Gendergerechte Sprache: Adieu, Fräulein!
Vor fünfzig Jahren wurde die Anrede „Fräulein“ aus dem Sprachgebrauch verbannt. Ein Grundstein für gendergerechte Sprache?
Wer sich mit deutschsprachiger Literaturgeschichte befasst, kommt an der Anrede „Fräulein“ eigentlich nicht vorbei. Von Hoffmanns „Das Fräulein von Scuderi“ (1819) bis zu Schnitzlers „Fräulein Else“ (1924) taucht der Begriff immer wieder auf. Im aktiven Sprachgebrauch wird die Anrede, mit der man das Wort an unverheiratete Frauen richtete, hingegen kaum noch verwendet.
Lange Zeit jedoch erwarb eine Frau erst durch die Ehe das Recht, auch als „Frau“ angesprochen zu werden. Die Anrede einer Frau war somit abhängig von ihrer Beziehung zu einer männlichen Person. Ein Mann war allerdings immer ein Mann, Ehe hin oder her. An diesem Sonntag ist es auf den Tag genau 50 Jahre her, dass die Anrede „Fräulein“ aus der Behördensprache der Bundesrepublik verschwunden ist.
Die österreichische Schriftstellerin und Feministin Franziska von Kapff-Essenther hatte schon im Jahre 1871 die Anrede „Fräulein“ kritisch hinterfragt. Schließlich, so die Begründung in ihrer Schrift „Der Titel,Frau'“ (1871), würde auch niemand einen Mann mit „Herrlein“ ansprechen. Eine sprachliche Angleichung der Geschlechter-Anrede durch den Begriff „Herrlein“ hat sich bis heute nicht ergeben. Dafür verschwand die Anrede „Fräulein“ zunehmend aus dem deutschsprachigen Raum.
Per Erlass des Innenministers
Ein wichtiges Datum für diese Entwicklung stellt der 16. Januar 1972 dar. An diesem Tag wurde durch einen Erlass des Bundesministerium des Inneren, das damals von Hans-Dietrich Genscher (FDP) geleitet wurde, der Begriff aus der behördlichen Sprache der Bundesrepublik verbannt. Zwar mussten Behörden bereits seit 1955 eine unverheiratete Frau mit „Frau“ anreden, sofern diese das wünschte, aber es war dafür eben noch eine aktive Handlung notwendig.
Erst ab 1972 wurde der Begriff „Fräulein“ gänzlich aus der Sprache der Ämter gestrichen. Die Formulierung, die durch die Verkleinerungsfrom „-lein“ immer auch ein wenig so wirkte, als würde man sich gerade mit einem kleinen Mädchen unterhalten und nicht mit einer erwachsenen Person, wurde damals als nicht mehr zeitgemäß empfunden.
Und jetzt der Genderstern
Die Begründung lässt sich auch heute noch in dem Erlass nachlesen: „Es ist an der Zeit, im behördlichen Sprachgebrauch der Gleichstellung von Mann und Frau und dem zeitgemäßen Selbstverständnis der Frau von ihrer Stellung in der Gesellschaft Rechnung zu tragen. Somit ist es nicht länger angebracht, bei der Anrede weiblicher Erwachsener im behördlichen Sprachgebrauch anders zu verfahren, als es bei männlichen Erwachsenen seit jeher üblich ist. […] Im behördlichen Sprachgebrauch ist daher für jede weibliche Erwachsene die Anrede ‚Frau‘ zu verwenden.“
Wenn von Gleichstellung im Sprachgebrauch und dem zeitgemäßen Selbstverständnis der Frau die Rede ist, drängen sich Überschneidungen mit aktuellen Debatten geradezu auf. In gewisser Weise war dieser Erlass von 1972 ein Schritt hin zu dem, was wir heute gendergerechte Sprache nennen. Von diesem Tag an war es für die Anrede in Behörden gleichgültig, ob eine Frau verheiratet war oder nicht.
Dabei hat man doch derzeit in manchen Diskussionen den Eindruck, als wäre Sprache in Ämtern noch niemals seit Gründung der Bundesrepublik verändert worden. All jene, die beispielsweise in Gender-Diskussionen mit dem Argument „das hat es noch nie gegeben“ jegliche Veränderung der Sprachform als ungeheuerliche Erscheinung bezeichnen, werden zugeben müssen, dass nicht erst mit dem Gendersternchen unsere Ausdrucksweisen einem Wandel unterliegen. Man denke in diesem Falle also einfach an das Wort „Fräulein“, das eines Tages aus den Behörden verschwand.
Anfang Dezember stellte der Kollege Deniz Anan in der taz die Frage, inwieweit die Ampelkoaltion eine Neuauflage der sozial-liberalen Koalition (SPD/FDP) aus dem Jahre 1969 werden wird. Dies wird sich auch am Umgang der Regierung mit einer sprachlichen Gleichberechtigung zeigen.
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