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Genderdebatten in ThüringenZukunft der Geschichte ist ungewiss

In Jena steht die Professur für Geschlechtergeschichte vor dem Aus. Die Begründung wirkt fadenscheinig – und trifft auf Widerstand.

50er-Jahre-Darstellung des Verhältnisses von Frauen und Technik Foto: akg-images

Wieso ging eigentlich 90 Prozent der NS-Gewalt von Männern aus? Welchen Einfluss hat Geschlecht auf Migration? Und wann und warum um Himmels willen ist die Kategorie Geschlecht überhaupt so zentral in unser Bewusstsein gerückt?

Wer aktuelle Missverhältnisse bezüglich der Geschlechtergerechtigkeit verstehen will, muss sich mit ihrer Geschichte auseinandersetzen. Und diese Auseinandersetzung muss auch in der Wissenschaft stattfinden. Doch in Jena werden Seminare zu Themen wie „Kriminalität und Geschlecht“ oder „Geschlecht und Migration“ bald nicht mehr angeboten.

Die Professur für Geschlechtergeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität soll nach nur zwölf Jahren Bestehen umgewidmet werden. Es habe sich in der Diskussion herausgestellt, „dass das Fach gar nicht mehr so zukunftsorientiert sei.

Die großen Publikationen stammen aus den 1990er Jahren und zahlreiche der zentralen renommierten Lehrstuhlinhaberinnen sind emeritiert oder gehen auf den Ruhestand zu.“ So steht es im Bericht der Strukturkommission, auf dessen Grundlage der Fakultätsrat die Entscheidung traf.

Die Juniorprofessur für Digital Humanities muss, laut Einsetzungsvertrag mit der Universität, in eine Vollprofessur umgewandelt werden. Um sie zu finanzieren, schlug die eingesetzte Strukturkommission vor, entweder die Professur für Mittellatein oder für Geschlechtergeschichte nach Emeritierung der Lehrenden in Digital Humanities umzuwidmen.

Versteckte politische Bedeutung

In der letzten Fakultätsratssitzung des Sommersemesters 2022 beschloss die Philosophische Fakultät dann, die Professur für Geschlechtergeschichte von Gisela Mettele im Jahr 2025 nicht neu zu besetzen. Was auf den ersten Blick nach einer rein finanziellen Entscheidung klingt, hat aber auch eine politische Bedeutung.

In der Nacht zum 11. November 2022 hat die CDU im Thüringer Landtag mit Stimmen der AfD einen Appell beschlossen, das Gendern in Behörden zu verbieten. Die Universität Jena hält an ihrer Empfehlung für geschlechtergerechte Sprache fest, so Präsident Walter Rosenthal. Forschende an der Universität Erfurt schrieben sogar einen offenen Protestbrief an den Landtag. Durch die Presse ging die Abstimmung, wegen der fehlenden „Brandmauer“ gegen rechts.

Die Thüringer AfD fordert auf ihrer Website einen sofortigen Förderstopp für alle „sogenannten Genderstudies“. „Bestehende,Gender'-Lehrstühle sollen […] bei Ausscheiden der Stelleninhaber nicht wieder nachbesetzt werden.“

Die Landesregierung hat auf die Lehrstuhlvergabe natürlich keinen Einfluss, so der Pressesprecher des Ministeriums für Wissenschaft, wie auch der AfD-Abgeordnete im Bildungsausschuss, Denny Jankowski. Trotzdem zeigt sich Jankowski im Gespräch mit der taz erfreut über die Schließung des Lehrstuhls für Geschlechtergeschichte. Die Studierenden sind sich des politischen Hintergrunds schmerzlich bewusst.

Höcke und die „Männlichkeit“

„Universitäre Entscheidungen wirken oft unpolitisch. Das sind sie aber nicht, denn sie finden in einem politischen Rahmen statt, ob man das will oder nicht“, sagt Pia Marzell von den „Freund*innen der Geschlechtergeschichte“. Und ob die Universitätsleitung das will, oder nicht, der Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte wird in Thüringen abgeschafft. Dort, wo der Fraktionsvorsitzende der drittstärksten Partei, Björn Höcke, „die Männlichkeit der Gesellschaft wiederentdecken möchte“.

Mit dem Vorwurf konfrontiert, winkt Christoph Demmerling, Dekan der Uni, ab: „Nein, das soll kein politisches Zeichen sein. Die Bezüge zur AfD herzustellen, halte ich für vollkommen abwegig“, sagt er. Genderstudies hätten auch weiter einen hohen Stellenwert an der Universität Jena, bekräftigt auch ihr Präsident.

An 12 von 108 Universitäten in Deutschland ist es möglich, Genderwissenschaften im Master zu studieren. Im Jahr 2017 gab es 185 Professuren mit dem Schwerpunkt Gender in Deutschland, Fachhochschulen mitgerechnet. Die Professur eigens für Geschlechtergeschichte in Jena, mit einem im Namen garantierten Forschungsziel, ist aber einzigartig. Viele Studierende entschieden sich wegen ihr für die Stadt.

Seit der Fakultätsratssitzung am 12. Juli formiert sich zunehmend Widerstand. Über 2.300 Unterschriften haben die Freun­d*in­nen der Geschlechtergeschichte bereits online gesammelt. Und nicht nur aus Jena kommt der Protest.

Mehrere Forschungseinrichtungen zum Komplex Gender haben Briefe an die Universitätsleitung geschrieben. Ein Teil des Ärgers richtet sich gegen das Verfahren, das aus Sicht der Studierenden intransparent und undemokratisch abgelaufen sei.

Erst einen Tag vor der Sitzung wurde bekannt, dass es um die Umwidmung gehen würde. Aurelia Rohrmann, eine Studentin, erzählt: „Wir hatten keine Zeit, uns vor der Sitzung zu organisieren oder irgendwie vorzubereiten.“ Auch die Gleichstellungsbeauftragte ist nicht anwesend gewesen, weil ihr nicht mitgeteilt worden sei, dass es bei der Sitzung zur Abstimmung kommt. Der Dekan bestreitet das.

Fadenscheinige Begründungen

Insbesondere der Bericht der Strukturkommission ist den KritikerInnen ein Dorn im Auge. Es sei nicht ersichtlich, nach welchen Kriterien der Vergleich zwischen Mittellatein und Geschlechtergeschichte hier stattgefunden habe. Zum Beispiel ist ein Großteil der Verteidigung des Lehrstuhls für Mittellatein aus Perspektive des gesamten Instituts für Altertumswissenschaften verfasst.

Es sei das einzige Institut der neuen Bundesländer, das die Kompetenzen Latinistik, Gräzistik, Mittellatein und Neulatein an einer Stelle vorhält. Die Professur Geschlechtergeschichte gibt es aber in dieser Form nur ein einziges Mal in ganz Deutschland. Aufgeführt im Bericht sind stattdessen einige Geschichtsprofessuren, die sich einen Schwerpunkt in Gender- oder Sexualitätsfragen gesetzt haben.

Laut Universitätsleitung ist die Frage am wichtigsten, ob Inhalte wegbrechen. Geschlechtergeschichte sei ein Querschnittsfach. „Gerade weil die Themen im Kern so vieler Fächer angekommen sind, werden die Inhalte mit der Nichtnachbesetzung des Lehrstuhls nicht wegbrechen“, sagt Dekan Demmerling.

