladimir Putin blieb davon unbeeindruckt. Der Forderung Erdoğans, die Soldaten Assads zurückzupfeifen und die Regimetruppen an einem weiteren Vormarsch in der letzten Rebellenprovinz Syriens zu hindern, ist Putin nicht nachgekommen.
Der türkische Präsident, der Putin in den letzten Monaten auch schon mal als Freund bezeichnet hatte, steht jetzt mit dem Rücken zur Wand. Die Assad-Truppen treiben immer mehr Menschen in die Flucht. Zu Hunderttausenden drängen sie mittlerweile an die türkische Grenze, und bei einer Fortsetzung der Kämpfe wird sie wohl niemand mehr lange daran hindern können, in letzter Verzweiflung die türkischen Grenzbefestigungen einfach nieder zu reißen. Das aber würde Erdoğan innenpolitisch in die allergrößten Schwierigkeiten bringen. Seine Syrienpolitik war in der türkischen Bevölkerung nie besonders populär – man hätte sich aus diesem Krieg heraus halten sollen, sagen die meisten TürkInnen, wenn man sie fragt. Auf gar keinen Fall will man nun noch mehr als die ohnehin schon fast 4 Millionen syrischen Flüchtlinge im Land akzeptieren.
Deshalb muss Erdoğan nun unbedingt dafür sorgen, dass es eine Schutzzone für die Flüchtlinge auf der syrischen Seite der Grenze gibt. Doch dafür müssen Putin und letztendlich auch dessen Verbündeter Assad dem Ansinnen zustimmen, wenigstens einen kleinen Teil von Idlib als Massenflüchtlingslager unangetastet zu lassen. Militärisch kann Erdoğan diese Zustimmung trotz allen Säbelrasselns nicht erzwingen. Er müsste sich in letzter Konsequenz mit dem russischen Militär anlegen, und das wäre politischer und militärischer Selbstmord. Deshalb braucht der türkische Präsident jetzt ganz dringend politische Unterstützung.
Da der US-amerikanische Präsident Donald Trump in Syrien gar nicht mehr mitmischen will, sollen jetzt die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Präsident einspringen. Abwegig ist die Idee nicht: Sowohl Angela Merkel als auch Emmanuel Macron haben ein starkes Eigeninteresse daran, dass über die Türkei nicht erneut viele Tausende verzweifelte syrische Flüchtlinge an der europäischen Außengrenze landen und Griechenland und den Balkan endgültig destabilisieren. Sie haben Putin bereits telefonisch dazu gedrängt, in Idlib einzulenken. Jetzt soll es ein Gipfeltreffen mit Putin und Erdoğan geben, also ein vergleichbares Format wie während der Ukrainekrise, nur mit der Türkei statt mit der Ukraine.
Es ist gut, dass Merkel und Macron grundsätzlich dazu bereit sind, sich zu engagieren. Doch wenn sie bei Putin Erfolg haben wollen, werden sie einen Preis dafür zahlen müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül