Generaldebatte im Bundestag: Alle gegen alle oder gegen eine?
Die Demos gegen rechts und die Radikalisierung der AfD sprengen die Dramaturgie der Generaldebatte. Friedrich Merz versucht eine Gratwanderung.
Doch Merz steckte noch die berührende Gedenkstunde zum Holocaustgedenktag in den Knochen, zudem gehen gerade überall in Deutschland beinahe täglich Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Demonstrationen, die Merz ausdrücklich lobte. Die eingespielte Dramaturgie der Generaldebatte aus Rede und Gegenrede schien überholt.
Also wagte Merz den Spagat – ein Gutteil seiner Redezeit widmete er der AfD und bescheinigte den mehrheitlich männlichen Abgeordneten, die sich rechts von der Unionsfraktion in die Sessel fläzten: „Sie sind nicht die Alternative, sondern der Abstieg für Deutschland. Wirtschaftlich und moralisch.“
Zuvor teilte Merz hingegen wie gewohnt aus: gegen die Abgeordneten der Ampel, links von ihm, und den Bundeskanzler, schräg hinter ihm sitzend. Er machte die Ampel für die große Popularität der AfD in den Umfragen verantwortlich. „Die Wähler der AfD sind nicht alle rechtsradikal, aber alle frustriert.“
Um die Union wird es einsam
An der Politik der Bundesregierung ließ er kein gutes Haar. Man sei in allen wesentlichen Fragen, ob Außen- und Sicherheitspolitik, Wirtschafts- und Finanzpolitik, ob Arbeitsmarktpolitik oder Innen- und Rechtspolitik und nicht zuletzt der Asyl- und Einwanderungspolitik völlig anderer Meinung. Eine weitere Zusammenarbeit mit der Koalition aus SPD, Grünen und FDP schloss Merz aus. „Ersparen Sie sich und uns Ihre Aufrufe zur Zusammenarbeit.“ Auch für eine Reform der Schuldenbremse stehe seine Fraktion nicht zur Verfügung.
Um die Union könnte es demnach ziemlich einsam im Bundestag werden. Bundeskanzler Olaf Scholz, der nach Merz ans Rednerpult trat, wollte das so nicht stehenlassen. „Demokraten müssen zusammenstehen“, reichte er Merz die Hand. Zumal sich der Kanzler, der erneut für eine breitere internationale Unterstützung für die Ukraine warb, in diesem Punkt mit Merz ziemlich einig sein dürfte. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann redete Merz gut zu: „Machen Sie sich doch nicht so klein.“ Man habe doch gemeinsam viel erreicht, etwa beim Stiftungsgesetz.
Doch auch Scholz steht unter Druck. Für den Kanzler und die SPD geht es zunehmend ums Ganze, nämlich ob Scholz den Hebel umlegen kann, um sich und seine Partei aus dem Umfrageloch zu hieven und wieder Zutrauen zu schaffen. Die SPD will ihn wieder kämpfen sehen. Und so streifte sich Scholz über die gerade noch ausgestreckte Hand eben auch die Boxhandschuhe.
Im politischen Boxkampf habe Merz ein ganz schönes Glaskinn, zielte Scholz auf Merz: „Sie teilen jeden Tag gegen die Bundesregierung aus, aber wenn Sie mal kritisiert werden, sind Sie eine Mimose.“ Merz musste sich erst mal am Kopf kratzen.
Chancen für Zusammenarbeit sinken weiter
Überhaupt, so redete sich der Kanzler mit immer noch leicht belegter Stimme in Fahrt, behindere die Union Reformen und ziehe alle Wachstumsbremsen der Vergangenheit. „Ökonomischer Sachverstand: null. Keine ökonomische Perspektive für Deutschland“, attestierte er Merz und Co.
In der Tat erinnert das politische Programm, das Merz als Gegenentwurf zur Ampel skizzierte, stark an das letzte Jahrtausend: Die Union will Sozialausgaben beschränken, Lohnzusatzkosten deckeln, Unternehmen entlasten, Bürokratie abbauen und weg von der „einseitigen Orientierung auf erneuerbare Energien“. Das Bürgergeld bezeichnete Merz als „subventionierte Arbeitslosigkeit“, welches Leistungsbereitschaft verhindere. Dass Deutschland die höchste Beschäftigung seit Jahrzehnten hat? Geschenkt.