Die Studierenden widersprechen der Darstellung vehement: „Diese Behauptung ist einfach falsch“, sagt Rohrmann. „In vielen Fächern wird ja noch nicht mal Literatur von Frauen und queeren Personen gelesen. Wie viele Hausarbeiten habe ich schon mit einem geschlechterwissenschaftlichen Schwerpunkt geschrieben, weil das eben eine Lehrstelle war. Und das kann nicht unsere Aufgabe sein!“

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Am 13. Dezember soll der neue Fakultätsrat die Entscheidung des alten noch mal diskutieren. Andere Lösungen, wie die Professur rotierend auf frei werdenden Stellen beizubehalten, sind also noch nicht vom Tisch.

Es wäre auch noch möglich, Gelder für 2025 einzuwerben, um den Lehrstuhl zu erhalten. Aurelia Rohrmann stellt klar: „Die Studierenden haben nicht vor, das auf sich sitzen zu lassen!“

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8 Kommentare

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  • "Wie viele Hausarbeiten habe ich schon mit einem geschlechterwissenschaftlichen Schwerpunkt geschrieben, weil das eben eine Lehrstelle war. Und das kann nicht unsere Aufgabe sein!"



    Also, ich vermute mal, dass hier eigentlich eine Leerstelle gemeint war.

    "Es habe sich in der Diskussion herausgestellt, „dass das Fach gar nicht mehr so zukunftsorientiert sei.""



    Soso. Das heißt also im Umkehrschluss, Mittellatein wäre zukunftsorientiert.



    Cogito ergo kopfschüttelum.

    • @Tetra Mint:

      Ich bin mir nicht sicher, ob "zukunftsorientiert" ein Kriterium ist, an dem man Geisteswissenschaften messen sollte (seriöse historische Forschung wird dann schwer), aber in einem hochschulpolitischen Kontext gesehen nimmt die Wichtigkeit von Fächern wie Mittellatein und Byzantinistik eher zu - gerade weil die altsprachliche Kompetenz unter anderen Historikern und Literatur eher sinkt. Wie will man eigentlich noch über die Zeit bis 1800 forschen, wenn man einen Großteil der Quellen nicht mehr versteht? Latein war wesentlich länger lingua franca, als oft angenommen. Ich finde es auch ärgerlich, wenn die GS-Professur gestrichen wird, aber ausgerechnet ein in seiner Existenz bedrohtes, aber äußert wichtiges Orchideenfach dagegen auszuspielen, finde ich bedauerlich.

  • Ich finde es bedauerlich, dass der Artikel hier nicht auf die bedauernswerte Situation eingeht, dass eine Universität gezwungen ist, zwischen zwei wichtigen Lehrstühlen zu entscheiden und stattdessen die Entscheidung für die in Deutschland mittlerweile akut bedrohte mittel- und neulateinische Philologie mit der AfD in Verbindung bringt; Mediävistik mag nicht zu den in taz-affinen Kreisen typischen Interessensschwerpunkten gehören, aber es geht hier um einen zentralen Bereich europäischer Geschichte (auch in globaler Hinsicht!), der immens darunter leidet, dass mittlerweile die notwendigen Sprachkenntnisse wegbrechen. Fächer wie Mittellatein oder klassische Philologie mögen auf Twitter weniger präsent sein, aber umso wichtiger wäre es, hier einmal auf das kulturresistente Banausentum zu verzichten und ihre Bedeutung für das eigene historische und kulturelle Selbstverständnis zu betonen. Letztlich geht es hier ja um Grundsätzliches: gesteht man geisteswissenschaftlicher Forschung noch einen Wert für unsere Zeit zu oder reduziert man die entsprechenden Fächer auf einen Zulieferbetrieb für Politik und Medien? Letzteres würde allerdings kein gutes Licht auf das geistige Leben in Deutschland werfen.

    • @O.F.:

      Bedauerlich ist doch vor allem, dass sich die kleinen Fächer gegeneinander ausspielen lassen und beim ersten Druck, der von oben kommt, willfährig für Streichungen stimmen, um ihre eigene Haut zu retten. Vielmehr sollten betroffene Fachgebiete zusammenhalten und nicht bei der ersten Gelegenheit, bei der die Machtverhältnisse gerade günstig ausfallen, auf Abstimmung drängen. Eins ist doch sicher: Bei der nächsten Kürzungsswelle wird Mittellatein der nächste Lehrstuhl sein, der gestrichen werden wird.



