Gen-manipulierte Babys: He Jiankui will ein Superheld sein
Der chinesische Biophysiker He Jiankui hat 2018 die ersten genetisch veränderten Babys erschaffen. Er kam dafür ins Gefängnis. Jetzt ist er zurück.
He Jiankui streckt seinen erhobenen Daumen in Richtung Kamera. Neben ihm steht ein Mann, dessen Gesicht stark verpixelt ist. Das Volksgericht in Shenzhen verurteilte den chinesischen Biophysiker wegen „illegaler medizinischer Praktiken“ zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe. Nur wenige Monate nachdem er im April 2022 entlassen wurde, teilt er die Errungenschaften seines zurückgewonnenen Lebens auf Twitter.
Da ist der Einzug in sein neues Labor. Oder He, im immergleichen braunen Sakko, posierend mit Patient*innen, die schwere Erbkrankheiten haben. Auf anderen Fotos trifft er sich mit Gentechnikern. Manchmal schwingt er, ein weißes Basecap auf dem Kopf tragend, Golfschläger durch die Luft.
He, im chinesischen steht der Familienname vorne, ist der wohl am kontroversesten diskutierte Wissenschaftler des letzten Jahrzehnts. 2018 erschuf er die Crispr-Zwillinge Lulu und Nana, die ersten genetisch veränderten Babys der Welt. Lulu und Nana wurden durch künstliche Befruchtung erzeugt. Noch als Embryonen in der Petrischale veränderten He und sein Team mit der Genschere Crispr/Cas9 ein Gen.
Das CCR5-Gen trägt die Information für ein Protein auf Immunzellen, das als wichtigste Eintrittspforte für das HI-Virus gilt. Die Väter der Babys sind HIV-positiv. Die Kinder sollten niemals in Angst leben müssen, Träger*innen der Infektionskrankheit zu werden. Der Eingriff vor der Geburt sollte sie immunisieren.
Die Geburt der Gen manipulierten Zwillinge
Die Weltöffentlichkeit erfuhr von seiner Forschung durch den Journalisten Antonio Regalado, wenige Tage vor der zweiten Konferenz über Humangenom-Editierung Ende 2018. Dort sollte He Jiankui einen Vortrag zur Ethik für Genänderungen von Embryonen halten.
Als He die Geburt der Zwillinge in einem Video auf Youtube bestätigte, reagierten Wissenschaftler*innen weltweit schockiert. Nicht die genetisch veränderten Embryonen waren die Sensation, sondern, dass daraus eine Schwangerschaft und Babys hervorgingen. Auf der Konferenz erwarteten die Kolleg*innen anstelle seines Vortrages nun Antworten auf ethische und methodische Fragen zu seiner Forschung.
Schnell entwickelte sich in der Presse das Bild vom abtrünnigen Einzelgänger. Das Bild von einem Wissenschaftler, der mit dem Leben spielt und dabei ein Monster auf die Welt loslässt. Gentechniker*innen weltweit distanzierten ihre Forschung entschieden von seiner.
Das Tabu des menschlichen Genpools
Denn der Forscher hatte ein Tabu gebrochen. Führende Gentechniker*innen hatten sich in der Abschlusserklärung der ersten Konferenz über Humangenom-Editierung 2015 darauf geeinigt, dass in der Forschung an Embryonen nicht auf Anwendungsmöglichkeiten hingearbeitet werden sollte.
Die klinische Anwendung der Genschere an Keimbahnzellen hielten Forscher*innen für unverantwortlich. Ein Eingriff an embryonalen Zellen, wie von He durchgeführt, beeinflusst aber die Keimbahn. Aus der bilden sich die Keimbahnzellen, die der Fortpflanzung dienen. Durch einen Eingriff verändert sich der menschliche Genpool nachhaltig.
Außerdem warnten Wissenschaftler*innen in der Abschlusserklärung vor unvorhersehbaren gesellschaftlichen Folgen. Sie waren in Sorge, dass sich soziale Ungleichheiten verschärfen könnten, wenn ein Teil der Bevölkerung durch Gentechnologien gesündere oder gar „verbesserte“ Kinder hätte. Es brauche einen breiten gesellschaftlichen Konsens über die Umstände, unter denen die Geburt von genetisch veränderten Menschen angemessen sei, urteilten die Forscher*innen damals.
Lebenslanger Schutz vor HIV ungewiss
Antonio Regalado, durch dessen Arbeit He 2018 aufflog, teilte das unveröffentlichte Manuskript der Studie ein Jahr später mit vier Expert*innen: einem Rechtswissenschaftler, einer auf künstliche Befruchtung spezialisierten Ärztin, einer Embryologin und einem Spezialisten für Gentechnik. Ihre Untersuchung von Hes Studie legt nahe, dass vorhersehbare Risiken und Probleme aufgetreten sind.
