piwik no script img

Gentrification mit GesangAufwertung und Ausverkauf

Die Neuköllner Oper in Berlin präsentierte mit „Opera for Sale“ ein Immoblien-Infotainment. Es ist theatralisch und musikalisch effektiv.

Geld ist dauernd im Spiel in der „Opera for Sale“ Foto: Mathias Heyde

Zu Beginn begrüßen uns drei übertrieben freundliche Musicaltheater-Service-Mitarbeiter*innen der „Angel Dust Property GmbH Opera Neukölln“ in Startupsprech mit lauter Anglizismen. Ihre Uniformen – limettenfarbene Daunenwesten mit Khakishorts und weiße Sneaker – haben etwas Sektenmäßiges. Wir befinden uns im Berlin der nahen Zukunft, einer durchkapitalisierten Dystopie.

Mit unserem Ticket sind wir nun Anteilseigner des Unternehmens, werden wir informiert. Wir investieren in Kultur, hier im ehemaligen Studio der Neuköllner Oper. Sollte unser Nachbar niesen, befinden sich die Notausgänge vorne und hinten, warnen sie.

Der Witz mit Coronavirusbezug sorgt für nervöses Gelächter in diesen Zeiten. Am Donnerstagabend durfte die Uraufführung von Felix Krakaus (Regie) und Yuval Halperns (Musik und Musikalische Leitung) „Opera for Sale“ doch noch stattfinden. Eine erfreuliche Nachricht für das Premierenpublikum, denn es wird vermutlich der letzte Kulturbesuch für eine Weile sein. Weitere Vorstellungen sind zunächst bis zum 19. April abgesagt worden.

Kriselnder Wohnungsmarkt

In der Zwischenzeit arbeite die Neuköllner Oper an einer streambaren Version, die man hoffentlich in Bälde auf YouTube schauen könne, sagte Andreas Altenhof, Pressesprecher des Hauses. Zudem wolle die Neuköllner Oper das freie Ensemble während der vorstellungsfreien Zeit trotzdem weiter bezahlen. „Wir stehen zu den Künstler*innen, die sich auf uns verlassen“, so Altenhof.

Berliner Bär tanzt nicht mehr

Zu: In der Neuköllner Oper ruht der Spielbetrieb zunächst bis zum 31. März. So wären die nächsten Vorstellungen von „Opera for Sale“ Anfang April.

Bald zu: Wegen der Gefahr der Ansteckung mit dem Coronavirus müssen auch die Berliner Clubs voraussichtlich bald schließen. Die Lobbyorganisation Clubcommission Berlin schrieb am Freitagvormittag an ihre Mitglieder: „Wir rechnen damit, dass im Laufe des Tages eine entsprechende Verfügung, auch für kleinere Venues, angeordnet wird.“ Sprecher des Senats bestätigten das am Freitagvormittag zunächst nicht, widersprachen aber auch nicht. Sie verwiesen auf die Sondersitzung des Senats am Nachmittag. Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) sagte der Berliner Morgenpost, man werde die entsprechenden Lokale, abgestimmt mit den Gesundheitsämtern, über das Infek­tionsschutzgesetz schließen. Darüber bestehe Konsens unter den Amtsärzten. Ob auch Bars und Kneipen von der geplanten Schließung betroffen sind oder ob es nur um Orte geht, an denen getanzt wird, war am Freitagvormittag noch nicht klar. Ebenso wenig war bekannt, ab wann die Umsetzung erfolgen soll. (taz, dpa)

In „Opera for Sale“ liefern Krakau und Halpern 70 Minuten energetisches Musiktheater verwoben mit dokumentarischer Gentrifizierungskritik. Im Foyer sind Exemplare der Recherche „Wem gehört die Stadt?“ von Correctiv und dem Tagesspiegel ausgelegt, die als Grundlage für das „Immobilien-Infotainment“ diente, wie Krakau und Halpern ihr Stück bezeichnen.

So erfahren wir im Laufe des Abends die viel zitierten Statistiken über den Stand des kriselnden Berliner Wohnungsmarkts: 60 Prozent von Wohnungen gehören profitorientierten Unternehmen, 12 davon besitzen jeweils über 3.000 Wohnungen, mit Beständen von insgesamt über 250.000 Wohnungen. Ihre Schikanen kennt mittlerweile jede*r. Diese 12 Unternehmen sind auch ins Visier der Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen gerückt, die einen Volksentscheid zur Vergesellschaftung ihrer Wohnungsbestände gestartet hat.