      In Deutschland gibt es übrigens acht etablierte Lehrstühle für Mittel- und Neulatein. Der einzige Lehrstuhl mit einer Voll-Denomination für Geschlechtergeschichte hingegen wurde gestrichen - so viel zu den Fakten!

      • @Anne.:

        Nun ja, den Vertretern kleiner Fächer den schwarzen Peter zuzuschieben, ist unfair, weil deren Handlungsmöglichkeiten doch sehr begrenzt sind. Der richtige Adressat der Kritik wären letztlich die Bildungsministerien auf Landes- und Bundesebene.



        Zu ihren Fakten: der Vergleich geht nicht auf, weil sie ein ganzes Fach einer bestimmten Denomination gegenüberstellen. Der korrekte Vergleichspunkt wären GS - und die gibt es viel häufiger. Übrigens kann ich - als Vertreter eines dem Mittellatein nahestehenden Faches - nur noch einmal betonen, wie elementar wichtig diese 8 Lehrstühle sind; Studenten und sogar junge Wissenschaftler sind oft schlichweg nicht mehr in der Lage, mittel- und neulateinische Quellen zu lesen. Wir laufen Gefahr, den Zugang zu einem erheblichen Teil europäischer (und teils auch globaler) Geschichte zu verlieren.

        • @O.F.:

          Studierende lernen Latein vor allem in den Sprachzentren der Unis, um die sprachlichen Anforderungen ihres Studiums zu erfüllen. Zudem müsste doch mal geklärt werden, wie hoch die Nachfrage auf Studierendenseite nach einem Mittel- und Neulateinstudium ist und ob dafür nicht die bestehenden Lehrangebote in Deutschland völlig ausreichend sind: Wie viele Studierende gibt es denn in Jena im Fach Mittel- und Neulatein?



          Ein Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte sichert jedenfalls die strukturelle Verankerung zur Erforschung historischer Geschlechterverhältnisse. Eine solche Struktur musste in den letzten 40 Jahren gegen mannigfaltige Widerstände (siehe Professur von Annette Kuhn in Bonn) sehr hart erkämpft werden. Ohne einen Lehrstuhl für GS wäre es schlicht dem Zufall überlassen, ob sich Professorinnen und Professoren einen Forschungsschwerpunkt GS geben oder nicht. Zudem droht Deutschland den Anschluss an die internationale Forschung zu verlieren, dort gehören solche Lehrstühle zum Standardrepertoire moderner Hochschulen. Für die Uni Jena bedeute die Streichung einen Schritt in die Provinzialisierung!

          • @Anne.:

            P.S. Ich erinnere daran, dass auch Geschlechtergeschichte, will man sie denn seriös betreiben und nicht so tun, als wäre die Welt erst nach 1800 entstanden, auf das Studium mittel- und neulateinischer Quellen angewiesen ist. Sie sägen mit solcher Ignoranz also an den Fundamenten eben des Forschungsbereichs, für den Sie sich hier stark machen.

          • @Anne.:

            Sie wissen sicher auch, dass die Latein-Kurse an den Sprachzentren kaum ausreichen, um überhaupt danach überhaupt einen Text zu übersetzen, zumal ein philologisches Studium auch mehr als ein Sprachkurs ist. Hier mit Studentenzahlen zu argumentieren, trifft den Kern des Problems nicht, weil es das Fach anderen Disziplinen zuarbeitet und damit eine Schlüsselstellung in der Forschung einnimmt.



            Das der GS-Lehrstuhl gefährdet ist, ärgert mich ebenso wie Sie; dass Sie das gegen das in Deutschland in seiner Existenz bedrohte Mittellatein ausspielen, ärgert mich allerdings.