Gemeingut-Aktivisten über Abrisspläne: „Das SEZ gehört uns allen“
Das Sport- und Erholungszentrum wird 44 Jahre alt. Jorinde Schulz und Carl Waßmuth setzen sich gegen den Abriss ein und fordern die Wiedereröffnung.
taz: Wir stehen hier in Friedrichshain vor dem Sport- und Erholungszentrum, kurz SEZ, das zu DDR-Zeiten gebaut wurde und zur Eröffnung 1981 in seiner Größe weltweit einzigartig war. Warum setzen Sie sich gegen den Abriss ein, den der Senat plant?
Jorinde Schulz: Weil das SEZ uns allen gehört. Es ist Teil der öffentlichen Infrastruktur Berlins. Es ist aber auch ein Schmuckstück der Architektur. Und es stellt eine einzigartige Vision von öffentlicher Freizeit und Erholung dar – das darf die Stadt nicht verlieren. Dazu kommt, dass das Ganze in einem Zustand ist, in dem man es sehr gut sanieren könnte.
Carl Waßmuth: Das SEZ ist ja nicht nur ein Schwimmbad. Es ist ein multifunktionaler Gebäudekomplex für Sport und Unterhaltung. Dort konnte man eislaufen, Sport treiben, es haben Konzerte und Modeschauen stattgefunden. Etwas Vergleichbares haben wir nicht im Kiez. Wir haben hier an dieser Ecke von Landsberger Allee und Danziger Straße nur viel Verkehr und Wohnen, sonst nichts.
Jorinde Schulz und Carl Waßmuth sind aktiv im Verein Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB). Schulz, 36, ist für Recherche und Kampagnen zuständig und darüber hinaus als Autorin tätig. Sie ist außerdem Mitglied im Vorstand der Linken Berlin. Waßmuth, 55, ist Bauingenieur und einer von drei GiB-Vorständen. Er ist unter anderem verantwortlich für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
taz: Was ist das größte Hindernis für den Erhalt?
Schulz: Dass SPD-Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler und die landeseigene WBM, die ja eigentlich zugunsten der Berliner:innen handeln sollten, gerne abreißen und neu bauen möchten, ohne jegliche Debatte. Das ist ökologisch und sozial eine Katastrophe. Es sieht so aus, als seien ihnen die Interessen der Baulobby näher als die der Berliner:innen.
taz: Friedrichshain hat bekanntermaßen kein Schwimmbad.
Schulz: Deswegen wäre es dringend, das SEZ wieder aufzumachen. Doch stattdessen gibt es hier einen Schulterschluss von landeseigener Wohnungsbaugesellschaft, SPD- und CDU-Baulobby, die ihr ewiges Programm vom umweltschädlichen Abriss und Neubau weiter verfolgen will. Wir wissen alle, dass Neubau überhaupt keinen bezahlbaren Wohnraum schafft, wie hier versprochen wird. Im Gegenteil steigen dadurch die Mieten in der Umgebung. Und wir denken …
taz: … wir, das ist der Verein Gemeingut in BürgerInnenhand?
Schulz: Ja. Es ist eine Situation entstanden, wo Grundbedürfnisse wie „Wohnen für alle“ gegen „Erholung und Sport für alle“ ausgespielt werden. Beides muss möglich sein, für beides hat die öffentliche Hand zu sorgen. Deshalb ist es ein Skandal, dass die WBM der Öffentlichkeit den Zugang zum SEZ verwehrt. Wir fordern, dass es geöffnet wird, für alle.
taz: Sind da nicht längst alle Messen gesungen?
Schulz: Die Messen sind nicht gesungen. Es gibt einen Bebauungsplan für das Areal. Der wurde aufgestellt, um die Abrisspläne des ehemaligen Eigentümers, der das SEZ für einen Spottpreis von 1 Euro übernommen hatte, einzugrenzen. Und so ein Bebauungsplan kann jederzeit aktualisiert werden. Jetzt hat die Stadt das SEZ samt Gelände auf dem Rechtsweg zurückgewonnen, weil der Investor kein Schwimmbad eröffnet hatte. Es wäre vollkommen logisch, nun das SEZ zu sanieren und wieder zu öffnen.
taz: Es wäre also noch möglich?
Waßmuth: Das ist nicht nur möglich, sondern bei Weitem die kostengünstigste Variante, um unsere soziale- und Sport- und Erholungsinfrastruktur in Berlin und speziell in Friedrichshain wieder zu ertüchtigen.
taz: Sie sind Bauingenieur, wie schätzen Sie den Zustand ein?
Waßmuth: Ich habe mir das Tragwerk mehrfach angesehen. Das ist in einem super Zustand. Das SEZ ist alles andere als einsturzgefährdet. Was vernachlässigt ist, das sind die Randbereiche drum herum, die Müllecken.
taz: Aber das ist kein Abrissgrund?
