Gekaperter Lkw in Limburg: Am Ende bleiben Fragezeichen
Im hessischen Limburg fährt ein Syrer mit einem gekaperten Lkw in mehrere Autos und verletzt acht Personen. Das Motiv bleibt unklar.
Am frühen Montagabend, gegen 17.18 Uhr, war ein 32-Jähriger im hessischen Limburg mit einem gekaperten Lkw vor dem örtlichen Amtsgericht in mehrere Autos gefahren, hatte dabei acht Personen und sich selbst verletzt. Noch am Tatort wurde er festgenommen.
Und sofort waren die Spekulationen da. War es ein Terroranschlag, wie damals bei Anis Amri in Berlin? Oder war es die Tat eines psychisch Kranken?
Die ganze Nacht hindurch und auch noch am Dienstag blieb die Lage unklar. Erst am Mittag bestätigte die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um einen Syrer handelt. Er soll den ursprünglichen Fahrer des Lkw „gewaltsam“, aber ohne Waffe aus der Fahrerkabine gezogen haben. Daraufhin sei er mit dem Fahrzeug wenige Meter gefahren und habe im Bereich einer Kreuzung „ungebremst“ sieben Pkws und einen Kleintransporter gerammt. Festgenommen worden sei der Verdächtige von Bundespolizisten, die zufällig in der Nähe waren. Die acht Verletzten konnten laut Polizei noch in der Nacht das Krankenhaus verlassen.
Motiv bleibt offen
Das Motiv aber ließ auch die Staatsanwaltschaft offen. Die Ermittlungen zu den Hintergründen dauerten an, teilte Sprecher Alexander Badle mit. „Es wird in alle Richtungen ermittelt.“
Die Frankfurter Neue Presse zitierte derweil den ursprünglichen Lastwagenfahrer. An einer Ampel habe der Tatverdächtige plötzlich seine Tür geöffnet. „Was willst du von mir?“, habe er ihn gefragt, berichtete der Lkw-Fahrer. Aber der Mann habe ihn nur wortlos hinausgezogen. Dann sei er mit dem Lkw in die Autos gefahren. Die Zeitung zitiert auch Augenzeugen, wonach der 32-Jährige nach dem Vorfall ausgestiegen und sich an einen Baum gesetzt habe. Er soll den Begriff „Allah“ verwendet und benommen gewirkt haben.
Medien berichteten zudem, der Mann lebe seit 2015 in Deutschland, er habe als syrischer Geflüchteter einen subsidiären Schutzstatus besessen, der aber Anfang Oktober ausgelaufen sei. Zudem sei er polizeibekannt: wegen einer Schlägerei mit Verwandten, Drogenbesitzes und Ladendiebstahl – nicht aber wegen politischer Delikte.
Oberstaatsanwalt Badle wollte all das nicht bestätigen. Er halte sich an gesicherte Fakten, sagte er der taz. Nur so viel: Erkenntnisse zu politischen Aktivitäten des Verdächtigen lägen bisher nicht vor. Das bestätigte auch Innenminister Beuth: Verbindungen des Syrers in die gewaltbereite islamistische Szene seien den Behörden bisher nicht bekannt.
Zwei Wohnungen durchsucht
Tatsächlich zog auch die Bundesanwaltschaft, zuständig für besonders schwere Staatsschutzdelikte, den Fall bisher nicht an sich. Man sehe vorerst keine Zuständigkeit, behalte die Ermittlungen aber im Blick, hieß es dort.
Noch in der Nacht wurden indes zwei Wohnungen durchsucht. Eine in Langen bei Frankfurt am Main, die der Tatverdächtige bewohnt haben soll. Und eine im Landkreis Limburg-Weilburg, von einem Cousin, der sich mit dem Syrer am Montag getroffen hatte und auch kurz nach der Vorfall am Tatort aufgetaucht sein soll. Indizien mit islamistischen Bezug seien dabei nicht gefunden worden, hieß es. Sichergestellt wurden aber Handys und USB-Sticks, deren Auswertung noch lief.
In den sozialen Medien und bei der AfD hatte man sich da, trotz der unklaren Lage, bereits festgelegt. „Durch offene Grenzen kommen Terroristen in unser Land“, twitterte der AfD-Innenpolitiker Martin Hess. Fraktionschefin Alice Weidel fragte: „Wie viele solcher Zeitbomben gibt es noch in Deutschland?“
Oberstaatsanwalt Badle stieß das bitter auf. Die Ermittlungsarbeit sei komplex und dauere an. Nun Emotionen zu schüren, helfe niemanden. Auch die Polizei twitterte: „Trolle und Spekulationen braucht niemand.“
Erinnerungen an Breitscheidplatz
Der Vorfall weckte indes Erinnerungen an den Anschlag des Islamisten Anis Amri im Dezember 2016 in Berlin. Der Tunesier war mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz gefahren und hatte elf Menschen getötet und mehr als 70 verletzt. Er hatte sich in einem Video als Anhänger des IS bekannt und wurde später auf der Flucht von Polizisten erschossen.
Der Fall in Limburg scheint nicht so eindeutig zu sein – so wie andere Fälle in jüngerer Zeit. So zündete im Oktober 2018 ein 55-jähriger Syrer im Kölner Hauptbahnhof einen Brandsatz und nahm eine Frau als Geisel. Dabei bekannte er sich zum IS. Die Bundesanwaltschaft übernahm den Fall zunächst – gab diesen aber später wieder ab. Ein „radikal-islamistisches Motiv“ habe sich nicht bestätigt, hieß es damals. Dem Mann wurde vielmehr eine psychische Erkrankung attestiert.
Im April 2018 hatte wiederum ein Mann in Münster mit einem Pkw vier Menschen getötet, mehr als 20 teilweise lebensgefährlich verletzt und sich dann selbst erschossen. Ein Terrormotiv gab es auch hier nicht: Der Mann galt als psychisch labil, die Tat letztlich als erweiterter Suizid.
Auch im Fall Limburg bleiben vorerst die Fragezeichen. „Es fällt mir noch schwer, die Dinge einzuordnen“, erklärte Bürgermeister Hahn. „Unheimlich wichtig“ aber sei es, dass die zufällig vor Ort befindlichen Polizisten, offenbar Auszubildende der Polizeiakademie aus dem nahen Diez, den Tatverdächtigen festgehalten hätten.
Auch das Logistikunternehmen des überfallenen Lkw-Fahrers äußerte sich betroffen. „Unserem Lkw-Fahrer geht es den Umständen entsprechend“, sagte eine Sprecherin. „Unsere Gedanken gelten ihm sowie den Geschädigten.“
Hessens Innenminister Beuth blieb ebenso vorsichtig: „Auch wenn der Tathergang an die schrecklichen Anschläge von Nizza oder Berlin erinnert, ist das Motiv des festgenommenen Mannes nach wie vor unklar.“ Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte ebenfalls nur: „Nach allem, was wir derzeit wissen, müssen wir wohl davon ausgehen, dass der Tatverdächtige dies vorsätzlich getan hat.“
Der Syrer soll bei der Aufklärung bisher keine Hilfe sein: Er soll zu dem Vorfall schweigen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vorerst ein versuchtes Tötungsdelikt vor, schwere Körperverletzung und einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Noch am Dienstag sollte er dem Ermittlungsrichter vorgeführt werden.
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