piwik no script img

Gennadij Fish über Schach und Ukraine„Es gibt so viele Verbindungen“

Gennadij Fish, Schachgroßmeister, macht sich Sorgen um drei Mannschaftskollegen aus der Ukraine, die in Werder Bremens Schachteam spielen.

Sitzt in der Ukraine fest: Werder- Schachspieler Alexander Areshchenko Foto: Andreas Burblies/dpa
Marie Gogoll
Interview von Marie Gogoll

Herr Fish, beim Bundesligaauftakt von Werder Bremen sind die Stühle Ihrer ukrainischen Teamkollegen Alexander Aresh­chenko, Zahar Efimenko und Kirill Shevchenko leer geblieben. Wie ging es Ihnen an diesem Tag?

Gennadij Fish: An dem Tag wusste ich ja schon, dass sie nicht kommen werden. Der Tag, der mich bewegt hat, war der, an dem der Krieg begann. Ich konnte gar nicht glauben, was gerade passiert. Ich dachte, ich bin in einer verkehrten Welt. Beim ersten Bundesliga-Wochenende hatte ich schon akzeptiert, dass die Geschichte schon in vollem Gange ist und man damit weiterleben muss.

Ihre Teamkollegen durften das Land nicht verlassen, weil sie wehrpflichtig sind.

Stimmt, aber letzte Woche haben mir zwei von ihnen geschrieben, dass sie doch ausreisen dürfen.

Warum?

Kirill und Alexander haben als Leistungssportler eine Sondererlaubnis bekommen, um bei der Europaeinzelmeisterschaft in Slowenien zu spielen. Wir haben uns aber zuerst Sorgen gemacht, ob sie wirklich über die Grenze kommen, denn im Endeffekt ist ein Blatt Papier mit einer Unterschrift egal. Was zählt, ist, wie sich die Beamten an der Grenze verhalten.

Hat ihre Ausreise denn dann funktioniert?

Alexander ist jetzt in Slowenien. Ich kann aber leider keine Details über seine Reise sagen. Das möchte er nicht. Ob Kirill das Land schon verlassen konnte, weiß ich nicht.

Und was ist mit Zahar Efimenko – ist er in der Ukraine an der Waffe?

Nein. Ich glaube, es ist so, dass das Militärkommissariat ein Schreiben schickt, in dem es mitteilt, wo du kämpfen sollst. Und er hat so ein Schreiben noch nicht bekommen. Zahar lebt auch in einem Gebiet, wo aktuell kein großes Kriegsgeschehen ist.

Sie kommen auch aus der Ukraine. Warum sind Sie nicht wehrpflichtig?

Ich bin deutscher Staatsbürger und die Ukraine erlaubt keine doppelte Staatsangehörigkeit. Ich bin vor 25 Jahren nach Deutschland gezogen. Außerdem komme ich von der Krim und die ist für die Ukrainer schon längst abgeschrieben, seit sie vor acht Jahren von Russland besetzt worden ist.

Wie haben Sie diese Besetzung damals erlebt?

Bild: privat
Im Interview: 

Gennadij Fish

48, ist deutscher Großmeister im Schach. Er stammt aus dem ukrainischen Simferopol und spielt für Werder Bremen.

Der russische Einmarsch 2014 hat dazu geführt, dass Feindschaften zwischen den Menschen entstanden sind. Es ist wirklich schlimm. Auch der russische Angriffskrieg jetzt fühlt sich für mich an, als würde zum Beispiel Niedersachsen einen Krieg gegen Nordrhein-Westfalen führen. Es gibt so viele Verbindungen, auch Familien, die teilweise in Russland, teilweise in der Ukraine leben.

Hat Sie der Angriff Russlands Ende Februar überrascht?

Ja, ich konnte es nicht glauben. Ich arbeite als Schulassistent und war gerade bei der Arbeit. Meine Kollegen haben mir von den Angriffen erzählt. Zuerst habe ich gesagt: „Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.“ Es hat mich schockiert.

Was erzählt Ihr Kollege Zahar, der jetzt noch in der Ukraine ist, über seine Situation?

Er ist sehr besorgt. Ich schreibe ihm auch nicht jeden Tag, weil ich nicht genau weiß, was gerade los ist. Manchmal sehe ich, dass meine Nachricht mehrere Stunden nicht gelesen wird, das macht mich dann nervös. Manchmal sprechen wir über Schach oder schicken uns Videos dazu. Aber natürlich schickt er mir auch Videos und Fotos, wie es bei ihm aussieht. Neulich zum Beispiel von einem zerbombten Wohnhaus.

Was bedeutet es für Werder Bremen, dass die drei erst mal nicht mehr da sind?

Das ist nicht gut. Die drei sind Leistungsträger für unseren Verein. Sie gehören zu den besten fünf Spielern. Drei der besten fünf sind jetzt also weg, und die anderen zwei können auch nicht immer spielen.

Wie ist es dazu gekommen, dass Sie für Werder spielen?

Ich bin 1997 als Kontingentflüchtling nach Deutschland gekommen. Damals waren wir für ein Jahr an ein bestimmtes Bundesland gebunden. Und meines war Niedersachsen. In Bremen gab es eine Bundesligamannschaft. Also habe ich da angefangen. Zuerst habe ich für die Bremer Schachgesellschaft von 1877 gespielt, 2004 bin ich zu Werder Bremen gewechselt.

Und wie war das bei Ihren ukrainischen Kollegen?

Zahar war schon vor mir bei Werder, er wurde bei einem Turnier vom Verein entdeckt. Alexander wurde auf meine Empfehlung nach Bremen geholt, Kirill habe ich selbst geholt.

Sind sie dann für jedes Spiel nach Deutschland gekommen?

Ja. Normalerweise, ohne Corona, geht eine Saison etwa von Oktober bis Anfang Mai. In dieser Zeitspanne wird dann an sieben Wochenenden gespielt. Für die Turniere sind die Großmeister jeweils angereist

Ist die deutsche Schachliga eine begehrte Adresse unter Schachspielern?

Ja, es ist qualitativ eine der besten Ligen der Welt. Die Honorare sind auch nicht schlecht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!