Waßmuth: Wenn hier Müll liegt, muss man den wegräumen. Das SEZ ist ein intaktes, solides Gebäude, das erhebliche Kapazitäten hat. Und wenn wir das abreißen, würde das Jahre dauern und riesige CO2-Emissionen hervorrufen. Wie soll hier sozialer Wohnungsbau entstehen, das wäre dadurch viel zu teuer.
taz: Das ist ja auch gar nicht geplant.
Waßmuth: Hier sollen Stadtvillen und auf 20.000 Quadratmetern Gewerbe entstehen. Das ist nicht im Sinne der Menschen, die ringsum wohnen. Und dann kommt noch der Denkmalschutz dazu.
taz: Das SEZ steht nicht auf der Denkmalliste des Landes, das würde den Abriss unmöglich machen.
Waßmuth: Aber das SEZ ist ein Denkmal! Es muss unter Denkmalschutz gestellt werden, künstlerisch, städtebaulich, historisch, wissenschaftlich. Alle Kriterien sind erfüllt. Deshalb haben wir eine Petition gestartet. Beim Denkmalamt heißt es, sie bewerten rein fachlich. Wenn das stimmt, dann können sie ihre Bewertungen auch öffentlich machen, und alle können prüfen, ob das fachlich richtig war oder Fehler gemacht wurden. Bisher sieht es aber so aus, als ob Bausenator Gaebler die Vorgabe macht: „Das ist kein Denkmal“. Das wäre autokratisch.
taz: Sie glauben also, dass das SEZ bewusst nicht unter Denkmalschutz steht?
Waßmuth: Der Denkmalschutz hat eine starke West-Ost-Schieflage. Das Zeiss-Großplanetarium in Prenzlauer Berg ist eine Ausnahme, während im Westen vieles unter Denkmalschutz steht. Das SEZ ist ja nicht nur ein architektonisch bedeutsames Bauwerk, es ist auch das letzte seiner Art und hat eine historische Bedeutung. Die DDR hat es auch mit Blick auf Westdeutschland gebaut, nach dem Motto: Wir zeigen, was wir den Leuten alles bieten können. Deshalb gab es hier eine Kraft-Wärme-Kopplung, die die Abwärme von der Eisbahn dem Schwimmbad zuführte. Das war hocheffizient.
taz: Und würde das noch funktonieren?
Waßmuth: Das ist heute noch hochmodern und könnte wieder in Betrieb genommen werden. Die Fassade ist ein weiteres Beispiel, diese lichtdurchbrochenen Öffnungen im Dach, das alles ist modern und wärmeeffizient.
Schulgebäude, Wasserleitungen, Krankenhäuser, öffentliche Verkehrsmittel oder auch Autobahnen sind Teil der öffentlichen Infrastruktur. Sie müssen dem Gemeinwohl dienen und dürfen nicht Spekulationsobjekte privater Investoren sein, so das Credo des 2010 gegründeten Vereins Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB).
Die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge wird deshalb abgelehnt. Und da diese Daseinsvorsorge immer mehr verfällt, arbeitet der Verein daran, dass sie gestärkt und wiederaufgebaut wird – und auskömmlich finanziert. (taz)
taz: Das müsste man natürlich sanieren.
Waßmuth: Ja, so wie man jedes Schwimmbad alle 20, 25 Jahre sanieren muss. Das SEZ ist jetzt 44 Jahre alt, klar, da ist manches zu machen. Aber das war im Stadtbad Tiergarten auch so – und das wurde gemacht. Hier in Friedrichshain aber will der Senat das den Menschen verweigern. Das wollen wir nicht zulassen.
taz: Wie viel würde die Sanierung kosten?
Waßmuth: Zwischen 30 und 50 Millionen Euro, je nach Standard. Wenn man das SEZ heute neu bauen würde, würde das wohl 250 bis 350 Millionen Euro kosten. Der Abriss wird wahrscheinlich 50 oder 80 Millionen Euro kosten. Aber die Zeit, wo wir einfach alles plattmachen können, ist vorbei. Nur Bausenator Gaebler hat es noch nicht mitbekommen. Und offensichtlich der Chef der WBM, der ja von der Deutschen Wohnen kommt.
taz: Was glauben Sie, warum das SEZ nicht der Allgemeinheit offen steht?
Waßmuth: In ganz Berlin gibt es kein Erlebnisbad mehr. Aber rings um Berlin sind in den 1990er Jahren etliche Spaßbäder eröffnet worden und viele fahren jetzt 50 oder 100 Kilometer weit bis in die nächste Therme nach Brandenburg. Es gab also auch ökonomische Gründe, warum das SEZ kleingehalten wurde.
taz: Es gab zahlreiche Zwischennutzungen bis zuletzt …
Schulz: Die Berliner:innen hatten sich das Gebäude angeeignet. Und plötzlich taucht ein ominöses Schadstoffgutachten auf, wo von drei Asbestfasern die Rede ist …
Waßmuth: … an einem Türschloss im Keller. Denn ansonsten ist das Gebäude nämlich asbestfrei. Das hat den Verantwortlichen offensichtlich leidgetan, dass sie hier nicht den Asbesthammer wie beim Palast der Republik schwingen können.