Im Zentrum des kurzweiligen Abends stehen aber nicht die Fakten, sondern die Geschichte und vermeintliche Zukunft der Stadt und der Neuköllner Oper selbst.

Im Boxkampf fliegen Geldscheine

Eine Geschichte, die schwungvoll vom jungen Ensembletrio Kilian Ponert, Teresa Scherhag und Lou Strenger gespielt wird. In einem Boxkampf erleben wir zum Beispiel den vergeblichen Kampf der Stadtverwaltung der frühen nuller Jahre, hier als alter Bürokrat mit fragwürdigem Schnurrbart und nur einem Blatt Papier als Bewaffnung verkörpert, gegen den anonymen, Geldscheine schmeißenden Investor im Pelzmantel.

Opera for Sale ist ein gelungener kultureller Ausdruck der aktuellen Immobiliendebatten

Es ist ein Ringen zwischen Milieuschutz und Verwertungslogik mit dem vorhersehbar tragischen Ende. „Wir haben Berlin unter Kontrolle“, sagt der Stadtverwalter naiv. „Money money makes the world go round“, kontert der Investor. „Du hast keine Ahnung, wo das Geld herkommt und wo es hinfließt. Du weißt gar nichts.“ Der Investor liegt scheinbar niedergeboxt und ohnmächtig am Boden: Er verliert den Kampf, gewinnt aber doch den Krieg.

Was nach verkürzter Kapitalismuskritik mit polemischen Tendenzen klingen könnte, sorgt in der Tat für politische Unterhaltung mit Volkstheatercharakter. Es ist ein gelungener kultureller Ausdruck der aktuellen Immobiliendebatten. Neu sind die Argumente nicht, hier sind sie aber theatralisch und musikalisch so effektiv verarbeitet, dass sie – entschuldigen Sie bitte die Wortwahl – ansteckend wirken. Dies ist auch der eingängigen, jazzigen Partitur von Halpern zu verdanken.

Spott und Sarkasmus

Gleichzeitig bietet das Stück aber an Stellen eine nuanciertere Betrachtung der Situation: Auch Leute mit privater Altersvorsorge sind oft unbewusst mitschuldig am Ausverkauf der Stadt. Das Problem ist strukturell. Diese Kritik am kapitalistischen Wohnungsmarkt kann „Opera for Sale“ humorvoll und spöttisch verpacken. „Alles hier war marode vor der Aufwertung, als Leute sich die Stadt noch leisten konnten“, sagt eine Stimme im sarkastischen Ton.

Am Ende des Stückes hat das Kapital die Stadt doch besiegt. Es ist „in jede Ritze geflossen“, die Stadt ist menschenleer. Ein emotional aufwühlender Monolog fragt, ob das hätte sein müssen? „Es gab Hoffnung. Wir haben es versucht!“ Ein Gedankenexperiment: Wir sollten uns vorstellen, dass die Wohnungskampagnen Erfolg gehabt hätten, der soziale Wohnungsbau vorangetrieben wäre, Briefkastenfirmen abgeschraubt wären. Dass wir an eine andere Welt geglaubt hätten. Dazu sentimentale Akkorde vom Keyboarder Doron Segal.

Der utopische Moment wird allerdings abrupt beendet. Drei Ver­treter*innen der globalen Investmentfirma Blackrock aus New York City stürmen die Bühne wie Gangster. „This is an investment. I repeat: This is an investment“, brüllen sie in verzerrten Stimmen. Die Bühne wird mit Sperrband abgeriegelt. Hier soll der Duty-Free-Shop des neuen Blackrock International Airport Neuköllns entstehen. Alle müssen gehen. Ein düsteres Ende, das wir mit viel Mühe vielleicht noch abwenden können.

Wie die meisten Veranstaltungen des Berliner Kulturbetriebs wurde auch diese Veranstaltung wegen des Corona-Virus abgesagt. Vorerst betrifft das alle Vorstellungen bis zum 31. März. Der Spielplan sieht Vorstellungen bis zum 12. Mai vor.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Wenn alles gut geht steht der Duty Free Shop bereits am Ende der Quarantäne-Zeit. Blackrock handelt in der Regel eher schnell und effizient und weiß auch Krisen gut zu nutzen. Irendwelche nervigen Gegendemonstrationen ließen sich unter dem Hinweis auf Corona ja wohl schnell unterbinden.