Der lebenslange Schutz vor HIV durch die CCR5-Mutation bleibe ungewiss, weil die genetischen Veränderungen unvollständig seien. Die Forscher hätten sozusagen das Haupttor für das HI-Virus blockiert, aber manche der Viren sind auf die Hintertür spezialisiert. Somit verringerte der Eingriff lediglich die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung.
Andere Gentechniker*innen wie Paula Cannon bemängelten, dass die Behandlung gar nicht notwendig gewesen sei, um die Kinder vor der HIV-Infektion ihrer Väter zu schützen. Denn dafür gäbe es bereits etablierte Methoden, wie das Samenwaschen. Bis heute sind Identität und auch Gesundheitszustand der Kinder unbekannt. Gleiches gilt für das dritte Kind, das ein Jahr nach den Zwillingen zur Welt kam. Auf eine Gesprächsanfrage der taz antwortete der Forscher nicht.
„Er wollte berühmt werden“
He rechnete damals nicht mit einer pauschalen Verurteilung, erzählt Ben Hurlbut. Den Wissenschaftshistoriker und Professor an der Arizona State University erreichte nach der Konferenz 2018 ein Anruf. He meldete sich aus seinem Hausarrest und sie fanden sich in einem Gespräch, in dem der umstrittene Wissenschaftler fast sofort Zeugnis zu seinem Projekt ablegte. Hurlbut glaubt, dass He nichts Böses wollte.
„Er wollte in Nature publizieren, berühmt werden.“ Er und sein Land sollten die ersten sein bei einer Technologie, die in der Medizinforschung als zukunftsweisend und fortschrittlich galt. He habe mit Personen gesprochen und sie in sein Geheimnis eingeweiht, erzählt Hurlbut. Hätten ihm alle gesagt: Tu das auf keinen Fall, hätte He es nicht getan, ist er sich todsicher.
Ben Hurlbut, Wissenschaftshistoriker
He habe sich an einem anderen Fall der Wissenschaftsgeschichte orientiert, weiß Hurlbut. In den 1970ern erzeugte Robert Edwards die ersten Kinder durch künstliche Befruchtung. Er hielt seine Versuche geheim, bis 1978 Louise Brown, das erste Reagenzglas-Baby, geboren wurde. Erst danach erzählte Edwards der Welt von dem Baby und veröffentlichte seine Ergebnisse. Seine Forschung sorgte zunächst für Dissens. Doch heute sind künstliche Befruchtungen Normalität. 2010 erhielt Edwards den Nobelpreis für Medizin. „Wenn wir darauf warten, dass die Gesellschaft einen Konsens findet, wird Geneditierung nie geschehen“, sagte He damals zu Hurlbut.
Er will ein Wissenschaftler-Superheld sein
He habe Wissenschaftler wie Edwards als heroische Pioniersfiguren gesehen, hier wollte er sich einreihen, sagt Hurlbut. Aber es sei keineswegs einzigartig. „In der Wissenschaft bemessen sich Prestige und Leistung sehr am Faktor Prominenz.“
Auch nach drei Jahren Gefängnis träumt He davon, ein Wissenschaftler-Superheld zu sein. Im Jiankui He Lab möchte er ein Institut mit kostengünstigen Therapien für seltene Erbkrankheiten entwickeln. Sein erster Angriff gilt der Duchenne-Muskeldystrophie, kurz DMD. Die seltene Muskelerkrankung beginnt im Kindesalter.
Die meisten Patienten sind männlich und werden nicht älter als 35. Die Betroffenen verlieren schrittweise mehr Muskelsubstanz. Über 682 Familien sollen eine Petition unterschrieben haben, die den Milliardär und Gründer der Alibaba-Group, Jack Ma, auffordert, Hes Forschung finanziell zu unterstützen. Die Petitionäre stecken ihre Hoffnung in den jungen Wissenschaftler. Vielleicht, weil er weiter geht als alle anderen.
He und Hurlbut stehen weiterhin in Kontakt. Keimbahnänderungen seien für ihn nun tabu. Trotzdem rede er immer noch davon, schnell sein zu wollen. Noch immer will er „disruptive Technologien nutzen, um Menschen besser zu machen“, sagt Hurlbut. Auf seinen letzten Fotos auf Twitter posiert He mit DMD-Patient*innen und verspricht ihnen Heilung. Hurlbut hat Verständnis dafür. Große Heilungsversprechungen kämen aus allen Ecken, He nutze lediglich das Drehbuch der Branche.
Mit seiner Einschätzung steht Hurlbut vorerst allein auf weiter Flur. Die Gentechniker*innen, die auf der dritten Konferenz über Humangenom-Editierung diesen März in Oxford sein werden, verkündeten, dass He zuerst das Chaos seiner Vergangenheit beseitigen solle, bevor er von neuer Forschung spreche. He schrieb unterdessen auf Twitter, dass er nicht zur Konferenz reisen werde.
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