Schulz: Und das war der Vorwand, um die Zwischennutzer:innen rauszukicken. Die Öffentlichkeit wird bewusst aus dem SEZ rausgedrängt, damit sich niemand ein Bild davon machen kann, wie gut der Zustand ist und auch, was für ein fantastisches Gebäude das ist. Nicht mal die Parlamentarier:innen, die darüber entscheiden sollen, kommen da im Moment rein.
taz: Wann waren Sie das letzte Mal drin?
Waßmuth: Vor einem Jahr. Ich bin sehr gespannt, wie es inzwischen aussieht, denn bis Ende des Jahres, das haben viele Zwischennutzer:innen berichtet, waren die Räume noch in einem zauberhaften Zustand und wurden gerne genutzt. Wir haben Sorge, dass da drin Unfug getrieben wird. Ein weiterer Grund, warum wir die Öffnung fordern.
taz: Was sind Ihre nächsten Schritte?
Waßmuth: Anlässlich des SEZ-Geburtstages, der am 20. März ist, laden wir zu einem ersten runden Tisch. Das soll ein regelmäßiges Gremium sein. Im Moment wird das Gespräch vom Senat noch verweigert. Wieso? Wenn der Abriss eine so tolle und wichtige Sache ist, dann kann der Senat uns das ja erklären.
taz: Wer kommt alles zum Runden Tisch?
Waßmuth: Bezeichnenderweise hat der Bausenator noch nicht geantwortet, und auch Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey nicht. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner hat leider keine Zeit. Aber der Bezirk schickt Stadtrat Andy Hehmke.
taz: Allerdings ist der Bezirk in Sachen SEZ völlig machtlos.
Waßmuth: Der Senat hat das Verfahren an sich gezogen, es wäre gut, wenn das SEZ in die Zuständigkeit des Bezirkes zurückginge. Aber der Bezirk kann schon noch was machen, zum Beispiel das Landesdenkmalamt auffordern, das Gebäude unter Schutz zu stellen.
taz: Deswegen gibt es neben dem runden Tisch auch eine Demo.
Waßmuth: Am 22. März gibt es hier am SEZ eine Kundgebung, um den politischen Druck weiter zu erhöhen.
Schulz: Und wir feiern den 44. Geburtstag. Spätestens zum 45. sollten wir die Wiedereröffnung feiern.
taz: So vehement wie Sie beide für das SEZ streiten, haben Sie einen emotionalen Bezug?
Schulz: Ich bin in Dänemark aufgewachsen. Das Land hat eine Tradition für ambitioniert geplante, wunderschöne, großzügige öffentliche Einrichtungen. Solche kostenlosen beziehungsweise erschwinglichen Angebote sind entscheidend für die Lebensqualität von Stadtbewohnern. Es geht dabei nicht nur um Schwimmbäder, das können Bibliotheken, öffentliche Plätze, Parks sein. Insofern geht es hier beim SEZ überhaupt nicht um Nostalgie.
taz: Emotional besetzt ist das Thema dennoch.
Schulz: Klar. Das SEZ ist für viele ein Stück ihrer Geschichte, das nun einfach vernichtet werden soll – im Rahmen eines revisionistischen Feldzugs gegen die sozialistische Moderne. Aber es ist auch brandaktuell. Wir haben in den letzten 30 Jahren miterlebt, wie städtische Räume zunehmend privatisiert werden und sich verteuern. Da brauchen wir dringender denn je öffentliche Einrichtungen, wo man sich für wenig Geld erholen kann. Und die Kinder müssen schwimmen lernen können.
taz: Und haben Sie, Herr Waßmuth, einen persönlichen Bezug zum SEZ?
Waßmuth: Ich wohne ganz in der Nähe des SEZ, seit ich hier 1999 hergezogen bin. Ich war dort noch Schlittschuh laufen. Ab 2016 haben ich mich mit anderen Anwohnern dafür eingesetzt, dass Berlin sich das SEZ vor Gericht zurückholt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leistungsloses Einkommen
Warum Erben lieber über „Neid“ reden als über Gerechtigkeit
Baerbock bei der UN-Vollversammlung
Forsch, aber nicht unfeministisch
CDU-Politikerin mit Faktenschwäche
Taugt Populistin Klöckner zur Präsidentin des Bundestags?
Baerbock will zur UN
Traumjob mit Geschmäckle
Israels Krieg im Gazastreifen
Hunderte Tote nach zwei Tagen israelischen Bombardements
Schauspielerin Rachel Zegler
Rassismus gegen Schneewittchen