Es bleibt also ein Rätsel, wie unter diesen Vorzeichen eine Zusammenarbeit gelingen soll, zumal die Rahmenbedingungen schwierig sind und bleiben. Die Kriege in der Ukraine und nun auch in Gaza haben den Koalitionsvertrag teilweise ad absurdum geführt und seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fehlen der Ampel Milliarden, insbesondere für den klimaneutralen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft.
Die Verhandlungen für den Haushalt, der am Freitag mit über zweimonatiger Verspätung verabschiedet werden soll, waren nach Aussage der Haushälter von SPD, Grünen und FDP die kompliziertesten, die sie je erlebt hätten. Der Union, die nicht einen einzigen Änderungsantrag einbrachte, warfen sie gar Arbeitsverweigerung vor. Herausgekommen ist ein Haushalt, der knapp 477 Milliarden Euro umfasst und dennoch enorm auf Kante genäht ist.
Gleich der nächste Ampel-Streit?
Die FDP lobt sich zwar, dass die grundgesetzliche Schuldenbremse, die neue Kredite stark einschränkt, eingehalten werde. Aber der nächste Haushalt dürfte auch deshalb noch kniffliger werden. Die Ausgaben sollen laut Finanzplanung um 25 Milliarden Euro sinken. Das bedeutet neue Sparrunden und neue Verteilungskämpfe, auch innerhalb der Ampel.
Die Sprecherin der Grünen Jugend Svenja Appuhn bezeichnete es gegenüber der taz als „unverständlich“, dass die Schuldenbremse wieder eingehalten werde. „Gerade jetzt bräuchte es ein massives Investitionsprogramm für Daseinsvorsorge, gute Arbeit und sozialen Klimaschutz“, so Apphuhn. Denn die Teuerungen machten vielen Menschen zu schaffen, Beschäftigte erlebten Reallohnverluste. „Das schürt Verunsicherung und Abstiegsängste und schadet der Demokratie.“
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich wagte im Bundestag ein wenig Selbstkritik: „Durch unser Verhalten in der Fraktion haben wir manchmal Verdruss und Besorgnis gefördert.“ Debatten seien notwendig, „Eigennutz, Unhöflichkeit und Besserwisserei müssen dagegen aufhören.“
Allerdings brach Mützenich gleich mal selbst mit diesem Vorsatz, indem er eine Lieblingsforderung der SPD auch in der Generaldebatte ins Schaufenster stellte: Sollte tatsächlich der Kinderfreibetrag erhöht werden – wie es FDP-Finanzminister Christian Lindner will – dann müsse auch das Kindergeld steigen.
Was unter Gerechtigkeitsaspekten nachvollziehbar ist, würde den ohnehin überstrapazierten Etat der Bundesregierung sprengen. Und birgt neuen Sprengstoff für die Ampel. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai kündigte schon mal eine neue Debatte über die Zukunft des Sozialstaats an, der auch gerecht sein müsse gegenüber denjenigen, die ihn finanzierten.
Wie wichtig es aber wäre, dass sich die Demokrat:innen auch im Bundestag zusammenraufen, machte AfD-Fraktionschefin Alice Weidel deutlich. Da die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht zwar diese Woche wohl offiziell Gruppenstatus erhalten werden, in der Generaldebatte aber kaum zu Wort kamen und auch keine Fraktion mehr sind, ist die AfD jenseits der Union nun die einzige relevante Oppositionsfraktion.
Weidel sprach von einer „beispiellosen Verleumdungskampagne“ gegen ihre Partei, bezeichnete in ihrer Rede das Recherchenetzwerk Correctiv als mit Steuergeldern finanzierte „Hilfsstasi“ und deren Recherche über die Deportationspläne, die AfD-Politiker und Rechtsextreme schmiedeten, als „unglaubliche Lügen“. Um dann der Ampel vorzuwerfen, das Land mit illegalen Migranten zu „fluten“ und „den Deutschen ihre Heimat zu nehmen“. „Diese Regierung hasst Deutschland“, schrillte Weidel.
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